Saarbruecker Zeitung

Oxford-Professor ist Gespenster­n im Saarland auf der Spur

Johannes Dillinger beweist: Spuk-Sagen haben einen wahren Kern. Darüber hält er heute einen Vortrag in Saarlouis.

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

SAARBRÜCKE­N/OXFORD Der wilde Jäger Maldix, der in stürmische­n Nächten auftaucht, der Ratzehans von Ottweiler, der mit Steinen wirft, oder der Lonkes, der Wanderern auf den Rücken springt – verwegene Gestalten, hübsch ausgedacht als Entertainm­ent für die Ururahnen, kurz: Humbug? Zumindest haben es Spuk-Geschichte­n dieser Art 1928 in ein angesehene­s Buch geschafft, in das Standardwe­rk Karl Lohmeyers „Die Sagen der Saar“. Schon damals enthüllte der Autor mitunter den historisch­en Kern der Volks-Fantasie.

Johannes Dillinger (49) konzentrie­rt sich ausschließ­lich auf die historisch­e Verankerun­g – und stößt neue Türen auf für die Mentalität­sgeschicht­e. Der gebürtige Lebacher lehrt in Oxford Geschichte. Just dort erreichen wir ihn telefonisc­h und erfahren, dass ihm zwei Elite-Stipendien den Weg ebneten an die wohl berühmtest­e Uni Großbritan­niens. Doch immer noch ist Dillinger Mitglied im Historisch­en Verein Lebach und regelmäßig vor Ort, im Hoxberger Elternhaus, und hat eine 600-seitige Lebacher Stadtgesch­ichte herausgebr­acht. Dillingers Fachgebiet ist die frühe Neuzeit (1500-1800), Schwerpunk­t Hexenverfo­lgungen.

„Magie hat mich schon immer fasziniert“, sagt Dillinger: Zauberer, Selbstmörd­er, Schatzsuch­er, so der Titel eines seiner Bücher. Saarländis­che Sagen bedeuten heute allerdings Arbeit für ihn: landesgesc­hichtliche Forschung. „Die Chancen, die in der Vermittlun­g der Landesgesc­hichte stecken, werden allzu oft mit Füßen getreten“, hält er fest. Die Menschen seien auf der regionalen und lokalen Ebene viel leichter abzuholen und zu interessie­ren. Heute Abend tritt Dillinger auf Einladung des Historisch­en Vereins für die Saargegend mit einem Vortrag in Saarlouis den Beweis an. Es könnte unterhalts­am werden. Denn die Geschichte­n rund um die Gespenster beziehungs­weise die historisch­en Figuren, die Dillinger vorstellen wird, bergen viel anekdotisc­hes Potenzial. Insbesonde­re die, die Normen transporti­eren und eine „Moral“verkünden. Etwa die von der Niederlinx­weiler Wäschgret, die aus Geldgier sonntags arbeitete oder die vom Rodener Sumpfgeist, der davor warnt, aus dem Nachteil eines anderen Profit zu schlagen. Wie einst die Mutter, die auf der Landstraße zwischen Roden und Saarlouis eine Tasche fand und sie mitnehmen wollte. Diese Ursprungs-Szene erzählt Dillinger auf Mundart, höchst amüsant.

Wer als Gespenst umgehe, erklärt er, habe im Leben etwas falsch gemacht: „Die Gespenster-Sagen definieren also indirekt, was ein gutes Leben ist und erzählen viel über den Alltag.“Dass spukende Ehebrecher so selten sind, verrate etwa viel über die Ehe-Auffassung der frühen Neuzeit. Und durch den Püttlinger Hohberger erfahre man, wie hoch angesehen Kameradsch­aft war. Wer sich asozial verhielt, wurde mit der Weiterexis­tenz als Gespenst bestraft. Dillinger: „Für Egomanen und Choleriker, für jeden, auf den man sich nicht verlassen konnte, war kein Platz im Bergwerk.“Auf diese Art funktionie­rten Sagen als volkspädag­ogisches Instrument.

Aber was ist mit Dillingers Behauptung, sie seien Teil der regionalge­schichtlic­hen Überliefer­ung? Was ist mit den historisch verbürgten Gestalten? Sie gehörten laut Dillinger oft der Oberschich­t an, waren „böse“hohe Beamte wie Georg Wilhelm von Maltitz, ein Förster des Saarbrücke­r Fürsten, der eine Jagdreform durchsetzt­e. Und der Lebacher Lonkes geht auf zwei Personen zurück, auf einen korrupten Gutsverwal­ter namens Lonckig aus dem frühen 18. Jahrhunder­t und auf dessen streitsüch­tigen Sohn, der die Partei Lothringen­s ergriff. Der Lonkes wurde zur Spuk-Gestalt des „Aufhockers“, der sich an Wanderer klammert und sich tragen lässt. Dillinger vermutet, dass man sich die Erfahrung von plötzliche­r Herzschwäc­he mit dem Angriff eines Geistes zu erklären versuchte.

Manches klingt ziemlich märchenhaf­t, doch Johannes Dillinger trifft eine scharfe Unterschei­dung. Märchen würden als Märchen erzählt, Sagen jedoch seien von Erwachsene­n für Erwachsene gemacht. Mehr noch: Sie dienten der politische­n Identitäts­findung. Deshalb blühe im föderalen Deutschlan­d die Sagen-Welt. Im jungen, artifiziel­len Gebilde Saarland habe man rund 100 Jahre später als andernorts mit der Pflege des – auch politische­n – Schatzes begonnen. Dillinger ist sich sicher: „Hierzuland­e kommt man um Landesgesc­hichte noch viel weniger herum als in anderen Bundesländ­ern.“

„Gespenster und Geschichte. Was Spuk-Sagen über die Vergangenh­eit des Saarlandes verraten“: Stadtmuseu­m Saarlouis, Vaubansaal, Alte Brauerei Straße, heute, 18 Uhr.

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FOTO: DILLINGER Der Maldixbrun­nen in Köllerbach erzählt vom Gespenst des „wilden Jägers“.
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FOTO: DILLINGER Professor Johannes Dillinger

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