Saar-Forscher entdecken die heimlichen Stars des Hirns
Astrozyten, sternförmige Zellen im Gehirn, galten früher als unbedeutendes Beiwerk der Nervenzellen. In Wirklichkeit regeln sie wichtige Hirnfunktionen und spielen eine große Rolle bei der Epilepsie, haben Forscher der Saar-Uni entdeckt.
Zwei Arten von Zellen gibt es in unserem Gehirn. Da sind die Nervenzellen, Hort der Intelligenz, Speicher des Gedächtnisses und Sitz unserer Persönlichkeit – und daneben der unbedeutende Rest, der nur für den Zusammenhalt des Ganzen zu sorgen scheint. Als „Nervenkitt“bezeichnete der berühmte Mediziner Rudolf Virchow Ende des 19. Jahrhunderts diese Zellen, in denen keine elektrische Aktivität erkennbar war. Von dieser Ansicht waren die Mediziner jener Zeit so sehr überzeugt, dass sie den Ausdruck „Gliazellen“prägten, abgeleitet vom wenig ruhmreichen griechischen Begriff „Glia“für Leim. Dass es neben den rund 100 Milliarden Nervenzellen unseres Gehirns mindestens ebenso viele dieser „Klebstoffzellen“gibt, irritierte die Mediziner lange Zeit nicht. Und bis in die heutige Zeit ist die Meinung verbreitet, Gliazellen seien passiv und hätten im Gegensatz zu den aktiven Nervenzellen nichts zu melden.
„Doch das“, so sagt Professor Dieter Bruns, Neurowissenschaftler der Saar-Universität, „ist völlig falsch.“Zweifel daran, dass die Astrozyten, sie bilden die größte Gruppe der Gliazellen, nur als Nervenkleister im Gehirn dienen, habe es zwar schon seit Längerem gegeben. Doch ihre tatsächliche Funktion wird erst jetzt offenbar. Und daran haben Homburger Forscher der Saar-Uni gewichtigen Anteil.
Astrozyten, das fand die Wissenschaftlerin Yvonne Schwarz heraus, spielen eine große Rolle bei der chemischen Signalverarbeitung im Gehirn. Die promovierte Neurobiologin aus der Arbeitsgruppe von Dieter Bruns entdeckte, dass Astrozyten wie ein Lautstärkeregler am Radio wirken. Sie können das Konzert der Nervenzellen verstärken und abschwächen. Diese Steuerungsfunktion hat wahrscheinlich auch eine zentrale Bedeutung bei neurologischen Krankheiten, berichten die Wissenschaftler im Wissenschaftsjournal „Nature Neuroscience“. Die Astrozyten haben ihren Namen von ihrer sternförmigen Gestalt. Sie werden mit ihren buschigen Auswüchsen fast einen zehntel Millimeter groß. Bei der Datenverarbeitung im Gehirn spielen sogenannte Synapsen eine wichtige Rolle, das sind die hochspezialisierten Kontaktstellen der Nervenzellen. Ein einziger Astrozyt kann mit bis zu einhunderttausend Synapsen Kontakt halten. Astrozyten beeinflussen die Aktivität der Nervenzellen über Botenstoffe. Einer (Glutamat) verstärkt die Aktivität der Neuronen, andere wie das Neuropeptid Y wirken dämpfend. „Das alles führt zu einem unheimlich komplizierten Beziehungsgeflecht zwischen Nervenzellen und Astrozyten“, staunt der Homburger Wissenschaftler. „Wir hätten das in dieser Form niemals erwartet.“
Der Effekt, von dem die Homburger Wissenschaftler sagen, sie seien auf ihn durch einen Zufall bei Laborexperimenten gestoßen, bei denen es eigentlich um die Signalverarbeitung von Neuronen ging, könnte nun bei der Erforschung der Epilepsie eine wichtige Rolle spielen. Bei einem epileptischen Anfall, bei dem der Patient die Kontrolle über seinen Körper verliert, entwickeln Teile des Gehirns übermäßige Aktivität. Dort werden plötzlich sämtliche Neuronen gleichzeitig aktiv. Die Forschungsergebnisse der Homburger Wissenschaftler zeigen nun, welche Rolle Astrozyten dabei spielen könnten. Während dämpfende Botenstoffe die Ausbreitung eines epileptischen Anfalls begrenzen, kann ein Übermaß des aufpeitschenden Signalstoffs Glutamat unkontrollierbare Reaktionen im Nervensystem auslösen. Die Ursache der Epilepsie läge damit nicht in den Nervenzellen selbst, sondern würde von dem vermeintlich funktionslosen Teil der Hirnzellen hervorgerufen.
„Wir haben nun die Hoffnung, dass die Forschung an den Gliazellen Möglichkeiten für neue Therapien der Epilepsie eröffnet“, erklärt Dieter Bruns. Allerdings stehe die Forschung bei diesem Thema ganz am Anfang eines möglicherweise sehr langen Weges. „Das wird sicher viele Jahre dauern.“Er ist jedoch überzeugt, dass es sich lohnen kann, hier weiter zu forschen und zieht einen Vergleich zu den in den 1980er Jahren entdeckten Calcium-Kanälen der Körperzellen. Auch sie spielen bei der Signalübertragung eine wichtige Rolle – auf dieser Forschung basieren heute wichtige Herzmedikamente. Und noch eine Parallele gibt es: Auch auf diesem Forschungsgebiet spielen Wissenschaftler der Saar-Uni in der ersten Liga.
„Wir hätten das in dieser Form niemals erwartet.“Professor Dieter Bruns, Uni-Klinik Homburg