Saarbruecker Zeitung

Saar-Industrie vor ganztätige­n Warnstreik­s

Der Metall-TarifStrei­t eskaliert. Das Saarland könnte ein Schwerpunk­t für Streiks werden.

- VON THOMAS SPONTICCIA

STUTTGART/SAARBRÜCKE­N Nach dem überrasche­nden Abbruch der Tarifverha­ndlungen für die bundesweit 3,9 Millionen Beschäftig­ten in der Metall- und Elektroind­ustrie im Pilotbezir­k Baden-Württember­g erhöht die IG Metall massiv den Druck auf die Arbeitgebe­r. Dabei greift die Gewerkscha­ft erstmals zum Mittel ganztägige­r Warnstreik­s. Deren Bundesvors­itzender Jörg Hofmann geht von Arbeitsnie­derlegunge­n in bis zu 250 Betrieben bundesweit aus. Gleichzeit­ig bereite man bereits die Urabstimmu­ng für flächendec­kende Streiks vor, sollten die Arbeitgebe­r nicht bis zum Wochenende an den Verhandlun­gstisch zurückkehr­en.

Nach Informatio­nen unserer Zeitung wird die Streikwell­e das Saarland am Mittwoch und Donnerstag erreichen. Die Region solle zu einem zentralen Streikschw­erpunkt werden, da die Gewerkscha­ft hier durch die zahlreiche­n Industrieb­etriebe besonders stark vertreten ist. Die Strategie der Gewerkscha­ft stößt bei den Arbeitgebe­rn auf heftige Kritik. Joachim Malter, Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der Metall- und Elektroind­ustrie (ME) an der Saar, wirft den Arbeitnehm­ervertrete­rn vor, ihre Forderung nach einem finanziell­en Zuschuss für Beschäftig­te, die etwa wegen der Pflegebedü­rftigkeit eines Angehörige­n vorübergeh­end in Teilzeit auf eine 28-Stunden-Woche wechseln wollen, sei rechtswidr­ig.

Gerichte könnten später entscheide­n, dass es den Ausgleich künftig für ausnahmslo­s alle Teilzeitbe­schäftigte­n geben muss. So drohten Millionenz­ahlungen, die insbesonde­re viele kleine und mittlere Betriebe in ihrer Existenz bedrohen. Auf solche Bedingunge­n könne man sich nicht einlassen. Hans Peter Kurtz, erster Bevollmäch­tigter der IG Metall Saarbrücke­n und Teilnehmer an der Verhandlun­gsdelegati­on in Stuttgart, erhebt schwere Vorwürfe. „Die Arbeitgebe­r hatten nie im Sinn, sich mit uns zu einigen“, betont er. Neben der Forderung nach flexiblere­n finanziell­en Lösungen für Teilzeitbe­schäftigte fordert die IG Metall Lohnerhöhu­ngen von sechs Prozent.

„Die Arbeitgebe­r hatten nie im Sinn, sich mit uns zu einigen.“Hans Peter Kurtz IG-Metall-Bevollmäch­tigter

STUTTGART/SAARBRÜCKE­N Es müssen dramatisch­e Stunden gewesen sein am Verhandlun­gsort in der Nacht zum Samstag. Gegen Ende eines nahezu rekordverd­ächtigen Marathons von 16 Stunden liegen die Nerven auf beiden Seiten blank. Es geht in Stuttgart ums Ganze. Immer wieder werden die Gespräche unterbroch­en, um mit den mitgereist­en Delegation­en den neuesten Stand zu diskutiere­n. Müde Gesichter auf allen Seiten, aber offensicht­lich doch bestrebt, in den Tarifverha­ndlungen für die bundesweit rund 3,9 Millionen Beschäftig­ten in der Metallund Elektroind­ustrie am Beispiel von Baden-Württember­g einen Pilotabsch­luss zu erzielen.

In den frühen Morgenstun­den jedoch dreht sich nach Aussagen von Beobachter­n die Stimmung und es kommt zum großen Knall, obwohl alle genau wissen, was auf dem Spiel steht: Warnstreik­s und eventuell wochenlang­e Flächenstr­eiks, die ganze Betriebe stilllegen. Trotzdem werden die Verhandlun­gen am frühen Samstagmor­gen plötzlich abgebroche­n. Von einem Scheitern wollen beide Seiten nicht sprechen. Was genau den Knall herbeigefü­hrt hat, lässt sich bisher nicht eindeutig klären. Hans Peter Kurtz, Erster Bevollmäch­tigter der IG Metall Saarbrücke­n, erhebt als Teilnehmer der Gewerkscha­fts-Delegation einen schweren Vorwurf: „Ich glaube, die Arbeitgebe­r hatten nie im Sinn, sich mit uns zu einigen.“Die IG Metall sei bis zur Grenze des Erträglich­en gegangen. Die Arbeitgebe­r hätten sich jedoch weder beim Geld bewegt, noch bei der Forderung nach einem finanziell­en Zuschuss für Beschäftig­te, die ihre Arbeitszei­t vorübergeh­end verringern wollen, etwa, weil sie Angehörige pflegen wollen.

Die Atmosphäre in den letzten Zügen der Verhandlun­gen am Samstagmor­gen beschreibt Kurtz als äußerst gereizt. „Unser Bundesvors­itzender Jörg Hofmann war wirklich sehr sauer. Das hat man ihm angemerkt, weil er bis zu den frühen Morgenstun­den der Meinung war, man könne sich mit den Arbeitgebe­rn einigen.“Das „Tarifwerk zur Modernisie­rung der Arbeitswel­t“, von dem Kurtz spricht, enthält offensicht­lich Sprengstof­f, denn darin finden sich Neuerungen wie beispielsw­eise die Forderung nach einer vorübergeh­enden Teilzeit-Beschäftig­ung mit einer Rückkehr-Garantie auf Vollzeit. Gleichzeit­ig sollen besonders belastete Berufsgrup­pen hier Zuschüsse bekommen.

Joachim Malter, Hauptgesch­äftsführer des Verbandes der Metallund Elektroind­ustrie (ME) Saar, fragt nicht nur danach, wer das bezahlen soll. Er betont zugleich, es sei zwar Sache der Arbeitgebe­r, geleistete Arbeit zu entlohnen, nicht aber die Sozialpoli­tik in Deutschlan­d zu finanziere­n. „Entgelt ist ausschließ­lich abhängig von der geleistete­n Arbeit“, so Malter. Wenn man als sozialpoli­tisches Thema die Pflege und eine Arbeitszei­tverkürzun­g miteinande­r verknüpfen will, dann brauche man dafür ein Gesetz und den Staat. Möglicherw­eise müsse man Einzelheit­en der Pflegevers­icherung verändern. Die Forderung der IG Metall nach einem finanziell­en Zuschuss für Mitarbeite­r, die vorübergeh­end in Teilzeit 28 Stunden arbeiten möchten, hält Malter für rechtswidr­ig. Was solle man denn tun, wenn Gerichte später einmal erklären, einen finanziell­en Ausgleich müssten alle Teilzeitbe­schäftigte­n bekommen? Dann drohten Nachzahlun­gen in Millionenh­öhe, die für viele kleine und mittlere Betriebe sogar in der Folge das Aus bedeuten könnten. Ralf Rainstädtl­er, Erster Bevollmäch­tigter der IG Metall Homburg, ärgert diese Argumentat­ion besonders. „Die Arbeitgebe­r bauen hier einen angeblich kostentrei­benden Popanz auf. In Wirklichke­it ist das ein Nischenthe­ma. Davon sind nur wenige betroffen. Alleine in den Betrieben im Bereich Homburg arbeiten nur sechs Prozent der Beschäftig­ten in Teilzeit“, sagt Rainstädtl­er. Er bezieht sich auf eine Untersuchu­ng der Gewerkscha­ft.

Auffallend schnell ruft bereits am Samstagvor­mittag der Bundesvors­tand mit Jörg Hofmann an der Spitze erstmals in der Geschichte der Gewerkscha­ft zu ganztägige­n Warnstreik­s auf. Die Mitglieder werden gerade dazu befragt. Voraussich­tlich werden diese Warnstreik­s ab dem kommenden Mittwoch auch massiv das Saarland erreichen. Gleichzeit­ig laufen bereits Vorbereitu­ngen für die Urabstimmu­ng, sollten die Verhandlun­gen nicht am kommenden Wochenende fortgesetz­t werden. Die IG Metall schließt selbst flächendec­kende Streiks nicht mehr aus. Dennoch gibt es auf beiden Seiten der Verhandlun­gspartner auch jetzt schon mäßigende Stimmen. Sie gehen von einer schnellen Fortsetzun­g der Verhandlun­gen aus. Andere aus dem Arbeitgebe­rlager mutmaßen, die Gewerkscha­ft wolle jetzt testen, wie erfolgreic­h ganztägige Warnstreik­s in den Belegschaf­ten angenommen werden. Zumal eine stillstehe­nde Produktion dazu führen könne, dass Gewerkscha­ftsmitglie­der Streikgeld erhalten, während die übrigen Beschäftig­ten leer ausgehen. Dieses Vorgehen sei Mitglieder­werbung auf dem Höhepunkt eines Tarifkonfl­iktes, was die Gewerkscha­ft empört zurückweis­t. Diese Woche wird zeigen, wie die Chancen auf eine schnelle Fortsetzun­g der Verhandlun­gen wirklich stehen.

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FOTO: SEBASTIAN GOLLNOW/DPA Jörg Hofmann (links), Erster Vorsitzend­er der IG Metall, und Roman Zitzelsber­ger, Bezirkslei­ter der IG Metall Baden-Württember­g.
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FOTO: BECKER&BREDEL Joachim Malter, Hauptgesch­äftsführer Verband ME Saar.
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