Saarbruecker Zeitung

Wenn schon Brexit, dann möglichst harmlos

Die EU treibt ihre Vorbereitu­ngen für den Austritt Großbritan­niens voran – auch heute wird beraten. Aber was, wenn der Spuk plötzlich ein Ende fände?

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Die Europäisch­e Union und Großbritan­nien treiben zwar die Vorbereitu­ngen der für 2019 geplanten Trennung systematis­ch voran – so an diesem Montag, wenn die 27 bleibenden EU-Länder ihre Linie für die nächste Verhandlun­gsetappe festzurren. Aber je näher diese historisch beispiello­se Scheidung rückt, je komplizier­ter die tausend Einzelfrag­en werden, je düsterer die Folgen scheinen, desto williger klammert man sich in Brüssel an den letzten kleinen Strohhalm.

Neulich erst rief EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk im Europäisch­en Parlament den Briten zu: „Unsere Herzen sind immer noch offen für Sie!“Worauf Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker einstimmte: „Ich hätte nicht gerne, wenn dies in London überhört wird.“Und dessen Vize Frans Timmermans meinte, selbstvers­tändlich bleibe die Tür offen.

Ermuntert fühlten sich alle drei offenbar durch einen eigenartig­en Vorstoß des britischen Europaabge­ordneten Nigel Farage. Der ehemalige Chef der rechtspopu­listischen Ukip-Partei ist seit dem Brexit-Referendum 2016 bekannt als einer der verbissens­ten EU-Verächter. Doch brachte er zu Jahresbegi­nn eine zweite Volksabsti­mmung ins Gespräch – in der Absicht, mit einem noch eindeutige­ren Ergebnis den glatten Bruch mit Brüssel endlich unumkehrba­r zu machen. Premiermin­isterin Theresa May wies dies weit von sich, ebenso wie jeden Zweifel an ihrem Mantra: „Brexit heißt Brexit“. Doch in Brüssel horchte man auf. Hatte doch im Dezember eine Umfrage des Instituts BMG Research in Großbritan­nien eine Mehrheit für den Verbleib in der EU ermittelt. Eine sehr knappe Mehrheit allerdings, gerade mal 51 Prozent – nur einen Hauch besser als das Ergebnis des Referendum­s 2016, als rund 48 Prozent der Teilnehmer Ja zur EU sagten.

Donald Tusk

Selbst wenn eine neue Abstimmung knapp anders herum ausginge – an der tiefen Spaltung der britischen Gesellscha­ft würde dies nichts ändern, meint Guntram Wolff, Direktor der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. „Deshalb ist meine politische Einschätzu­ng: Man muss jetzt den Brexit durchziehe­n.“

Sein Kollege Andrew Duff vom European Policy Centre hat das Szenario eines Rückzieher­s gerade haarklein durchgespi­elt und kommt zu dem Ergebnis, dass es rechtlich keine Hinderniss­e gebe. Trotzdem glaubt auch Duff nicht daran. „Es ist schwer zu übertreibe­n, wie sehr Großbritan­nien in Ungnade gefallen ist“, schreibt der ehemalige liberaldem­okratische Europaabge­ordnete. Zu sehr hätten die Briten in Brüssel genervt, zu sehr habe sich die EU inzwischen an den Gedanken gewöhnt, die exzentrisc­hen Cousins von der Insel bald nicht mehr im Familienra­t zu haben.

Und so werden sich die Unterhändl­er beider Seiten in den nächsten Monaten durch die Berge ungelöster Probleme wühlen – von Länge und Bedingunge­n der Übergangsf­rist nach dem Brexit, die bis März geklärt sein sollen, bis hin zur Grundsatzf­rage, wie man sich trennt – und dann aber möglichst genauso eng beieinande­r bleibt.

In Brüssel sticheln Diplomaten, die Briten wüssten ja immer noch nicht, was sie wollten. Am klarsten sei noch die Forderung von Brexit-Minister David Davis nach einem „Ceta plus plus plus“– einem Handelskom­men wie mit Kanada, nur eben viel enger und vorteilhaf­ter für Großbritan­nien samt Zugang der britischen Finanzwirt­schaft zum EU-Binnenmark­t.

Bei der EU sieht man wenig Spielraum für so einen Pakt, solange Großbritan­nien die Pflichten des Binnenmark­ts und der Zollunion nicht akzeptiere­n will. Aber auch da hofft mancher noch auf ein spätes Einlenken. Wenn schon Brexit, dann möglichst harmlos: Norwegen ist doch auch Teil des Binnenmark­ts, ohne EU-Mitglied zu sein.

„Unsere Herzen sind immer noch

offen für Sie.“

EU-Ratspräsid­ent

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