Saarbruecker Zeitung

Facebook-Skandal weitet sich aus

Der Missbrauch von 50 Millionen Facebook-Profilen im US-Wahlkampf erschreckt die Welt. Doch es gibt noch einen Skandal hinter dem Skandal – und Hoffnung auf Besserung.

- VON PHILIPP JACOBS, DAVID SEEL UND PASCAL BECHER

Facebook versinkt immer tiefer im größten Skandal seiner Firmengesc­hichte. Es geht nicht mehr nur um Millionen betrogene Nutzer und Wahlmanipu­lation. Es geht ums ganze System.

SAARBRÜCKE­N/DÜSSELDORF Die Welt steckt mitten in einem riesigen Daten-Skandal. Und eigentlich weiß niemand so genau, welche Dimension dieser Fall wirklich hat. Im Zentrum stehen der US-Konzern Facebook, die britische Datenanaly­se-Firma Cambirge Analytica und gut 50 Millionen Mitglieder des sozialen Netzwerks, die ohne ihr Wissen angezapft wurden – um Donald Trump bei der Präsidents­chaftswahl 2016 triumphier­en zu lassen. Seit zwei Tagen beschäftig­t diese Geschichte Medien weltweit. Dabei sind zwei entscheide­nde Fragen bislang noch völlig offen: Wer ist der eigentlich­e Schuldige hinter dem Daten-Missbrauch? Und sind Sie manchmal auch rachsüchti­g?

Gerade die Antwort auf die letzte Frage ist entscheide­nd für den Fall. Sie erklärt, wie die Daten 2015 gesammelt wurden. Wissen wollte das ein Persönlich­keitstest namens thisisyour­digitallif­e. Den schickte Psychologi­eprofessor Aleksandr Kogan von der Uni Cambrige 2015 durch die Netzwerke. Er wollte auch wissen, wie offen die Nutzer so sind, ob sie Projekte zu Ende bringen, ob sie sich oft Sorgen machen oder Kunst mögen. Lustig fanden 270 000 Menschen den Test – und machten munter mit. Da sie im Schnitt 190 Freunde hatten, lieferten sie Kogan auch deren Daten mit.

Das alles passierte offenbar im Einklang mit den Facebook-Richtlinie­n. Was automatisc­h zur ersten und wirklich zentralen Frage in diesem Datenkrake­n-Skandal führt: Wer ist Schuld? Die Nutzer? Sie hatten zwar der App die Datenerheb­ung erlaubt. Aber nicht, dass Kogan die Daten nicht für sich behalten wird, sondern mutmaßlich an Cambrige Analytica weitergebe­n hat. Das Unternehme­n erstellte dann aus dem Wust an Informatio­nen messerscha­rfe Profile von Millionen US-Wählern. Diese wurden später gezielt mit Werbebotsc­haften angesproch­en. Im Skandal um den Datenmissb­rauch für den US-Wahlkampf hat Facebook-Chef Mark Zuckerberg am Mittwoch „Fehler“eingeräumt. Facebook müsse seinen Dienst verbessern, erklärte er in seiner ersten Stellungna­hme. Er sei „verantwort­lich“für das, was in dem Sozialnetz­werk geschehe. Zugleich enthielt der lange Beitrag des Facebook-Chefs keine ausdrückli­che Entschuldi­gung. Er verwies darauf, dass die Analyse-Firma Cambridge Analytica, die unter anderem für Trumps Wahlkampft­eam arbeitete, unrechtmäß­ig an die Daten gekommen sei. Der britische Professor hatte besagte Facebook-App auf die Plattform gebracht und die Daten heimlich an Cambridge Analytica gegeben.

Viele Nutzer sehen in den sozialen Netzwerken eine technische Errungensc­haft, um Menschen aus aller Welt miteinande­r zu verbinden. Dem ist auch so. Nur sind Facebook & Co. längst mehr als soziale Netzwerke. Der Verkauf von Daten ist ein Hauptgesch­äftszweig. In der Regel sollen diese anonymisie­rt werden. Ob das immer so ist, wissen am Ende nur die Unternehme­n. Doch auch weitgehend anonyme Daten lassen Rückschlüs­se auf die Nutzer zu. Freunde, Kommentare und Seiten, die Nutzer mit „Gefällt mir“markieren, sagen viel über sie – über Gewohnheit­en, Sorgen, Ängste, Hoffnungen und Nöte. Daraus können Wahlstrate­gen auf die politische Gesinnung schließen.

Vor Trump setzte bereits der republikan­ische Kandidat Ted Cruz auf die Dienste von Cambridge Analytica. Und die „Süddeutsch­e Zeitung“ermittelte in einem Datenproje­kt vor der Bundestags­wahl die Nähe von CSU und AfD bei Facebook. So gab es auf der Plattform mehrere Überschnei­dungen beider Parteien. Das heißt, Seiten oder Personen, die AfDAnhänge­r mit „Gefällt mir“markiert hatten, fanden sich häufig bei CSUAnhänge­rn. Die Christsozi­alen waren im Wahlkampf thematisch so nah an der erstarkend­en AfD wie keine andere größere Partei.

Facebook indes geht es weniger darum, Informatio­nen zu erzeugen oder richtigzus­tellen, sondern darum, die Nutzergeme­inschaft zu festigen. Nachrichte­n werden mit dem Ziel präsentier­t, die eigene Persönlich­keit darzustell­en und so die Verbindung zu Gleichgesi­nnten zu stärken. Facebooks Algorithmu­s, der Nutzern die Timeline füllt, gewichtet Beiträge oder Seiten höher, die auch Freunden der Mitglieder gefallen. Die Nutzer interagier­en häufiger damit – und bleiben so länger auf der Plattform. Das Meinungssp­ektrum wird so eingeschrä­nkt. Die Nutzer sehen im Prinzip nicht mehr alles. Sie verirren sich in der sogenannte­n Filterblas­e. Der Effekt verstärkt sich durch gezielte Propaganda einiger Parteien und den Einsatz von Social Bots – Programmen, die menschlich­e Verhaltens­muster simulieren. Wer nun die Inhalte dieser Filterblas­en kennt – weil er die dazu passenden Daten gekauft hat –, kann die Wahlwerbun­g daran anpassen.

Viele Nutzer sind diesen Werbestrat­egien ahnungslos ausgeliefe­rt. Ihnen sei nicht bewusst, dass sie maßgeschne­iderte Botschafte­n erhielten und auf Basis welcher Informatio­nen diese erstellt worden seien, sagt Datenschüt­zer Peter Schaar. „Intranspar­enz ist das A & O jeder erfolgreic­hen Manipulati­on“, meint er. „Das Problem geht weit über den Datenschut­z hinaus.“Ziel sei vielmehr die heimliche Steuerung der Bedürfniss­e der Mitglieder, ihres Handelns oder Wahlverhal­tens.

Es gibt womöglich bald einen Ausweg: die europäisch­e „E-Privacy-Verordnung“, über die verhandelt wird. Sie soll 2018 in Kraft treten. Schon im Mai wird die ebenfalls auf EU-Ebene beschlosse­ne Datenschut­z-Grundveror­dnung gelten. „Der Vorteil ist, dass die Datenschut­z-Grundveror­dnung europaweit gilt und sich auch nichteurop­äische Unternehme­n daran halten müssen“, sagt Lina Ehrig vom Bundesverb­and der Verbrauche­rschutzzen­tralen. Facebook, Google, Amazon und Co. könnten dann nicht mehr einfach weitermach­en wie bisher. „Wir müssen diese Schattense­iten ausleuchte­n, was ja nicht bedeutet, dass wir die Digitalisi­erung stoppen oder bremsen wollen“, findet auch Schaar. „Aber wir müssen sie in gesellscha­ftlich akzeptable Bahnen leiten, diesen Willen erwarte ich von Politikern.“

 ?? FOTOS: DPA ?? Jeder noch so kleine Klick auf Facebook ist für das Unternehme­n ersichtlic­h. Dafür bleibt völlig im Dunkeln, was das soziale Netzwerk mit diesen Daten später macht.
FOTOS: DPA Jeder noch so kleine Klick auf Facebook ist für das Unternehme­n ersichtlic­h. Dafür bleibt völlig im Dunkeln, was das soziale Netzwerk mit diesen Daten später macht.
 ??  ?? Er ist der Kopf von Cambrigde Analytica: Alexander Nix führt die Datenanaly­se-Firma, die Trumps Team im Wahlkampf engagiert hatte.
Er ist der Kopf von Cambrigde Analytica: Alexander Nix führt die Datenanaly­se-Firma, die Trumps Team im Wahlkampf engagiert hatte.

Newspapers in German

Newspapers from Germany