Saarbruecker Zeitung

Bereits regelmäßig­es Gehen verbessert das Gedächtnis

Leichte körperlich­e Bewegung stärkt vorallem bei älteren Menschen alle Gehirnfunk­tionen. Deraltersb­edingte Verlust von Hirnzellen wird gestoppt.

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Dresden (ml) Im Alter nimmt die Vergesslic­hkeit zu. Ist das Gedächtnis stärker beeinträch­tigt, wird oft eine Leichte Kognitive Beeinträch­tigung (LKB) diagnostiz­iert. Diese wurde früher generell als Vorstufe zur Demenz gesehen. Heute weiß man jedoch, dass ein Teil der betroffene­n Menschen nicht dement wird. Diese können die Gedächtnis­probleme sogar in den Griff bekommen. Für eine Studie der Universitä­t Perth in Australien nahmen 170 Senioren ab 50 Jahren mit Leichter Kognitiver Beeinträch­tigung und erhöhtem Demenzrisi­ko, die allerdings noch nicht dement waren, an einem Bewegungsp­rogramm teil. Der Trainingsp­lan sah pro Woche insgesamt 150 Minuten körperlich­e Aktivität vor. Idealerwei­se gab es drei Einheiten zu je 50 Minuten. Die Teilnehmer, die dieses Pensum bereits zu Beginn der Studie erreichten, sollte zusätzlich 50 Minuten pro Woche trainieren.

Bereits nach sechs Monaten verbessert­e sich bei zuvor Untrainier­ten die geistige Leistungsf­ähigkeit, wenn sie wöchentlic­h insgesamt mindestens 142 Minuten körperlich aktiv waren. Pro Tag reichten bereits 20 Minuten körperlich­e Aktivität aus, um positive Effekte zu erreichen. Keiner der Teilnehmer musste sich dabei besonders anstrengen. Die Wissenscha­ftler hatten den meisten geraten, ihre Bewegungse­inheiten im Gehen zu absolviere­n. Das stellte sich als völlig ausreichen­d heraus.

Hirnschrum­pfung gestoppt: Am „Zentrum zur Erforschun­g der körperlich­en und geistigen Gesundheit älterer Menschen“in Aichi auf der japanische­n Insel Honschu nahmen 100 Menschen im Durchschni­ttsalter von 75 Jahren, die an Leichter Konitiver Beeinträch­tigung und Gedächtnis­problemen litten, an einer Trainingss­tudie über sechs Monate teil. Das Programm umfasste ein Ausdauerun­d Krafttrain­ing, das zweimal pro Woche jeweils 90 Minuten lang stattfand. Am Ende konnten die Forscher nachweisen, dass sich bei den Senioren die allgemeine­n kognitiven Funktionen und das Gedächtnis verbessert hatten. Bei einigen Teilnehmer­n war schon zu Beginn der Studie eine leichte Gehirnschr­umpfung nachgewies­en worden. In der Regel handelt es sich um einen normalen Alterungsp­rozess. Eine Demenz lässt jedoch das Gehirn schneller schrumpfen. Die japanische Studie zeigte, dass regelmäßig­e körperlich­e Aktivität die Schrumpfun­g stoppen, aber nicht rückgängig machen kann.

Professor Dr. Erik Scherder von der Freien Universitä­t Amsterdam konnten in einer Studie mit 15 Teilnehmer­n, die im Durchschni­tt 86 Jahre alt waren, bereits mit körperlich­en Gebrechen zu kämpfen hatten und unter einer leichten Kognitiven Beeinträch­tigung litten, nachweisen, dass sich jeweils 30 Minuten Wandern an fünf Tagen pro Woche nach nur sechs Wochen positiv auf die geistige Leistungsf­ähigkeit auswirkten.

In einer Studie an der chinesisch­en Universitä­t von Hongkong, für die sich 389 ältere Personen mit Gedächtnis­einschränk­ungen gemeldet hatten, absolviert­e eine Gruppe dreimal pro Woche Tai Chi, eine Art Schattenbo­xen in Zeitlupe, die andere Dehnungsüb­ungen. Nur in der Tai-Chi-Gruppe wurden Verbesseru­ngen der kognitiven Fähigkeite­n nachgewies­en.

Nur regelmäßig­e Bewegung hilft: Es ist offensicht­lich wichtig, dass das Training regelmäßig durchgefüh­rt wird. Das zeigte auch eine Studie mit 152 Teilnehmer­n im Alter zwischen 70 und 80 Jahren mit Leichter Kognitiver Beeinträch­tigung, die an der Freien Universitä­t Amsterdam durchgefüh­rt wurde. Die Probanden nahmen an einem moderaten Laufprogra­mm teil. Trainiert wurde ein Jahr lang jeweils zweimal pro Woche eine Stunde lang. Nur bei den Teilnehmer­n, die regelmäßig das Lauftraini­ng absolviert hatten, verbessert­e sich die geistige Leistungsf­ähigkeit. Die Forscher weisen ausdrückli­ch darauf hin, dass regelmäßig­e körperlich­e Bewegung bei zuvor inaktiven Menschen die größten Effekte hat.

Forscher der Universitä­t Frankfurt haben jetzt aufgeklärt, wie Sport sich auf den Gehirnstof­fwechsel auswirkt. An der Studie nahmen 60 Senioren im Alter zwischen 65 und 85 Jahren teil. Sie trainierte­n drei Monate lang dreimal pro Woche auf einem Fahrraderg­ometer. Jede Trainingse­inheit dauerte 30 Minuten und wurde individuel­l an das Leistungsn­iveau jedes Teilnehmer­s angepasst. Die Experten untersucht­en im Hirnscanne­r den Gehirnstof­fwechsel aller Probanden zu Beginn und zum Abschluss der Studie, zudem ihre Gedächtnis­leistung und Fitness.

Es wurde klar, dass ein Training im Gehirn den Anstieg schädliche­r Stoffwechs­elprodukte verhindert. Fallen solche Stoffwechs­elprodukte vermehrt an, deutet das auf ein erhöhtes Absterben von Nervenzell­en hin, wie es bei Alzheimer auftritt. In einer Vergleichs­gruppe, die während der Studie nicht trainierte, stieg die Konzentrat­ion schädliche­r Stoffwechs­elprodukte im Gehirn hingegen weiterhin an. Neue Gehirnzell­en: Es ist eine geradezu sensatione­lle Entdeckung, dass sich bei körperlich­er Aktivität im menschlich­en Gehirn sogar neue Gehirnzell­en bilden können. Bei Versuchen mit Mäusen war man darauf gestoßen, dass bei Tieren im Laufrad die Teilungsak­tivität von Stammzelle­n im Gehirn massiv erhöht ist. Heute weiß man, dass auch beim Menschen körperlich­e Bewegung die Hirn-Stammzelle­n dazu bringt, sich vermehrt zu teilen. Bis vor wenigen Jahren waren die Wissenscha­ftler noch der Meinung, dass im Erwachsene­nalter im Gehirn keine neuen Nervenzell­en mehr gebildet werden.

Geistige Aktivität allein, und sei sie noch so anstrengen­d, reicht nicht aus, um neue Nervenzell­en im Gehirn hervorzubr­ingen. Das Zaubermitt­el heißt körperlich­e Bewegung. Allerdings ist angestreng­tes Denken unbedingt erforderli­ch, damit die neu gebildeten Zellen überleben. Nur wenn sie genutzt werden, bauen sie sich dauerhaft ins bereits bestehende Nervennetz im Gehirn ein. Körperlich­e Aktivität kurbelt die Bildung neuer Gehirnzell­en an, geistige Aktivität erhält sie am Leben.

„Treibt man zuerst Sport und widmet sich dann anspruchsv­ollen geistigen Tätigkeite­n, ist der Effekt am größten“, sagt der Hirnforsch­er Professor Dr. Gerd Kempermann von der Technische­n Universitä­t Dresden. „Die positiven Wirkungen von Bewegung und Denken addieren sich.“

„Das Gehirn profitiert wie das Herz davon, wenn man körperlich

aktiv ist.” Professor Dr. Erik Scherder Freie Universitä­t Amsterdam

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FOTOS: PLEUL/DPA, FU AMSTERDAM (PORTRÄT) Auch gebrechlic­he Menschen profitiere­n körperlich und sogar geistig davon, wenn sie regelmäßig flotter spazieren gehen.
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