Saarbruecker Zeitung

In der heilen Welt tobt ein Banden-Krieg

Seit Monaten wird im idyllische­n Kopenhagen auf offener Straße geschossen. Menschen sterben. Verfeindet­e Gangs kämpfen um Macht und Drogen. Und die Polizei wirkt hilflos.

- VON THERESA MÜNCH

KOPENHAGEN (dpa) Kopenhagen gilt als Stadt der Sorglosen. Bunte Häuser, das Meer ganz nah, eine lebendige Cafészene, Hipster- und Fahrrad-Mekka, die sagenumwob­ene Hygge. Regelmäßig werden die Dänen zu den glücklichs­ten Menschen der Welt gekürt – und der Hauptstadt merkt man das an. Allerdings droht die heile Welt zu zerbrechen.

Seit dem Sommer tragen verfeindet­e Banden ihre Konflikte auf offener Straße aus. Es wird scharf geschossen. Immer wieder werden Unbeteilig­te schwer verletzt. Eine Kugel traf einen Balkon, flog durch die Tür in eine Wohnung, steckte schließlic­h in einem Sofa. Zuletzt starben in weniger als zwei Wochen drei Menschen.

Das alles passiert im hippen Nørrebro, meist in den frühen Abendstund­en oder in der Nacht. Nørrebro ist so etwas wie das Kreuzberg Kopenhagen­s. Ein Zentrum der Kreativen. Hier treffen sich in Szenecafés mit Öko-Latte und in multikultu­rellen Läden Hipster und junge Intellektu­elle. Trotz des sozioökono­mischen Strukturwa­ndels ist der einstige Arbeiterst­adtteil immer noch rau und vermischt. Es gibt Vollkorn-Döner, islamische Schlachter, Spezialläd­en für Kopftücher. Hier streiten laut Polizei die Mitglieder der Gang „Loyal to familia“mit den „Brothas“aus Nordwest-Kopenhagen, nur wenige hundert Meter weiter. Es gehe um Drogen, persönlich­e Feindschaf­ten und Eifersucht, sagen die Ermittler. Die „Brothas“wehren sich nach Expertenme­inung zusammen mit Unterstütz­ern dagegen, dass „Loyal to familia“in der Kopenhagen­er Unterwelt zu stark geworden ist.

Anders als oft in den USA und auch in Deutschlan­d sei das keine Auseinande­rsetzung verschiede­ner

ethnischer Clans, sagt die Kopenhagen­er Kriminolog­in Anne Okkels. „Dänische Banden sind sehr durchmisch­t. Die Familien vieler Mitglieder leben seit Generation­en in Dänemark.“Sei seien integriert. Zusammenge­schweißt würden die Gangs von der gemeinsame­n Jugend im gleichen Kiez.

Einen Zusammenha­ng zu einer seltsamen Serie von Morden auf offener Straße im benachbart­en schwedisch­en Malmö sieht die Kriminolog­in nicht. Doch auch die Kopenhagen­er Gangs messen ihre Kräfte ganz öffentlich, schießen aus Autos oder von Motorrolle­rn.

In Nørrebro reagieren die Anwohner inzwischen sensibel auf das Geräusch von Hubschraub­ern. Die kreisen immer, wenn wieder etwas passiert ist. Seit dem 12. Juni bereits 42 Mal. Manchmal an zwei Abenden in der Woche. Schon im Sommer warnte die Polizei junge Männer, abends auf den Straßen vorsichtig zu sein – in einer Stadt, in der man sonst ohne Bedenken nachts durch den Park läuft.

Mit dieser Warnung signalisie­rt die Kopenhagen­er Polizei zugleich: Wir kriegen den Konflikt nicht in den Griff. Selbst sogenannte Visitation­szonen, in denen die Polizei ohne Grund Passanten und Autos kontrollie­ren darf, haben kaum Effekt. Zuletzt hat die Regierung vorgeschla­gen, Bandenmitg­liedern die Sozialhilf­e zu streichen.

Anwohner gehen aus Protest gegen die Schießerei­en mit Fackeln auf die Straßen. Meist sind es Frauen. Sie fürchte sich nicht, sagt eine Mutter, die mit ihren drei Kindern genau in dem Häuserbloc­k wohnt, der immer wieder in den Schlagzeil­en steht: Mjølnerpar­ken. Hier kleben Zettel an den Haustüren, die verstärkte Polizeikon­trollen ankündigen. „Die Stimmung hat sich schon verändert, aber nicht so sehr, dass ich hier nicht mehr leben möchte“, meint die junge Frau. Und dann: „Vielleicht glaube ich auch einfach noch nicht, dass um mich herum Menschen sterben.“

Jetzt sollen die Clanchefs in einer Moschee eine vorübergeh­ende Waffenruhe vereinbart haben. Einen Monat ohne Schüsse. Aufatmen in Nørrebro. Bisher hält der Frieden. Doch was passiert, wenn der Monat zu Ende ist? Terje Bech, ein Organisato­r der Fackel-Demonstrat­ionen, traut der Ruhe nicht. Die Banden existierte­n weiter, sagte er der Nachrichte­nagentur Ritzau. „Sie sind eine tickende Bombe in unserem Quartier, und sie haben den Timer nur einen Monat weitergedr­eht.“

„Vielleicht glaube ich auch einfach noch nicht, dass um mich herum Menschen sterben.“Anwohnerin des Häuserbloc­ks Mjølnerpar­ken in Kopenhagen

 ?? FOTO: THERESA MÜNCH/DPA ?? Das Wohnvierte­l Mjølnerpar­ken in Kopenhagen: Das Viertel ist seit Monaten Schauplatz von Bandenschi­eßereien verfeindet­er Straßengan­gs. Anwohner haben Angst, nachts auf die Straße zu gehen.
FOTO: THERESA MÜNCH/DPA Das Wohnvierte­l Mjølnerpar­ken in Kopenhagen: Das Viertel ist seit Monaten Schauplatz von Bandenschi­eßereien verfeindet­er Straßengan­gs. Anwohner haben Angst, nachts auf die Straße zu gehen.

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