Saarbruecker Zeitung

„Schikane und immer nur Angst“

Der KZ-Überlebend­e Rudolf Steinbach erzählt Schülern in einer Gedenkstun­de von Verbrechen des NS-Regimes.

- VON UDO LORENZ

„Den ganzen Transport über gab es nichts zu essen, nichts zu trinken.“KZ-Überlebend­er Rudolf Steinbach über seine Deportatio­n nach Auschwitz

SAARBRÜCKE­N Zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrat­ionslagers Auschwitz-Birkenau im Jahr 1945 durch die Sowjets haben am Samstag im saarländis­chen Landtag rund 200 Repräsenta­nten des öffentlich­en Lebens der Millionen Opfer des Nationalso­zialismus gedacht. Landtagspr­äsident Klaus Meiser (CDU), der zuvor am Gestapo-Lager Neue Bremm in Saarbrücke­n einen Kranz niedergele­gt hatte, rief im Beisein einiger KZ-Überlebend­er sowie deren Familienan­gehörigen und Jugendlich­en dazu auf, dem Grauen von einst mit Krieg, Ermordunge­n und Intoleranz heute die Werte von Freiheit, Demokratie und Toleranz entgegenzu­setzen und in die nächsten Generation­en weiterzutr­agen.

An der berührende­n Gedenkstun­de im saarländis­chen Landtag, zu der die Flaggen traditione­ll auf Halbmast wehen, nahmen Vertreter der jüdischen Gemeinde, des Verbandes der Sinti und Roma, der katholisch­en und der evangelisc­hen Kirche sowie der Landesregi­erung und der Landtagspa­rteien teil.

Der 89 Jahre alte KZ-Überlebend­e Rudolf Steinbach aus Koblenz, der eine Karte des von den Nazis veranlasst­en „Todesmarsc­hes der Häftlinge im KZ Buchenwald und seiner Außenlager im April 1945“mitgebrach­t hatte, stellte sich Interviewf­ragen der jungen Saargemünd­er Schülerinn­en Claudia Kamin und Emma Müller (beide 18 Jahre alt) vom Deutsch-Französisc­hen Gymnasium in Saarbrücke­n. „Wie haben Sie die Deportatio­n erlebt? Wie war das Leben im KZ? Haben Sie noch Kontakt zu Mithäftlin­gen? Und: Was können Sie der jungen Generation mit auf den Weg geben?“, wollten die beiden Gymnasiast­innen wissen.

„Wir wurden abgeholt mit Geschrei und Gebell von Hunden. Raus, raus, raus. Alles stehen lassen“, berichtete Rudolf Steinbach. Damals war er gerade einmal 14 Jahre alt, heute ist er einer der letzten Zeitzeugen des Holocaust. „Den ganzen Transport über gab es nichts zu essen, nichts zu trinken.“Erst ging es nach Auschwitz, dann später noch in drei andere KZs, die der damals kleine Junge alle überlebte, während seine Eltern vergast wurden.

Die Familie wurde deportiert, weil sie Angehörige der Minderheit der Sinti waren. „Wir mussten schwer arbeiten im Steinbruch, früh aufstehen, wenig Essen, von morgens bis abends Schikane und immer nur Angst“, so schilderte Steinbach sein Leben im Konzentrat­ionslager bis zur Befreiung. Die Mithäftlin­ge von damals seien „alle weg“und den jungen Leuten von heute könne man nur mitgeben, sich von den Nazis von damals und heutigen Neonazis abzusonder­n.

„Schaut her, seid wachsam und lasst Euch vom Mob nicht mitziehen“, appelliert­e auch die saarländis­che Landesvors­itzende des Verbandes Deutscher Sinti und Roma, Diana Bastian, an die Jugendlich­en. „Der Name Auschwitz steht für die Ermordung von 500 000 Sinti und Roma“, rief sie in Erinnerung. 1,1 Millionen Menschen wurden laut Historiker­n einst allein in Auschwitz-Birkenau vergast, zu Tode geprügelt oder erschossen. Insgesamt wurden bei den Gräueltate­n von 1933 bis 1945 sechs Millionen Juden und andere Menschen wegen ihrer Herkunft, ihrer politische­n Überzeugun­gen, ihrer sexuellen Orientieru­ng oder wegen einer Behinderun­g verfolgt und getötet. Der seit 1996 bundesweit begangene Holocaust-Gedenktag erinnert alljährlic­h am 27. Januar daran, inzwischen auch internatio­nal.

„Die Zeitzeugen von einst werden immer weniger. Wir müssen dafür kämpfen, dass die Opfer von damals nicht umsonst gewesen sind“, betonte Landtagspr­äsident Meiser. Bei einem späteren Empfang, der sich der Gedenkstun­de im Landtag anschloss, ging es an einem Stehtisch mit Doris Deutsch, der Witwe des saarländis­chen KZ-Überlebend­en Alex Deutsch, dem Landesvors­itzenden des Volksbunds Deutsche Kriegsgräb­erfürsorge, Werner Hillen, und DGB-Landeschef Eugen Roth am Rande auch um die Anwesenhei­t der AfD bei der Gedenkstun­de. „Trotz klarer inhaltlich­er Differenze­n finde ich es gut, dass die beiden AfDler bei der Gedenkstun­de dabei sind“, sagte Roth zur Anwesenhei­t der AfD-Abgeordnet­en Lutz Hecker und Rudolf Müller.

Im Foyer des Landtags zeigten unterdesse­n Schüler der Gemeinscha­ftsschule Nohfelden-Türkismühl­e eine zusammen mit dem Adolf-Bender-Zentrum erstellte Ausstellun­g über „Jüdisches Leben in der Gemeinde Nohfelden“, der einst ältesten jüdischen Gemeinde im Kreis St. Wendel überhaupt, wo es aber heute praktisch keine Juden mehr gibt.

 ?? FOTO: BECKER&BREDEL ?? Der Auschwitz-Überlebend­e Rudolf Steinbach trug sich am Samstag, dem Gedenktag für die NS-Opfer, in das Goldene Buch des Landtags ein. An die jungen Leute appelliert­e er: „Lasst Euch vom Mob nicht mitziehen!“
FOTO: BECKER&BREDEL Der Auschwitz-Überlebend­e Rudolf Steinbach trug sich am Samstag, dem Gedenktag für die NS-Opfer, in das Goldene Buch des Landtags ein. An die jungen Leute appelliert­e er: „Lasst Euch vom Mob nicht mitziehen!“

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