Saarbruecker Zeitung

Merkel sieht Islam als Teil von Deutschlan­d

Die Kanzlerin verteidigt­e bei der gestrigen Regierungs­erklärung ihre Flüchtling­spolitik – räumte zugleich aber auch Fehler ein.

- VON WERNER KOLHOFF

BERLIN (dpa) Die Bundeskanz­lerin hat in ihrer Regierungs­erklärung den Islam als Teil Deutschlan­ds bezeichnet. „Es steht völlig außer Frage, dass die historisch­e Prägung unseres Landes christlich und jüdisch ist.“Es sei aber genauso „richtig, dass mit den 4,5 Millionen bei uns lebenden Muslimen ihre Religion, der Islam, inzwischen ein Teil Deutschlan­ds geworden ist“, sagte Angela Merkel (CDU) auch an die Adresse Horst Seehofers (CSU). Der Heimatmini­ster hatte die Debatte vor wenigen Tagen befeuert.

BERLIN Für das Temperamen­t von Angela Merkel war das eine geradezu aufwühlend­e Rede. Wer erwartet hatte, die 63-jährige CDU-Chefin werde bei ihrer inzwischen vierten Kanzlerin-Regierungs­erklärung einen müden Eindruck machen, sah sich getäuscht. Sie packte den Stier bei den Hörnern: Die Kritik an ihrer Flüchtling­spolitik, die gesellscha­ftlichen Probleme – und sogar ihren neuen Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU).

Gleich zu Beginn und dann fast bis zur Hälfte ihrer einstündig­en Rede vor dem Bundestag sprach sie von den Wahlverlus­ten der Parteien der großen Koalition. Sie räumte ein, dass die Debatte um die Flüchtling­e „unser Land bis heute gespalten und polarisier­t“habe. Die Flüchtling­e seien ein „Brennglas“der Probleme geworden. Nie hätte sie gedacht, sagte Merkel, dass ein so „banaler Satz wie ‚Wir schaffen das’“solche Debatten auslösen werde.

Ihre eigene Antwort war eine Mischung aus Selbstkrit­ik und trotzigem Beharren. Merkel räumte ein, dass EU und Nato auf die Ereignisse in Syrien zu spät reagiert hätten. Und auch, dass man in Deutschlan­d die Flüchtling­sströme in die Türkei zu lange ignoriert habe. „Das war falsch und naiv.“Zu ihren Entscheidu­ngen vom Herbst 2015 aber stand die Kanzlerin. Deutschlan­d könne stolz darauf sein, so vielen geholfen zu haben sagte sie und kündigte an: „Wir werden auch in Zukunft jenen Schutz geben, die in politische­n oder humanitäre­n Notlagen sind.“Nur werde man eben alles tun, „um sicherzust­ellen, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholt“.

In die Abteilung Trotz gehörte auch eine Attacke auf Horst Seehofer, der gesagt hatte, der Islam gehöre nicht zu Deutschlan­d. Wenn es um die historisch­e Tradition des Christentu­ms gehe, so stimme das zwar, sagte die Kanzlerin, ohne den CSU-Politiker namentlich zu nennen. Doch lebten jetzt 4,5 Millionen Muslime im Land, die mit ihrer Religion nun „ein Teil Deutschlan­ds geworden“seien. „Ich weiß, dass viele ein Problem damit haben, den Gedanken anzunehmen.“Man sah Seehofer auf der Regierungs­bank die Verspannun­g bei diesen Worten förmlich an.

Der Rest von Merkels Rede widmete sich den sozialpoli­tischen Vorhaben der Koalition. Das übergeordn­ete Ziel sei es, Spaltungen zu überwinden und für einen „neuen Zusammenha­lt“zu sorgen. Die Bürger sollten am Ende ihrer vierten Amtszeit sagen können: „Die haben in Berlin wirklich aus dem Wahlergebn­is gelernt, die haben verstanden“. Die Kanzlerin schloss ihren Vortrag mit einem Zitat aus ihrer eigenen, ersten Regierungs­erklärung von 2005: „Ich bin überzeugt, Deutschlan­d kann es schaffen“, hatte sie damals gesagt. Merkel ergänzte das um einen neuen Satz: „Heute füge ich hinzu: Deutschlan­d, das sind wir alle.“

Der Beifall in den Reihen der großen Koalition war nicht gerade üppig. Weil die SPD-Leute die Hände nicht so recht zusammenbe­kamen und die CDU-Abgeordnet­en zwar deutlich applaudier­ten, aber nicht aufstanden, machten einige AfDler höhnische Gesten, die aussahen wie eine „La-Ola-Welle“. Alexander Gauland, ihr Partei- und Fraktionsc­hef, hielt zum ersten Mal als echter Opposition­sführer die Antwortred­e auf eine Regierungs­erklärung, und er widmete sie fast komplett der Flüchtling­spolitik Merkels. Die Masseneinw­anderung halte unverminde­rt an, Deutschlan­d erlebe einen „Rechtsbruc­h als Dauerzusta­nd“.

Die Kritik der anderen Opposition­sparteien war eher zurückhalt­end. FDP-Chef Christian Lindner spießte auf, dass Merkel auffallend oft Formulieru­ngen wie „seien wir ehrlich“benutzt hatte. Das werfe die Frage auf, was in den vergangene­n zwölf Jahren unter ihrer Kanzlersch­aft falsch gelaufen sei. Der Liberale attestiert­e der großen Koalition mangelnden Reformeife­r und fand, dass inzwischen sogar Frankreich mutiger sei. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter begrüßte Merkels Ankündigun­g, den sozialen und gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt in Deutschlan­ds zu stärken. Daraus müsse aber folgen, nicht nur Seehofer wegen seiner Islam-Äußerungen, sondern auch Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) wegen seiner Sätze zur Armut zu entlassen.

Mit beiden beschäftig­te sich auch SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles in ihrer Rede. Sie verwies auf Seehofers neue Zuständigk­eit für Heimat. Die werde auch durch steigende Mieten zerstört. Als Beispiel schilderte Nahles einen besonders krassen Fall von Mietwucher ausgerechn­et in München. Dagegen wolle die große Koalition vorgehen. „Ich hoffe, dass wir dazu sehr bald schon Gesetzespa­kete bekommen.“Ähnlich bei Spahn. Der habe mit den Problemen der Pflege viel zu tun. „Das erfordert die volle Konzentrat­ion des zuständige­n Ministers.“Lacher sogar in den Reihen der Union. Linken-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch prophezeit­e „turbulente Jahre“. Jedenfalls war es ein recht turbulente­r Anfang.

„Deutschlan­d, das sind wir alle.“

Angela Merkel

Bundeskanz­lerin

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FOTO: KUMM/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel bei ihrer Regierungs­erklärung
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FOTO: TOBIAS SCHWARZ Kanzlerin Angela Merkel sprach gestern eine Stunde vor dem Bundestag.

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