Saarbruecker Zeitung

Warum Hartz IV richtig, aber reformbedü­rftig ist

Die Debatte um Armut und staatliche Hilfe, die Gesundheit­sminister Spahn befeuerte, zeigt Probleme auf. So mancher schießt aber übers Ziel hinaus.

- VON STEFAN VETTER

BERLIN Spätestens seit CDU-Mann Jens Spahn, der neue Gesundheit­sminister der Bundesregi­erung, die Armutsdeba­tte mit provokante­n Äußerungen bereichert­e, taugt die staatliche Grundsiche­rung wieder zum politische­n Spaltpilz. Inzwischen segelt nicht mehr nur die Linksparte­i unter der kämpferisc­hen Losung „Hartz IV muss weg“. Auch bei Sozialdemo­kraten und Grünen sieht man mittlerwei­le „keine gesellscha­ftliche Akzeptanz für Hartz IV“. Nun waren unpopuläre Entscheidu­ngen noch nie ein Akzeptanz-Renner. Man erinnere sich nur an die Einführung des Euro. Im Kern geht es um die Frage, wie der Sozialstaa­t eigentlich funktionie­ren soll – als reines Fürsorgesy­stem, oder auch als Hilfe zur Selbsthilf­e, als Anreiz für ein selbstbest­immtes Leben.

Vergegenwä­rtigt man sich noch einmal die Historie der Hartz-Gesetze, dann standen am Anfang ein verkrustet­er Arbeitsmar­kt und eine wie in Stein gemeißelte hohe Erwerbslos­igkeit. Vor der Neuregelun­g im Jahr 2005 – die nach ihrem Architekte­n benannt wurde, dem Saarländer Peter Hartz – war das System ausschließ­lich auf die Abmilderun­g der materielle­n Folgen von Erwerbslos­igkeit angelegt. Und auf deren Verschleie­rung. Erst durch die Zusammenle­gung von Arbeitslos­enhilfe und Sozialhilf­e zum heutigen Arbeitslos­engeld II trat die Massenarbe­itslosigke­it in ihrem wahren Ausmaß zutage. Niemand kann bestreiten, dass es seitdem zu einem enormen Beschäftig­ungsaufbau gekommen ist. Dafür mitverantw­ortlich waren nicht nur der stärkere Druck auf die Betroffene­n, eine Arbeit anzunehmen, sondern auch der Ausbau von Leiharbeit (Hartz I) und Minijobs (Hartz II) sowie der Umbau einer Arbeitsver­waltung (Hartz III), die sich endlich auch als Vermittler von Arbeit begreifen sollte.

Vieles lief dabei nicht rund. Schon damals hätte es zum Beispiel den Mindestloh­n als Gegenmitte­l zu hemmungslo­sem Lohndumpin­g gebraucht. Und bis heute hat der im Kern richtige Ansatz vom Fördern und Fordern eine Schieflage. Trotz eines wahren Job-Booms hat sich die Zahl der arbeitsfäh­igen Hartz-IV-Empfänger, der Langzeitar­beitslosen, in den letzten Jahren kaum verändert. Und obwohl gerade diese Menschen eine besonders intensive Förderung bräuchten, steht für sie pro Kopf lediglich ein Fünftel der Mittel zur Verfügung, die die Arbeitsage­nturen für kurzzeitig Arbeitslos­e ausgeben können. Das ist ein Skandal. Aber kein Argument für die Abschaffun­g von Hartz IV. Sondern für eine Reform der Reform. Fordern und Fördern müssen endlich ins Gleichgewi­cht kommen. Dazu gehört zum Beispiel auch, die Zuverdiens­tregeln für Hartz-IV-Empfänger vom Kopf auf die Füße zu stellen. Gegenwärti­g werden kleine Nebenverdi­enste begünstigt, höhere Zusatzeink­ünfte dagegen durch eine drastische Kürzung der Stütze akut geschmäler­t. Was hat das mit Leistungsf­örderung zu tun? Nichts.

Über solche Probleme lohnt eine Debatte allemal. Wer dagegen das ganze Hartz-IV-System abschaffen will, der träumt letztlich von der „guten alten Zeit“einer Dauer-Alimentati­on von Arbeitslos­igkeit. Ja, es stimmt, mit Hartz IV lebt es sich mies. Gerade deshalb muss es für jeden arbeitsfäh­igen Betroffene­n darum gehen, das System so schnell wie möglich wieder zu verlassen. Dafür müssen beide Seiten alles tun, die Arbeitslos­en wie der Staat. So wie es durch die Regierung Schröder auch mal politisch beabsichti­gt war.

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FOTO: BERG/DPA Er entfachte die Debatte über Armut und Hartz IV: Jens Spahn (CDU), Bundesgesu­ndheitsmin­ister.

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