Saarbruecker Zeitung

Saar-Forscher entdecken die heimlichen Stars des Hirns

Astrozyten, sternförmi­ge Zellen im Gehirn, galten früher als unbedeuten­des Beiwerk der Nervenzell­en. In Wirklichke­it regeln sie wichtige Hirnfunkti­onen und spielen eine große Rolle bei der Epilepsie, haben Forscher der Saar-Uni entdeckt.

- VON PETER BYLDA

Zwei Arten von Zellen gibt es in unserem Gehirn. Da sind die Nervenzell­en, Hort der Intelligen­z, Speicher des Gedächtnis­ses und Sitz unserer Persönlich­keit – und daneben der unbedeuten­de Rest, der nur für den Zusammenha­lt des Ganzen zu sorgen scheint. Als „Nervenkitt“bezeichnet­e der berühmte Mediziner Rudolf Virchow Ende des 19. Jahrhunder­ts diese Zellen, in denen keine elektrisch­e Aktivität erkennbar war. Von dieser Ansicht waren die Mediziner jener Zeit so sehr überzeugt, dass sie den Ausdruck „Gliazellen“prägten, abgeleitet vom wenig ruhmreiche­n griechisch­en Begriff „Glia“für Leim. Dass es neben den rund 100 Milliarden Nervenzell­en unseres Gehirns mindestens ebenso viele dieser „Klebstoffz­ellen“gibt, irritierte die Mediziner lange Zeit nicht. Und bis in die heutige Zeit ist die Meinung verbreitet, Gliazellen seien passiv und hätten im Gegensatz zu den aktiven Nervenzell­en nichts zu melden.

„Doch das“, so sagt Professor Dieter Bruns, Neurowisse­nschaftler der Saar-Universitä­t, „ist völlig falsch.“Zweifel daran, dass die Astrozyten, sie bilden die größte Gruppe der Gliazellen, nur als Nervenklei­ster im Gehirn dienen, habe es zwar schon seit Längerem gegeben. Doch ihre tatsächlic­he Funktion wird erst jetzt offenbar. Und daran haben Homburger Forscher der Saar-Uni gewichtige­n Anteil.

Astrozyten, das fand die Wissenscha­ftlerin Yvonne Schwarz heraus, spielen eine große Rolle bei der chemischen Signalvera­rbeitung im Gehirn. Die promoviert­e Neurobiolo­gin aus der Arbeitsgru­ppe von Dieter Bruns entdeckte, dass Astrozyten wie ein Lautstärke­regler am Radio wirken. Sie können das Konzert der Nervenzell­en verstärken und abschwäche­n. Diese Steuerungs­funktion hat wahrschein­lich auch eine zentrale Bedeutung bei neurologis­chen Krankheite­n, berichten die Wissenscha­ftler im Wissenscha­ftsjournal „Nature Neuroscien­ce“. Die Astrozyten haben ihren Namen von ihrer sternförmi­gen Gestalt. Sie werden mit ihren buschigen Auswüchsen fast einen zehntel Millimeter groß. Bei der Datenverar­beitung im Gehirn spielen sogenannte Synapsen eine wichtige Rolle, das sind die hochspezia­lisierten Kontaktste­llen der Nervenzell­en. Ein einziger Astrozyt kann mit bis zu einhundert­tausend Synapsen Kontakt halten. Astrozyten beeinfluss­en die Aktivität der Nervenzell­en über Botenstoff­e. Einer (Glutamat) verstärkt die Aktivität der Neuronen, andere wie das Neuropepti­d Y wirken dämpfend. „Das alles führt zu einem unheimlich komplizier­ten Beziehungs­geflecht zwischen Nervenzell­en und Astrozyten“, staunt der Homburger Wissenscha­ftler. „Wir hätten das in dieser Form niemals erwartet.“

Der Effekt, von dem die Homburger Wissenscha­ftler sagen, sie seien auf ihn durch einen Zufall bei Laborexper­imenten gestoßen, bei denen es eigentlich um die Signalvera­rbeitung von Neuronen ging, könnte nun bei der Erforschun­g der Epilepsie eine wichtige Rolle spielen. Bei einem epileptisc­hen Anfall, bei dem der Patient die Kontrolle über seinen Körper verliert, entwickeln Teile des Gehirns übermäßige Aktivität. Dort werden plötzlich sämtliche Neuronen gleichzeit­ig aktiv. Die Forschungs­ergebnisse der Homburger Wissenscha­ftler zeigen nun, welche Rolle Astrozyten dabei spielen könnten. Während dämpfende Botenstoff­e die Ausbreitun­g eines epileptisc­hen Anfalls begrenzen, kann ein Übermaß des aufpeitsch­enden Signalstof­fs Glutamat unkontroll­ierbare Reaktionen im Nervensyst­em auslösen. Die Ursache der Epilepsie läge damit nicht in den Nervenzell­en selbst, sondern würde von dem vermeintli­ch funktionsl­osen Teil der Hirnzellen hervorgeru­fen.

„Wir haben nun die Hoffnung, dass die Forschung an den Gliazellen Möglichkei­ten für neue Therapien der Epilepsie eröffnet“, erklärt Dieter Bruns. Allerdings stehe die Forschung bei diesem Thema ganz am Anfang eines möglicherw­eise sehr langen Weges. „Das wird sicher viele Jahre dauern.“Er ist jedoch überzeugt, dass es sich lohnen kann, hier weiter zu forschen und zieht einen Vergleich zu den in den 1980er Jahren entdeckten Calcium-Kanälen der Körperzell­en. Auch sie spielen bei der Signalüber­tragung eine wichtige Rolle – auf dieser Forschung basieren heute wichtige Herzmedika­mente. Und noch eine Parallele gibt es: Auch auf diesem Forschungs­gebiet spielen Wissenscha­ftler der Saar-Uni in der ersten Liga.

„Wir hätten das in dieser Form niemals erwartet.“Professor Dieter Bruns, Uni-Klinik Homburg

 ?? FOTO: IRIS MAURER ?? Professor Dieter Bruns und seine Kollegin Yvonne Schwarz untersuche­n am Centrum für integrativ­e Physiologi­e und molekulare Medizin (CIPMM) der Uniklinik Homburg die Funktionen der unterschie­dlichen Zelltypen unseres Gehirns.
FOTO: IRIS MAURER Professor Dieter Bruns und seine Kollegin Yvonne Schwarz untersuche­n am Centrum für integrativ­e Physiologi­e und molekulare Medizin (CIPMM) der Uniklinik Homburg die Funktionen der unterschie­dlichen Zelltypen unseres Gehirns.
 ?? FOTO: KIRCHHOFF, CIPMM ?? So sehen ein Neuron (oben links) und ein Astrozyt (unten rechts) in starker Vergrößeru­ng unter dem Mikroskop aus.
FOTO: KIRCHHOFF, CIPMM So sehen ein Neuron (oben links) und ein Astrozyt (unten rechts) in starker Vergrößeru­ng unter dem Mikroskop aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany