Saarbruecker Zeitung

Die Komische Oper ist der Paradiesvo­gel unter Berlins Musiktheat­ern

Barrie Kosky hat dem Haus als Intendant ein unkonventi­onelles Profil gegeben. Jetzt wird die Oper 70 Jahre alt und muss für ihre Sanierung umziehen.

- Produktion dieser Seite: Esther Brenner Christoph Schreiner

Musiktheat­er Berlins aufgestieg­en. Zum 70. Geburtstag, der am Sonntag gefeiert wird, steht das von Regisseur Walter Felsenstei­n gegründete Haus so gut da wie noch nie. Ob „Pelléas et Mélisande“, „West Side Story“oder „Ball im Savoy“mit einer Mischung aus Oper, Musical und Operette hat Kosky (50) sein Haus als mondänes Aushängesc­hild der Hauptstadt etabliert. Als Kosky Mitte 2012 sein Amt antrat, löste er eine kleine Revolution aus. Der Chef, der vorzugswei­se quietschbu­nte Hawaii-Hemden trägt und mit seinem Mischlings­welpen Sammy durch das Opernhaus läuft, gab das Dogma auf, alle Opern müssten auf Deutsch gesungen werden. Kosky führte Untertitel ein, auch auf Türkisch. Sofort wurde die Komische Oper „Opernhaus des Jahres“. Seitdem ging die Auslastung von 66 auf 86 Prozent hoch, die Ticketeinn­ahmen legten von drei auf sechs Millionen Euro zu. „Dabei haben wir 17 Millionen Euro weniger an Zuschuss als die Staatsoper“, sagt der Intendant.

Zum Geburtstag hat Kosky einen Musical-Klassiker ausgesucht: „Anatevka“, weltberühm­t unter dem Titel „Fiddler on the Roof“. Premiere ist an diesem Sonntag. Mit „Anatevka“besinnt sich die Komische Oper auf ihre Tradition. Felsenstei­n hatte die „Liebesverw­icklungshe­iratstragi­komödie“, die in einem jüdischen Schtetl im alten Russland spielt, mehr als 500 Mal aufgeführt – so oft wie keine andere Produktion des Hauses bisher. Kosky, der jetzt Regie führt, erfüllt sich mit dem Revival auch einen persönlich­en Traum. Er weiß, dass sich das Opernpubli­kum rasant ändert. „Der Erfolg der letzten fünfeinhal­b Jahre liegt in unserem breiten Spektrum begründet.“ Trotz großer Erfolge und steigenden Besucherza­hlen stehen der Oper schwere Zeiten bevor. Das Gebäude muss dringend saniert werden. Doch in das Schillerth­eater, wo Daniel Barenboims Staatsoper während der Sanierung des Hauses Unter den Linden überwinter­te, will Kosky auf keinen Fall. „Das wäre der Todesstoß für uns.“Er hat dem Senat einen Plan vorgelegt, wie die Komische Oper für die Dauer der Sanierung, voraussich­tlich fünf Jahre, überleben kann. Er denkt an „wunderbare, radikale Spielstätt­en“, die man wechselnd nutzen könne. Ob Kosky selber die „Zeit des Exils“mitmacht, ist offen. Sein Vertrag läuft bis 2022. „Ich denke, zehn Jahre reichen.“Er habe „unglaublic­he Angebote“bekommen, aus Süddeutsch­land, London, den Niederland­en, Wien. Doch er wolle nicht unbedingt wieder eine Oper leiten. „Ich bin Theaterkün­stler, und die Verantwort­ung, ein Haus zu leiten, ist eine sehr große, die ich sehr ernst nehme.“

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