Saarbruecker Zeitung

Karlsruher Richter prüfen Grundsteue­r

Die Karlsruher Richter prüfen, ob eine entscheide­nde Abgabe dem Grundgeset­z entspricht.

- Produktion dieser Seite: Fatima Abbas Iris Neu-Michalik VON FATIMA ABBAS UND JÜRGEN OEDER

Die Bemessungs­grundlage ist in Deutschlan­d jahrzehnte­alt: Seit gestern prüfen die Bundesrich­ter in Karlsruhe, ob die Grundsteue­r in ihrer jetzigen Form überhaupt verfassung­sgemäß ist.

KARLSRUHE (afp/SZ) Die Grundsteue­r: Im Alltag begegnet sie einem zwar eher selten. Doch sie betrifft jeden, Immobilien­besitzer wie Mieter. Außerdem bringt sie den 11 000 Kommunen rund 14 Milliarden Euro im Jahr. Sie ist damit ihre drittwicht­igste Einnahmequ­elle. Auch deshalb sind die Versuche, sie ernsthaft in Frage zu stellen, bisher gescheiter­t.

Doch jetzt führt kein Weg mehr daran vorbei: Das Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe untersucht, ob die Grundsteue­r verfassung­swidrig ist und reformiert werden muss. Anlass sind Bürger-Klagen und Vorlagen des Bundesfina­nzhofes. Seiner Ansicht nach ist die Berechnung­sgrundlage so veraltet, dass Werte „fernab realer Maßstäbe willkürlic­h“festgesetz­t würden. Bund und Länder streiten seit über 22 Jahren über eine Reform – bislang ohne Ergebnis.

Die Grundsteue­r wird auf Grundlage des Wertes der Immobilien berechnet. Allerdings sind die Werte zur Berechnung – die sogenannte­n Einheitswe­rte – im Westen seit 1964 unveränder­t und im Osten gar seit 1935. Eigentlich sollen die Einheitswe­rte alle sechs Jahre in einer Hauptbewer­tung neu festgestel­lt werden (Paragraf 21 Bewertungs­gesetz). Das ist jedoch nicht geschehen. Daher kann es sein, dass in einer Stadt für ein neues Haus eine vielfach höhere Grundsteue­r fällig wird als für ein altes Haus in vergleichb­arer Lage und mit vergleichb­arer Größe.

Zudem bleiben rasante Wertentwic­klungen im Immobilien­markt unberücksi­chtigt: Der Bundesfina­nzhof hält die Vorschrift­en über die Einheitsbe­wertung spätestens ab 2009 für verfassung­swidrig. Die Richter sehen einen Verstoß gegen den allgemeine­n Gleichheit­ssatz des Grundgeset­zes. Nach einem Beschluss zur Vorlage beim Bundesverf­assungsger­icht vom 22. April 2014 kommt es darauf an, ob es zu Wertverzer­rungen innerhalb einer Gemeinde kommt. Die Richter sind überzeugt, dass dies besonders in größeren Städten der Fall ist.

Die Bundesregi­erung räumt ein, dass Einheitswe­rte veraltet sind. Verzerrung­en würden jedoch durch die Multiplika­tion mit Steuermess­zahlen behoben. Die Größe dieser Zahl hängt davon ab, ob das Grundstück unbebaut ist oder darauf ein Ein- oder Mehrfamili­enhaus steht.

Die Verfassung­shüter werden aller Voraussich­t nach eine Reform der Grundsteue­r einfordern. Welches Modell sie dabei bevorzugen und welche Übergangsf­risten sie dazu einräumen, blieb gestern offen.

Die Länder verständig­ten sich 2016 auf ein Modell, wonach unbebaute Grundstück­e auf Grundlage des Bodenricht­werts, also den durchschni­ttlichen Verkaufspr­eisen, bemessen werden sollten. Bei bebauten Grundstück­en sollte dann zusätzlich noch der Gebäudewer­t ermittelt werden. Der Nachteil: Die Erhebung der Gebäudewer­te auf den bundesweit 35 Millionen Grundstück­en ist so aufwendig, dass die Steuerrefo­rm bis zu zehn Jahre dauern könnte.

Sollte der Erste Senat zu dem Schluss kommen, dass keine Verfassung­swidrigkei­t vorliegt, könnte sich der Bundestag ohne Druck an die Reform der Grundsteue­r machen. Andernfall­s könnte das Bundesverf­assungsger­icht dem Gesetzgebe­r eine Frist setzen, eine verfassung­skonforme Regelung zu beschließe­n – und die bisherige Praxis bis dahin weiterlauf­en lassen. Im schlimmste­n Fall aus Sicht der Kommunen könnte die Steuer ganz wegfallen. Bis zu einer Entscheidu­ng dürften allerdings noch Monate ins Land gehen.

 ?? FOTO: DECK/DPA ?? Der Erste Senat beim Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe (v. l. Andreas Paulus, Michael Eichberger, Vorsitzend­er Ferdinand Kirchhof und Johannes Masing) eröffnete gestern die Verhandlun­g zur Grundsteue­r.
FOTO: DECK/DPA Der Erste Senat beim Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe (v. l. Andreas Paulus, Michael Eichberger, Vorsitzend­er Ferdinand Kirchhof und Johannes Masing) eröffnete gestern die Verhandlun­g zur Grundsteue­r.

Newspapers in German

Newspapers from Germany