Die späte Rache des Ötzi
Oder „Der Mann aus dem Eis“von Felix Randau – Ein Pro-und-Contra zum archaischen Jungsteinzeitkrimi
5300 Jahre lag der Ötzi tiefgefroren in den Ötztaler Alpe. Der Fund der gut erhaltene Mumie 1991 war für Archäologen eine Sensation und warf kriminalistische Fragestellungen auf, denn der Leichnam hatte eine Pfeilspitze im Rücken.
Aus den Indizien um die mysteriöse Mumie hat Felix Randau einen Film entwickelt, der den „Fall Ötzi“fiktiv rekonstruiert. Sein Jungsteinzeitkrimi ist eine vollkommen irre Idee von bestechender Originalität. Ein paar Hütten aus Ästen und Tierhäuten an einem Bach – das ist das einzige Rudiment menschlicher Zivilisation.
Hier wohnt Kelab (Jürgen Vogel) mit seiner Sippe. Als der Anführer auf der Jagd ist, wird das Dorf überfallen, die Sippe umgebracht und der heilige Schrein entwendet. Kaleb will Rache und das Heiligtum zurückzuholen.
Mit dem Prinzip Rache behandelt „Der Mann aus dem Eis“ein archaisches Grundmotiv des Kinos vor einer von allen zivilisatorischen Ablenkungen befreiten Kulisse. Bedingungslos fokussiert auf seine Hauptfigur und umgeben von wilder Natur, die hier nicht als Idylle missverstanden, sondern als potenzielle Gefahr inszeniert wird, erzählt Randau seine Ötzi-Geschichte mit gebührender dramatischer Klarheit. Erholsam wirken die reduzierten, kaum verständlichen Dialoge. Atemberaubend sind die Aufnahmen alpiner Bergkulissen, die die Bedeutung des menschlichen Seins souverän relativieren – und die aus dem Film eine der interessantesten Seherfahrungen in diesem Kinojahr machen.
„Das ist seine Geschichte." Mit diesen Worten beginnt der Film über den Menschen, den der Volksmund Ötzi getauft hat. Den Wahrheitsgehalt dieser Aussage kann ja nun keiner mehr überprüfen. Was Regisseur Felix Randau hier präsentiert, könnte so stattgefunden In der wilden Natur unterwegs: Kelab (Jürgen Vogel) will den Mord an seiner Sippe rächen. haben – oder aber auch ganz anders. Alles, was wir über Ötzi wirklich wissen, lässt sich an einer Hand abzählen. Die Zeit, in der er lebte, die Dinge, die er bei sich trug und die Tatsache, dass er durch einen Pfeil ums Leben kam. Die Geschichte, die „Der Mann aus dem Eis“erzählt, kann also getrost im Reich von Fantasie und Vermutung verortet werden.
Das allein wäre zu verkraften. Dafür müssten aber Handlung und Motivation der Charaktere glaubhaft sein und eine interessante Geschichte transportieren. Solche Tugenden sucht man beim Eismann leider vergeblich. Das Drama, dass um den zotteligen Unbekannten und seinen Rachefeldzug gesponnen wird, wirkt an den Haaren herbeigezogen, die Figuren konstruiert. Was hier gezeigt wird, ist ein abgedroschener Racheplot, wie ihn klischeehafter auch Hollywood kaum hätte darstellen können. Man könnte die Handlung in die Gegenwart versetzen und Jürgen Vogel durch Dwayne „The Rock“Johnson ersetzen, der Mehrund Unterhaltungswert für den Zuschauer bliebe der gleiche. Wäre er nicht klimawandelbedingt herausgeschmolzen, Ötzi würde sich im Gletscher umdrehen – vermutlich. (D/Ö 2017, 96 Min., Camera Zwo Sb; Regie & Buch: Felix Randau)