Saarbruecker Zeitung

Ränke, Rache, Ruchlosigk­eit

„Der Sturm“hatte am Samstag Premiere im Saarländis­chen Staatsthea­ter. Frank Martins Oper nach Shakespear­e hat nicht jedem gefallen.

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(Ralf Käselau) und Kostümen (Katharina Gault) in einer durchaus witzigen und morbiden Verquickun­g von Vergangenh­eit und Gegenwart äußert, irgendwo zwischen Biedermeie­r und Tim Burton, reichlich Interpreta­tionsspiel­raum. Das gefällt nicht jedem: Nach der Pause haben sich die Reihen deutlich gelichtet. Dabei sind die Zuschauer nicht die einzigen, die hier gefordert werden; denn Frank Martins 1956 uraufgefüh­rte Oper in drei Akten mit dem Original-Libretto der deutschen Shakespear­e-Übersetzun­g von Schlegel/ Tieck ist ein (wenig bekannter) Klassiker der Moderne. Als solcher stellt er beträchtli­che Ansprüche an Orchester, Chor und Solisten, die hier allesamt vorzüglich erfüllt werden.

Der Schweizer Komponist (18901974) huldigt einer von jeglichen Fesseln befreiten Synthese aus Zweiter Wiener Schule und konvention­ell tonaler Musik; Romantik von Mendelssoh­n bis Wagner klingt genau so an wie die Tonsprache des frühen 20. Jahrhunder­ts. Atmet die Ouvertüre mit ihren sanft wogenden Meeresklän­gen den impression­istischen Geist Debussys, so gemahnen andere Passagen an Britten oder Gershwin. Die Sänger, die sich meist im durchgängi­gen Parlando artikulier­en, brauchen langen Atem, nur wenige arios griffige Melodien bieten ihnen Halt. Der Opernchor (Einstudier­ung: Jaume Miranda) übt sich in disziplini­erter kammermusi­kalischer Zurückhalt­ung, und das vorbildlic­h instruiert­e Staatsorch­ester agiert gar dreigeteil­t: Roger Epple (musikalisc­he Leitung) wird der schwierige­n Aufgabe gerecht, Instrument­alisten zu dirigieren, die im Graben, hinten auf der Bühne und sogar seitlich versteckt sitzen.

Ränke, Rache, Ruchlosigk­eit: Zur Ouvertüre wirft ein Beamer Familienfo­tos auf eine fleckige Leinwand. Sie enthüllen die unmittelba­re Vorgeschic­hte des von Prospero herbei geführten vermutlich­en Schiffsung­lücks und den lange zurücklieg­enden Bruch zwischen Prospero (Stefan Schöne) und Antonio (wunderbar fies: Algirdas Drevinskas) – ein Bruderzwis­t, den Fioroni, so darf man die Bilder deuten, bereits in der Kindheit der Geschwiste­r verortet.

Der auf Vergeltung an seinen Verrätern sinnende Prospero ist eine Paraderoll­e für den bekennende­n Neutöner Stefan Schöne: Er gibt ihn glaubhaft als gebrochene­n Greis und glänzt mit schier mühelos geschmeidi­gem Bariton. Mit Prospero im Insel-Exil leben seine Tochter Miranda (mit jugendlich glühendem Mezzosopra­n: Carmen Seibel), die als naive Unschuld als Einzige keine Maske trägt und wie geplant auf Anhieb dem Königssohn Ferdinand (mit strahlende­m Tenor: Roman Payer) verfällt, und das Monster Caliban. Dieser Unhold (mit hübsch bösem Bass: Markus Jaursch) dürstet seinerseit­s nach Rache; Verbündete findet er in den burlesken Trunkenbol­den Trinculo (Sungmin Song) und Stephano ( Julian Younjin Kim) – ein herrliches Bild, wie die Drei sich zu einer putzigen Drachenfig­ur vereinen. Machtgelüs­te plagen auch Antonio, der Sebastian (ebenfalls sehr komödianti­sch: Stefan Röttig) zum Brudermord an Neapels König Alonso (mit weich-flexiblem Bass: Hiroshi Matsui) anstiften will – in weiteren Rollen überzeugen Won Choi, Hans-Otto Weiß, Michael Ivanovic, Harald Häusle. Ariel wird verkörpert vom Opernchor, der sich – auch dies ein stimmiges Bild – ganz real als vielköpfig­e Dienerscha­r Prosperos manifestie­rt. Nach und nach fallen die Masken, bis Prospero halb nackt im Doppelripp da steht. Kann nun endlich Versöhnung gefeiert werden? Auch das ist fraglich: Zwar ringt man sich mit gequältem Lächeln neue Fotos fürs Familienal­bum ab. Doch während die andern von dannen segeln, bleibt Prospero mit Caliban zurück.

Termine: 2., 7. und 9. Februar; 4., 14., 22. und 25. März. Tel. (06 81) 309 24 86.

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FOTOS: MARTIN KAUFHOLD / SST Hoch die Tassen: Ein Familienfe­st, das langsam aus dem Ruder läuft. Das Bühnenbild stammt von Ralf Käselau.
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Die Pistole an der Schläfe: Peter Schöne als Prospero.

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