Warum französischer Käse der Gesundheit dient
Natürlich pro duzierter Käse steckt vo ller gesättigter Fettsäuren, die im Verdacht stehen, Arterien zu versto pfen. Do ch der Käse steckt auch vo ller lebender Mikro ben, die unsere Gesundheit fördern können.
„Natürlich hergestellter fetter Käse ist kein
Risiko für eine Herzerkrankung.“Professor Dr. Tim Spector
Universität London
Wissenschaftler und Ärzte an der Universität London beschäftigt seit vielen Jahren, dass in Frankreich im Vergleich zu Großbritannien nur ein Drittel der Herzerkrankungen auftritt. „Und das, obwohl doch die Franzosen regelmäßig Nahrungsmittel wie Käse, Joghurt und Wein genießen“, sagt Professor Dr. Tim Spector, der an der Londoner Uni menschliche Gene und Darmbakterien erforscht. Und die meisten der in Frankreich verzehrten Käsesorten haben einen sehr hohen Fettgehalt. Dabei handelt es sich zum größten Teil um gesättigte Fettsäuren tierischen Ursprungs, die man nach herkömmlicher Ansicht vermeiden sollte.
Fette Nahrung kann zur Folge haben, dass sich Fette in den Arterien ablagern und sie verschließen, was zu Herzattacken führt. Das Fett sammelt sich auch in unserem Körper an und lässt uns dick werden. Ohne Fett können wir allerdings nicht überleben. Fettsäuen sind wesentliche Bausteine für unsere Körperzellen. Die meisten Nahrungsmittel enthalten eine Mischung aus verschiedenen Fettarten: gesättigt, ungesättigt, Transfette. „Die Wissenschaft glaubte lange, sie wüsste, welche Kombinationen von Fetten für uns gut oder schlecht sind, doch in Wahrheit wissen wir das nicht“, sagt Spector.
Käse-Kur: Um das Geheimnis der fitteren Franzosen zu lüften, verordnete der Professor seinem Team an der Uni London und sich selbst eine Käse-Kur. Zum Frühstück, zum Mittagessen und abends gab es tagelang nur Käse zu essen. Feinschmecker Spector hatte dafür drei französische Rohmilchkäse ausgewählt: Brie de Meaux, Roquefort und Epoisses, äußerst würzige und duftende Weichkäse. Ein Ergebnis der Studie hätten auch Nicht-Fachleute vorhersagen können: üble Verstopfungen. Die medizinischen Untersuchungen brachten jedoch Erstaunliches ans Licht. Durch aufwendige Stuhlanalysen fanden die Forscher heraus, dass sich die Darmflora der Käse-Esser verändert hatte.
Gewimmel im Darm: Schon seit einigen Jahren ist bekannt, dass winzige Mikroorganismen in unserem Darm einen weitreichenden Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Der menschliche Darm enthält schätzungsweise 100 Billionen Mikroorganismen, darunter Bakterien, Viren und Pilze. Diese Gemeinschaft wird auch als Mikrobiom bezeichnet. Die Mehrheit der Mikroorganismen ist wesentlich daran beteiligt, die aufgenommene Nahrung aufzuspalten und unserem Körper lebenswichtige Nährstoffe verfügbar zu machen. Die allermeisten Bakterien im Darm sind für unsere Gesundheit also lebenswichtig. Andere hingegen können den Stoffwechsel stören, uns fett machen und Entzündungen entfachen.
Ob sich „gute“oder „schlechte“Bakterien im Darm ansiedeln, hängt auch von unserer Ernährung ab. Generell lässt sich sagen, dass eine westliche Ernährung mit viel Fett und Zucker vor allem Bakterien anlockt, die Übergewicht fördern. Solche Darmbakterien ziehen mehr Energie aus der Nahrung und tragen dazu bei, dass der Organismus mehr Fett einlagert. Zudem fördern sie Entzündungen. Hingegen führt eine ballaststoffreiche Ernährung mit Gemüse, Salat und Vollkornprodukten zu einem Darm-Mikrobiom, das uns gesund hält und Entzündungen im Körper unterdrückt.
Eine solche Darmbesiedlung hat man beispielsweise auch bei Venezolanern aus dem Amazonasgebiet gefunden, die ein vergleichsweise ursprüngliches Leben führen und sich natürlich ernähren. Und was haben nun die Londoner Käse-Esser vorzuweisen? Tim Spectors Mikrobiom wies nach der Käse-Kur eine erstaunliche Zusammensetzung auf. „Die Mikroben aus den
Stuhlproben meines Darms ähnelten eher denen von Venezolanern“, berichtet der Forscher.
Ist es überhaupt möglich, dass fetter Käse voller ungesättigter Fettsäuren zu einer gesunden und vielfältigen Gemeinschaft von Mikroorganismen im menschlichen Darm beiträgt? „Traditionell hergestellter Käse wimmelt von lebenden Mikroorganismen“, lautet die Erklärung von Tim Spector. Diese zersetzen Eiweiße und Fette und machen sich über den Milchzucker im Käse her. Letztlich entsteht Milchsäure. Die Säuerung wird Fermentation genannt. Spector sagt: „Die Mikroorganismen tragen während der Fermentierung dazu bei, die von ihnen bearbeitete Nahrung würzig zu machen, und sie
verhindern, dass sie schimmelt.“Die Wissenschaftler konnten auch nachweisen, dass die Mikroorganismen im Käse die Reise durch den menschlichen Magen und den Darm überlebt hatten. Die Magensäure hatte keineswegs alle Mikroben abgetötet.
Neue Siedler im Darm: Schon nach nur einem Tag Käse-Essen begann sich die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms zu verändern. Vor allem die Menge der Milchsäurebakterien (Lactobacilli) und der Hefe Penicillium nahm zu. Die Mikroorganismen aus dem Käse hatten im menschlichen Darm Fuß gefasst. Da es sich um „gute“Mikroben handelt, die die Gesundheit des Menschen fördern, könnte das die Erklärung dafür sein, warum die Franzosen trotz der vielen gesättigten Fettsäuren im Käse nicht massenhaft vom Herzinfarkten betroffen sind.
Die britischen Forscher betonen, dass es sich bei den meisten Käsen in Frankreich um „richtigen Käse“handelt. Je stärker die Herstellung handwerklich geprägt und somit weniger steril als bei industrieller Herstellung sei, desto vielfältiger seien die Mikroorganismen, die in und auf dem Käse gedeihen. „Die vielen Hundert Mikrobenarten plus die Hefen und Schimmelpilze vor allem auf der Rinde liefern mehr Geschmack als industrielle Zubereitungen“, fügt Feinschmecker Tim Spector hinzu.
Nicht jeder profitiert: Das Käse-Experiment führte allerdings nicht bei allen Beteiligten zum gleichen Ergebnis. Damit bestätigte sich, dass verschiedene Menschen auf die gleiche Ernährung unterschiedlich reagieren. Daher wirken bestimmte Ernährungsweisen und Diäten bei jedem anders. In Tim Spectors Darm war auch zwei Wochen nach dem Käse-Experiment noch eine größere Vielfalt an Mikroben nachweisbar. Dann normalisierte sich alles wieder. Das legt nahe, dass die „guten“Mikroorganismen nicht ohne passenden Nachschub überleben können.
Die Ergebnisse stellen keinen Freibrief für ungezügelten KäseGenuss dar. Denn jedes Fett macht fett, egal ob es aus tierischen oder pflanzlichen Quellen stammt, wie Wissenschaftler der Technischen Universität München nachweisen konnten.
Französische Käse-Forschung: Natürlich interessieren sich auch französische Wissenschaftler für die gesundheitliche Wirkung ihrer nach alter Tradition produzierten Käse. Von der Universität Besançon in Ostfrankreich ist nach Abschluss einer entsprechenden Studie zu hören, dass „Mikroorganismen aus dem Käse dazu beitragen können, die größere Vielfalt von Mikroben in unserem Darm zu bewahren“. Das passt zu Tim Spectors Erkenntnissen: „Natürlich hergestellter fetter Käse ist kein Risiko für Herzerkrankungen, er wirkt sich trotz seines Gehaltes an gesättigten Fetten vorteilhaft auf Herzerkrankungen und Sterblichkeit aus. Das ist den zusätzlichen Mikrobenarten zu verdanken. Hochverarbeitete, gekochte und gegrillte Käse enthalten hingegen nur wenige zusätzliche Mikrobenarten und bringen keinen vergleichbaren Nutzen.“