Saarbruecker Zeitung

Saarbrücke­r Schule sucht nach Skandal Normalität

Ein dramatisch­er Brandbrief der Lehrer brachte die Gemeinscha­ftsschule bundesweit in die Schlagzeil­en. Nun soll alles besser werden.

- Produktion dieser Seite: Gerrit Dauelsberg Pascal Becher VON GERRIT DAUELSBERG

SAARBRÜCKE­N Mathematik zum Mitmachen, Schüler-Theater auf Englisch, Aufführung­en der Keyboard-AG – die Saarbrücke­r Gemeinscha­ftsschule Bruchwiese zeigt sich an diesem Samstag von ihrer besten Seite. Eltern dürfen sich am Tag der offenen Tür ein eigenes Bild von der Schule machen, die im vergangene­n Dezember bundesweit negative Schlagzeil­en machte. Eltern wie Linda Budell. Sie sieht den Lehrer-Hilferuf, den die Saarbrücke­r Zeitung öffentlich machte, sogar als eine Chance für die Schule. „Sie ist dadurch in den Fokus gerückt“, sagt Budell. So biete sich für die Bruchwiese jetzt die Gelegenhei­t, sich weiterzuen­twickeln.

Das deckt sich mit dem, was Schulleite­rin Pia Götten sagt. Seit der Brandbrief an die Öffentlich­keit gelangt ist, werde ihr kaum ein Wunsch abgeschlag­en. So könnten Lehrer von der Bruchwiese noch ganz unbürokrat­isch an Fortbildun­gen teilnehmen, auch wenn diese eigentlich schon ausgebucht seien. Und auch die Politik wurde vorstellig. Die Landtags-Fraktionen von CDU und SPD schickten Delegation­en. Bei mehrstündi­gen, konstrukti­ven Gesprächen seien der Schule zusätzlich­e pädagogisc­he Fachkräfte in Aussicht gestellt worden. Die sind auch dringend notwendig, betont Götten: „Wir brauchen Unterstütz­ung!“

Die Schulleite­rin weiß, dass sich die Probleme an der Schule nicht von einem auf den anderen Tag lösen lassen. In dem Brandbrief vom Juni 2017, der unter anderem an das Bildungsmi­nisterium ging, hatte das Kollegium verheerend­e Zustände an der Bruchwiese geschilder­t: tägliche verbale Entgleisun­gen, schwerste Beleidigun­gen von Lehrern, massive Gewalt – auch mit Messern –, Alkoholund Drogenkons­um. Seit der Brief im Dezember öffentlich wurde, habe es keine weiteren gravierend­en Vorfälle gegeben, versichert Götten. Sie sagt aber auch: „Wir haben hier halt einige sehr verhaltens­auffällige Schüler.“Laut Brandbrief hat an der Bruchwiese jeder siebte Schüler einen sonderpäda­gogischen Förderbeda­rf, ein Drittel davon wiederum im emotional-sozialen Bereich. Dazu kommt noch ein hoher Anteil an Schülern mit Migrations­hintergrun­d. Zuletzt bezifferte die Schule ihn auf zirka 75 Prozent. Das schafft zusätzlich­e Herausford­erungen etwa durch Sprachbarr­ieren. Unterm Strich eskalierte die Situation mehrfach an der Bruchwiese, so dass laut Brandbrief sogar die Polizei anrücken musste – etwa als sich Schüler der achten Klasse heftig prügelten.

Neuntkläss­lerin Maria hat an der Schule durchaus einige schlimme Vorfälle mitbekomme­n, wie sie sagt. Allerdings glaubt sie, dass es so etwas an jeder Schule gibt. Das denkt auch ihre Mutter Siena Rosina. Trotzdem gibt sie zu, dass ihr der Brandbrief zu denken gegeben hat. Zumal sie jetzt vor der Entscheidu­ng stand, ob sie auch ihre jüngere Tochter Sharon an der Schule anmelden soll. Das wird sie nun tun: „Die Kleine will unbedingt“, sagt Rosina. Außerdem seien die Lehrer sehr nett. An ihnen liegt es ihrer Ansicht nicht, dass die Schule derart negativ von sich reden machte. „Die Erziehung kommt von zuhause“, sagt die Italieneri­n. Ihre Eltern hätten ihr Respekt beigebrach­t.

Dass Höflichkei­t an der Bruchwiese kein Fremdwort ist, beweist Angelina Zeimet. Die Neuntkläss­lerin ist Schülerspr­echerin und kümmert sich am Tag der offenen Tür um die Gäste. Sie zeigt das Multi-Kulti-Buffett mit Spezialitä­ten aus aller Welt, den Musikraum und das Schüler-Café. „Es ist gar nicht so schlimm an der Schule“, versichert sie. Zwar seien die Vorfälle, die in dem Brief geschilder­t wurden, alle so passiert. Doch das seien Einzelfäll­e. „Wir brauchen mehr Lehrkräfte“, sagt Angelina, „dann wird das hier alles auch geregelter ablaufen.“Dass die Schule inzwischen bundesweit verschrien ist, habe die Schüler zusammenge­schweißt, betont sie.

Das bestätigt auch Schulleite­rin Götten: Kurz nach der Medien-Lawine durch den Brandbrief hätten Bruchwiese­n-Schüler einen Rap gedichtet. Tenor: „Wir sind keine Assi-Schule! Jetzt erst recht!“Das Motto nimmt sich auch die Schulleitu­ng zu Herzen und blickt in die Zukunft. Und auf neue Projekte. „Wir wollen einen erlebnispä­dagogische­n Ansatz wählen, um besser an die Kinder heranzukom­men“, sagt Götten. Dafür wird die Schule mit dem Landesinst­itut für präventive­s Handeln zusammenar­beiten. Konkret sollen die Kinder lernen, Aufgaben durch Zusammenar­beit zu lösen. Eine Überlegung ist, mit jeder sechsten Klasse in Jugendherb­ergen zu fahren, die auf diesen Ansatz setzen. In einem persönlich­en Gespräch hat Saar-Bildungsmi­nister Ulrich Commerçon (SPD) Götten zudem zugesagt, die Schule in ein neu aufgelegte­s Programm aufzunehme­n. Hierbei soll die Bruchwiese profession­elle Unterstütz­ung von der Deutschen Schulakade­mie bekommen.

Ab dem nächsten Schuljahr können Schüler an der Bruchwiese auch ihr Abitur machen. Allein von ihren zehnten Klassen werden 24 Schüler in die neue Oberstufe eintreten, sagt Götten nicht ohne Stolz. Und auch Linda Budell wird ihre Tochter Leonie für die elfte Klasse an der Bruchwiese anmelden. In ihrem vergangene­n Zeugnis hatte sie einen Notenschni­tt von 1,6. Als Götten das hört, strahlt sie über das ganze Gesicht. „Donnerwett­er!“, sagt die Schulleite­rin. „Solche Schüler können wir hier gut gebrauchen.“

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FOTO: IRIS MAURER Beim Tag der offenen Tür am Samstag zeigte sich die Gemeinscha­ftsschule Bruchwiese von ihrer besten Seite. Hier wohnen auch Eltern einem naturwisse­nschaftlic­hen Experiment bei.
 ?? FOTO: MAURER ?? Die Leiterin der Gemeinscha­ftsschule Bruchwiese, Pia Götten.
FOTO: MAURER Die Leiterin der Gemeinscha­ftsschule Bruchwiese, Pia Götten.

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