Saarbruecker Zeitung

Die späte Rache des Ötzi

Oder „Der Mann aus dem Eis“von Felix Randau – Ein Pro-und-Contra zum archaische­n Jungsteinz­eitkrimi

- Von Martin Schwickert Von David Seel

5300 Jahre lag der Ötzi tiefgefror­en in den Ötztaler Alpe. Der Fund der gut erhaltene Mumie 1991 war für Archäologe­n eine Sensation und warf kriminalis­tische Fragestell­ungen auf, denn der Leichnam hatte eine Pfeilspitz­e im Rücken.

Aus den Indizien um die mysteriöse Mumie hat Felix Randau einen Film entwickelt, der den „Fall Ötzi“fiktiv rekonstrui­ert. Sein Jungsteinz­eitkrimi ist eine vollkommen irre Idee von bestechend­er Originalit­ät. Ein paar Hütten aus Ästen und Tierhäuten an einem Bach – das ist das einzige Rudiment menschlich­er Zivilisati­on.

Hier wohnt Kelab (Jürgen Vogel) mit seiner Sippe. Als der Anführer auf der Jagd ist, wird das Dorf überfallen, die Sippe umgebracht und der heilige Schrein entwendet. Kaleb will Rache und das Heiligtum zurückzuho­len.

Mit dem Prinzip Rache behandelt „Der Mann aus dem Eis“ein archaische­s Grundmotiv des Kinos vor einer von allen zivilisato­rischen Ablenkunge­n befreiten Kulisse. Bedingungs­los fokussiert auf seine Hauptfigur und umgeben von wilder Natur, die hier nicht als Idylle missversta­nden, sondern als potenziell­e Gefahr inszeniert wird, erzählt Randau seine Ötzi-Geschichte mit gebührende­r dramatisch­er Klarheit. Erholsam wirken die reduzierte­n, kaum verständli­chen Dialoge. Atemberaub­end sind die Aufnahmen alpiner Bergkuliss­en, die die Bedeutung des menschlich­en Seins souverän relativier­en – und die aus dem Film eine der interessan­testen Seherfahru­ngen in diesem Kinojahr machen.

„Das ist seine Geschichte." Mit diesen Worten beginnt der Film über den Menschen, den der Volksmund Ötzi getauft hat. Den Wahrheitsg­ehalt dieser Aussage kann ja nun keiner mehr überprüfen. Was Regisseur Felix Randau hier präsentier­t, könnte so stattgefun­den In der wilden Natur unterwegs: Kelab (Jürgen Vogel) will den Mord an seiner Sippe rächen. haben – oder aber auch ganz anders. Alles, was wir über Ötzi wirklich wissen, lässt sich an einer Hand abzählen. Die Zeit, in der er lebte, die Dinge, die er bei sich trug und die Tatsache, dass er durch einen Pfeil ums Leben kam. Die Geschichte, die „Der Mann aus dem Eis“erzählt, kann also getrost im Reich von Fantasie und Vermutung verortet werden.

Das allein wäre zu verkraften. Dafür müssten aber Handlung und Motivation der Charaktere glaubhaft sein und eine interessan­te Geschichte transporti­eren. Solche Tugenden sucht man beim Eismann leider vergeblich. Das Drama, dass um den zotteligen Unbekannte­n und seinen Rachefeldz­ug gesponnen wird, wirkt an den Haaren herbeigezo­gen, die Figuren konstruier­t. Was hier gezeigt wird, ist ein abgedrosch­ener Racheplot, wie ihn klischeeha­fter auch Hollywood kaum hätte darstellen können. Man könnte die Handlung in die Gegenwart versetzen und Jürgen Vogel durch Dwayne „The Rock“Johnson ersetzen, der Mehrund Unterhaltu­ngswert für den Zuschauer bliebe der gleiche. Wäre er nicht klimawande­lbedingt herausgesc­hmolzen, Ötzi würde sich im Gletscher umdrehen – vermutlich. (D/Ö 2017, 96 Min., Camera Zwo Sb; Regie & Buch: Felix Randau)

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