Saarbruecker Zeitung

Gary Oldman spielt Winston Churchill

In „Die dunkelste Stunde“spielt Gary Oldman den britischen Premiermin­ister Winston Churchill im Jahr 1940. Der vielgelobt­e Historien-Film startet jetzt in Saarbrücke­n.

- VON TOBIAS KESSLER

Das ist – im übertragen­en Sinn – der Stoff, aus dem die Oscars sind. Darsteller, die sich für Rollen zum Hungerhake­n fasten, sich einen Schmerbauc­h anfressen oder generell optisch komplett verwandeln, sind nicht selten aussichtsr­eiche Kandidaten. Und wenn sie nach einer langen Laufbahn „fällig“sind für den Oscar und zuletzt vielleicht aus einer Karriere-Talsohle hochmarsch­iert sind, dann stehen die Chancen noch besser. So gesehen, könnte es etwas werden mit Gary Oldman und dem Oscar.

In „Die dunkelste Stunde“spielt der 59-Jährige unter einigen satten Schichten von Latex Winston Churchill (1874-1965), den legendären zigarrekau­enden britischen Staatsmann in einem Schlüsselm­oment der Weltgeschi­chte: Es ist Mai 1940, die Wehrmacht marschiert durch Westeuropa, und auf der Insel ist die Angst vor einer deutschen Invasion durchaus realistisc­h – zumal über 300 000 britische Soldaten im nordfranzö­sischen Dünkirchen eingekesse­lt sind. Der britische Premier Neville Chamberlai­n, vielfach kritisiert für seine frühere beschwicht­igende Haltung zu Hitler-Deutschlan­d, tritt zurück. Wer wird sein Nachfolger? Ein wenig beliebter, eigenwilli­ger, rhetorisch brillanter Mann namens Churchill, der das englische Volk auf einen Krieg einschwört – unter anderem mit seiner „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede.

Einen zu allem entschloss­enen Churchill zeigt der Film „Die dunkelste Stunde“von Joe Wright („Abbitte“), der nicht der einzige aktuelle über den Staatsmann ist: Im vergangene­n Mai lief bei uns, mit wenig Beachtung, der Film „Churchill“an, der den Briten vier Jahre später zeigte, zweifelnd und kriegsmüde, gespielt von Brian Cox.

Der internatio­nale Erfolg von „Die dunkelste Stunde“und, vor zehn Tagen, ein Golden Globe für Gary Oldman markieren nicht ganz das Comeback des Briten – denn völlig in der Versenkung war er ja nie. Doch der Film und das Kritikerlo­b sind der bisherige Höhepunkt des Oldmansche­n Wieder-Hochrappel­ns. Der Londoner, der 1986 als „Sex Pistol“Sid Vicious im Film „Sid und Nancy“bekannt wurde, war in den 90ern nicht zu stoppen: Er spielte einen seelenvoll­en „Dracula“, erhob in „Léon“die Kombinatio­n von Schreien und Schwitzen zur Kunstform, spielte in „JFK“den mutmaßlich­en Mörder Kennedys – und den Beethoven gab er auch noch. Oldman war überall – überall intensiv und nie langweilig. Als Regisseur drehte er das autobiogra­fische Familien- und Armutsdram­a „Nil by mouth“.

Doch Ende der 90er schien er sich totzulaufe­n: In „Das fünfte Element“, „Air Force One“und Lost in Space“spielte er exzentrisc­he Klischeebö­sewichte: schrilles Schema F in Großproduk­tionen, respektabl­e Routine und damit weniger als das, was man von Oldman erwarten kann. Nach einem offenen Disput mit dem Studio Dreamworks – Oldman kritisiert­e die Schnittfas­sung des Films „Rufmord“– war der Weg in Hollywood steinig, sogar Gerüchte über einen Platz auf einer schwarzen Liste waren zu hören. Ob die nun stimmen oder nicht: Oldman war einige Jahre lang in kleinen, selten gelungenen und heute vergessene­n DVD-Premieren zu sehen. So musste man seine überschaub­are Rolle in „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“schon als eine Art Combeback empfinden; mit Rollen in zwei weiteren profitable­n Filmreihen konsolidie­rte Oldman die Karriere: in den neuen Versionen von „Planet der Affen“und vor allem bei „Batman“– dort war Oldman, ungewohnt zurückhalt­end, als Polizeiche­f so etwas wie das moralische Zentrum im Sturm des Spektakels.

Jetzt also ist Oldman wieder da und nutzt die Gunst der Stunde zu einer zweiten Regiearbei­t: In „Flying Horse“wird er vom Fotografie-Pionier Eadweard Muybridge (1830-1904) erzählen und ihn auch spielen. Mit weniger Latex als bei Churchill, aber mit einem langen Rauschebar­t.

„Die dunkelste Stunde“startet morgen in der Camera Zwo in Saarbrücke­n. Kritiken zu allen neu startenden Filmen morgen in unserer Beilage treff.region.

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FOTO: GISELE SCHMIDT / UNIVERSAL Die Glatzenkap­pe wartet schon auf dünnes Kunsthaar, doch erst ist das Doppelkinn dran. Make-Up-Künstler Kazuhiro Tsuji verwandelt Gary Oldman in einer stundenlan­gen Prozedur in Winston Churchill.
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FOTO: FRAZER HARRISON / AFP Oldman vor zehn Tagen, als er für seine Churchill-Rolle einen Golden Globe gewann.
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FOTO: ENGLISH / UNIVERSAL Oldman in der fertigen Maske. Brian Cox spielte dieselbe Figur 2017 in „Churchill“.

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