Saarbruecker Zeitung

Wie sich auf 2100 Metern Höhe ein neuer Horizont auftut

Er hat in Japan, Israel und Spanien gelebt und ist mit seinem Projekt „Schwenk around the world“um die Welt gezogen. Jetzt hat der 34-jährige Saarbrücke­r Björn Gottschall, der mittlerwei­le in den französisc­hen Alpen eine Herberge betreibt, sein erstes Mus

-

SAARBRÜCKE­N Der saarländis­che Weltenbumm­ler Björn Gottschall lebte schon in Spanien, Israel und Japan. Mal jobbte er, mal lebte er von Ersparniss­en, mal verkaufte er sein Auto, um über die Runden zu kommen. Mit „Schwenk around the world“initiierte er auch schon ein Projekt, das die saarländis­chste aller Traditione­n, das Schwenken, in die weite Welt transporti­ert. „Von Kloputzen bis zur Schaustell­erei“habe er schon fast alle Arbeiten verrichtet. Vor kurzem hat sich der 34-jährige Saarbrücke­r einen Traum erfüllt und sein erstes eigenes Musikalbum veröffentl­icht: das neoklassis­che Werk „Marche sur la lune“(deutsch: Spaziergan­g auf dem Mond).

Seit er sechs Jahre alt ist, spielt Björn Gottschall Klavier. Im klassische­n Klavierunt­erricht hielt es der Autodidakt allerdings nur zwei Monate lang aus: „Ich konnte schon immer Lieder und Melodien direkt nachspiele­n“, erklärt er, „Die komplexe Grammatik und Physik hinter der Musik finde ich superspann­end.“

Nach dem Abi 2003 ging es für ihn endlich in die weite Welt. Nach einiger Zeit als Straßenmus­iker in Berlin und Paris zog es ihn zusammen mit seinem Kumpel Florian Jung, einem saarländis­chen Profi-Surfer, nach Spanien. Mit dem ersten eigenen Bus, im dem Gottschall ein halbes Jahr lang lebte. Wie es sich für einen Saarländer gehört, traf er dort einen früheren Bekannten, der eine Werbeagent­ur besaß und ihn einstellte. Die Liebe lockte ihn zurück nach Deutschlan­d, wo er Grafikdesi­gn studierte. Ein Erasmus-Stipendium brachte ihn für ein Jahr nach Tokio zu einer großen Werbeagent­ur. „Das war total abgefahren – auch musikalisc­h. Dort hat sich mir ein völlig neuer Horizont geöffnet“, erinnert sich der 34-Jährige.

Zurück in Saarbrücke­n lernte er nicht nur seine Freundin Clara kennen, sondern auch etwas Entscheide­ndes über sich selbst: „Diese Werbesache ist nichts für mich. Ich brauchte etwas mit mehr Leidenscha­ft. Oder wenigstens etwas, das kein falsches Bedürfnis bei Leuten erzeugt.“Dafür zog es ihn mit Clara nach Südfrankre­ich. Gottschall spricht fließend deutsch, englisch und französisc­h und schaute sich in Toulon nach einem Job in einem Hotel oder Hostel um. „Ich habe keins gefunden. Also haben wir selbst eins eröffnet“, erklärt er. Seine erste Amtshandlu­ng: ein Klavier im Eingangsbe­reich platzieren, um jeden Tag darauf spielen zu können.

Aus der Rezeption wurde ein Ort der Reflexion. Musiker aus der Umgebung machten das „Chicag‘ Hostel“in nächtelang­en Jam-Sessions zum Mittelpunk­t einer jungen Kulturszen­e. Stammgäste überredete­n ihn, beim Jazz-Konservato­rium in Toulon vorzuspiel­en. Er tat es und wurde ohne Nachweise einer musikalisc­hen Vorbildung angenommen.

Björn Gottschall

Nach einem Jahr stellte er allerdings erneut fest, „dass Musikschul­en für mich einfach nichts sind.“

Wenig später musste das Paar die Herberge schließen. Wieder kam es zu einem Ortswechse­l. Wieder stand Gottschall vorerst ohne Klavier da. Mit der nun schwangere­n Clara ging es zurück nach Berlin, wo er die junge Familie wieder mit unterschie­dlichen Jobs und Straßenmus­ik über Wasser hielt. Doch: „Der Drang, nur noch Musik zu machen, wurde immer stärker“, erinnert er sich. Ein neues Projekt musste her. So wurde Gottschall 2016 zum Herbergsva­ter in den französisc­hen Alpen. Im Herzen des Vanoise-Nationalpa­rks, etwa 200 Kilometer östlich von Lyon, lebt und arbeitet er mit seiner Familie auf 2120 Metern Höhe.

„Das bringt uns im Sommer ganz gute Einnahmen. Ich konnte mich acht Monate lang auf die Musik konzentrie­ren und das Album produziere­n“, erklärt der Weltenbumm­ler, der den Rest des Jahres mit Freundin Clara und den beiden gemeinsame­n Kindern im 1000 Kilometer südwestlic­h gelegenen Biarritz an der Atlantikkü­ste lebt. Sein Piano nimmt er mittlerwei­le in einem kleinen Bus mit auf Reisen. Oder besser: Auf die Suche: „Ich suche immer schon nach der Melodie, bei der die Leute beim Zuhören sagen: Wow, da tut sich was in meinem Herzen“, sagt Gottschall und ergänzt: „Ich will mit Tönen malen und Geschichte­n erzählen, die nicht aus einer realen Welt stammen.“

Das Ergebnis ist ein in der Grundstimm­ung melancholi­sches und nachdenkli­ches, aber trotzdem leichtes Werk. Die Zuhörer werden in allen sechs Stücken durch zarte Harmonien geführt, die bei jedem Hören eine neue Geschichte erzählen. „Marche sur la lune“hat seine Wurzeln in der Klassik, ist aber unverkennb­ar eine Geburt unserer Zeit. Und klingt ein bisschen nach Chilly Gonzales oder Yann Tiersen. Erhältlich ist das in Eigenprodu­ktion entstanden­e und ohne Label vermarktet­e Album auf Gottschall­s Internetse­ite und auf allen gängigen Musik-Plattforme­n wie Spotify, Deezer, Itunes usw.

„Ich will mit Tönen malen und Geschichte­n erzählen, die nicht aus einer realen Welt stammen.“

 ?? FOTO: CLARA MASSIN ?? Im Herzen des Vanoise-Nationalpa­rks, etwa 200 Kilometer östlich von Lyon, lebt und arbeitet Björn Gottschall mit seiner Familie auf 2120 Metern Höhe. „Das bringt uns im Sommer ganz gute Einnahmen. Ich konnte mich acht Monate lang auf die Musik...
FOTO: CLARA MASSIN Im Herzen des Vanoise-Nationalpa­rks, etwa 200 Kilometer östlich von Lyon, lebt und arbeitet Björn Gottschall mit seiner Familie auf 2120 Metern Höhe. „Das bringt uns im Sommer ganz gute Einnahmen. Ich konnte mich acht Monate lang auf die Musik...

Newspapers in German

Newspapers from Germany