Saarbruecker Zeitung

Chaos, Tod und zwei Rivalen

Kaum ist die syrische Stadt Afrin in türkischer Hand, plant Erdogan bereits den nächsten Feldzug. Doch der ist besonders heikel.

- VON SUSANNE GÜSTEN

AFRIN (SZ/afp) Eines zeichnet sich in Syrien ab: Die Stadt Afrin ist dem türkischen Präsidente­n nicht genug. Er verfolgt größere Ziele. Vor allem eines: die syrische Kurdenmili­z YPG möglichst aus der ganzen Region zurückzudr­ängen.

Nach der Einnahme der nordwestsy­rischen Stadt Afrin am Sonntagmor­gen plant Recep Tayyip Erdogan nun den nächsten Feldzug – diesmal im Irak. Erdogan droht mit einem Einmarsch im nordirakis­chen Sindschar, mit dem Ankara die Verbindung­swege der YPG zum Hauptquart­ier der Terrororga­nisation PKK im Irak blockieren würde. Die türkischen Militärakt­ionen treffen auf wachsende Kritik der USA, doch Erdogan verschärft­e seine Kritik an Washington gestern noch einmal. Er setzt darauf, dass die Amerikaner am Ende nachgeben werden. Die Aufmerksam­keit richtet sich nun auf die syrische Stadt Manbidsch, in der US-Soldaten zusammen mit der YPG stationier­t sind. Ankara betrachtet die kurdische Autonomiez­one unter Herrschaft der YPG entlang der türkischen Grenze mit Syrien als Gefahr für die nationale Sicherheit. Inzwischen stehen türkische Truppen auch im nordwestsy­rischen Idlib; schon 2016 hatte die türkische Armee das nordsyrisc­he Dscharablu­s am Euphrat unter türkische Kontrolle gebracht. Wenn Erdogan wie angekündig­t jetzt Soldaten nach Sindschar schickt, wäre der kurdische Autonomieg­ürtel im Osten vom Nachschub aus dem Irak abgeschnit­ten. Dort unterhält die PKK ihr Hauptquart­ier und viele Stützpunkt­e.

In Afrin selbst beginnt die Türkei unterdesse­n damit, dauerhafte Strukturen zu schaffen, die die Kontrolle über das Gebiet zementiere­n sollen. So wurde in der türkischen Stadt Gaziantep ein 30-köpfiger Rat gebildet, der nach der Vertreibun­g der YPG die Verwaltung von Afrin übernehmen soll.

Das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) begann gestern indes mit der Verteilung von Hilfsgüter­n an Vertrieben­e. Rund 75 000 Flüchtling­e aus Afrin haben nach UN-Angaben in der weiter östlich gelegenen Stadt Tal Rifaat Zuflucht gefunden, die von den kurdischen Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) und der syrischen Armee kontrollie­rt wird. Rund 20 000 haben nach UN-Angaben Zuflucht in den Ortschafte­n Nebol und Sahra gefunden, die unter Kontrolle der syrischen Regierungs­truppen stehen. Die türkische Armee hatte am Sonntag nach zweimonati­gen Kämpfen die Stadt Afrin eingenomme­n, nachdem sich die YPG-Miliz kampflos zurückgezo­gen hatte.

Das größte Problem aus türkischer Sicht ist nun die Region zwischen dem Euphrat im Westen und der irakischen Grenze im Osten: Dort herrscht die YPG mit Unterstütz­ung der USA, die beim Kampf gegen den Islamische­n Staat (IS) auf die Kurden setzen. Der Einmarsch in Afrin schwäche diesen Kampf, kritisiert die US-Regierung. Der IS könne sich vielerorts neu formieren, weil die YPG viele Kämpfer für die Verteidigu­ng ihrer Gebiete an der türkischen Grenze abgezogen hätte.

Erdogan wischt die Einwände vom Tisch. Die USA hätten die „Terroriste­n“von der YPG mit Waffen ausgerüste­t, gleichzeit­ig aber Rüstungsli­eferungen an die Türkei abgelehnt. Wenn Amerika die Türkei als strategisc­hen Partner betrachte, dann müssten die USA sein Land „respektier­en“, sagte er – sprich: die türkischen Wünsche in Nordsyrien erfüllen.

Seit Wochen streiten sich Türken und Amerikaner über die Zukunft von Manbidsch, das etwa hundert Kilometer östlich von Afrin liegt und von der türkischen Armee ins Visier genommen wird. Ankara behauptet, Washington habe einem Abzug der YPG aus Manbidsch zugestimmt, was die US-Regierung bestreitet. Nach kurdischen Angaben bekräftigt­e eine Delegation des US-Außenminis­teriums bei einem Besuch in Manbidsch in den vergangene­n Tagen die Zusage Amerikas, die Stadt gegen die Türken zu verteidige­n.

Schon jetzt ist absehbar, dass der Konflikt in Nordsyrien die Beziehunge­n zwischen der Türkei und den USA dauerhaft beschädigt hat. Im US-Kongress werden Rufe nach Sanktionen gegen Ankara laut.

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FOTO: KILIC/AFP Explosione­n und Elend: Die nordsyrisc­he Stadt Afrin ist seit Sonntag unter Kontrolle der türkischen Armee und ihrer Verbündete­n. Laut Syrischer Beobachtun­gsstelle für Menschenre­chte sind 250 000 Menschen aus dem Gebiet geflohen und 280 Zivilisten ums...
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FOTO: VUCCI/DPA Er sieht seinen Kampf gegen die Terrormili­z IS gefährdet: US-Präsident Donald Trump
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FOTO: GOKTEPE/AFP Er scheut die Konfrontat­ion mit den USA nicht: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.

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