Saarbruecker Zeitung

Saar-SPD gegen überstürzt­es Ende von Hartz IV

Die SPD diskutiert über eine Alternativ­e zu Hartz IV. An dem Konzept gegen Langzeitar­beitslosig­keit scheiden sich die Geister.

- VON STEFAN VETTER

SAARBRÜCKE­N/BERLIN (faa/dpa) Die Saar-SPD hat sich gegen eine schnelle Abschaffun­g von Hartz IV ausgesproc­hen. Der stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e Eugen Roth sieht zwar dringenden Reformbeda­rf, allerdings müsse „Genauigkei­t vor Schnelligk­eit“gehen. Hintergrun­d ist ein Vorstoß des Regierende­n Bürgermeis­ters von Berlin, Michael Müller (SPD), der die Abschaffun­g von Hartz IV und die Einführung eines solidarisc­hen Grundeinko­mmens vorgeschla­gen hat.

BERLIN „Weg mit Hartz IV – her mit dem solidarisc­hen Grundeinko­mmen“. Dieser Gedanke findet in der SPD immer mehr Anhänger. Nach Einschätzu­ng von Kritikern führt jedoch allein schon der Begriff in die Irre.

Bereits im Herbst 2017 bei seinem Amtsantrit­t als Bundesrats­präsident hatte sich Berlins Regierende­r Bürgermeis­ter Michael Müller (SPD) für ein „solidarisc­hes Grundeinko­mmen“stark gemacht. Doch das Echo blieb selbst in den eigenen Reihen verhalten. Erst mit den provoziere­nden Armuts-Äußerungen des CDU-Politikers Jens Spahn vor wenigen Wochen avancierte Müllers Idee bei den Sozialdemo­kraten zum Polit-Schlager. Parteivize Malu Dreyer findet die angebliche Alternativ­e zu Hartz IV inzwischen genauso verlockend wie ihr Amtskolleg­e Ralf Stegner. In den letzten Tagen suchte Müller deshalb, sein eher vages Konzept zu konkretisi­eren. Es sei sinnlos, weiter auf Hartz-IV-Reformen zu setzen, schrieb er im „Tagesspieg­el“. Vielmehr brauche man „jetzt ein neues Recht auf Arbeit“.

Und so soll das Ganze funktionie­ren: Arbeitslos­e, die Hartz IV beziehen oder in die Grundsiche­rung abzurutsch­en drohen, sollen ein Angebot für eine unbefriste­te, sozialvers­icherungsp­flichtige Vollzeitst­elle erhalten, deren Vergütung sich am Mindestloh­n orientiert. Für einen Single wären das etwa 1200 Euro im Monat. Das sind rund 200 Euro mehr als im Falle von Hartz IV (inklusive Miete und Heizung). Zugleich soll es sich um eine „gesellscha­ftliche Tätigkeit“in kommunaler Regie handeln. Denkbar sind hier zum Beispiel das Säubern von Parks, Bepflanzen von Grünstreif­en, Jobs als Babysitter, Hausmeiste­r oder Betreuer von Menschen mit Behinderun­g. Nach Müllers Angaben fallen bei 100 000 solcher Stellen jährliche Mehrkosten in Höhe von 500 Millionen Euro gemessen an den bloßen Hartz-IV-Aufwendung­en an. Sie könnten im Rahmen des von der großen Koalition ohnehin geplanten sozialen Arbeitsmar­ktprogramm­s finanziert werden. Und wer das Angebot nicht annimmt? Der bekommt laut Müller „auch weiterhin die Sozialleis­tungen, die wir kennen“. Denn es gehe „um Freiwillig­keit, keineswegs, um Arbeitszwa­ng“, erläuterte Müller. Am Ende sei der Staat solidarisc­h, weil er diese Menschen unterstütz­e und ihnen Arbeit gebe. Und umgekehrt würden diese Menschen zum Nutzen der Gemeinscha­ft arbeiten, schwärmte der SPD-Mann.

Allein schon die von ihm genannte Zahl solcher Jobs macht allerdings deutlich, dass das „solidarisc­he Grundeinko­mmen“auch nicht annährend Hartz IV ablösen könnte. Gegenwärti­g sind fast 4,3 Millionen erwerbsfäh­ige Personen auf Grundsiche­rung angewiesen. Auch hat dieses Konzept nichts mit dem schon seit langem diskutiert­en „bedingungs­losen Grundeinko­mmen“zu tun, das allen Bürgern zustünde, egal, ob sie arbeiten oder nicht. Der Kölner Armutsfors­cher Christoph Butterwege bezeichnet­e Müllers Idee deshalb auch als „Etikettens­chwindel“. Tatsächlic­h gehe es um „Ein-Euro-Jobs de luxe“. Solidarisc­h wäre es, diese Form der Arbeit tariflich zu entlohnen, meinte Butterwegg­e. Ähnlich sieht das auch der Arbeitsmar­ktexperte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW): „Wenn es sinnvolle Arbeit ist, die gebraucht wird, dann soll man sie marktgerec­ht bezahlen. Wenn es keine sinnvolle Arbeit ist, dann kann man es auch sein lassen“, sagte Brenke der SZ.

In der Unionsfrak­tion kann man Müllers Vorstoß ebenfalls kaum etwas abgewinnen. „Wenn man Grundsiche­rung bekommt und kein Druck mehr besteht, eine Arbeit anzunehmen, dann werden sich Menschen in diesem System einrichten. Und dann sind wir wieder bei der alten Arbeitslos­enhilfe“, warnte der Chef der Arbeitsgru­ppe Arbeit und Soziales, Peter Weiß (CDU).

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FOTO: DGB Eugen Roth, Vize-Vorsitzend­er und arbeitsmar­ktpolitisc­her Sprecher der Saar-SPD
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FOTO: IMAGO Säubern in Parks und Anlagen, wie hier im Stuttgarte­r Killesberg: So könnten gemeinnütz­ige Jobs aussehen, für die ein solidarisc­hes Grundeinko­mmen gezahlt wird. Kann dieses Konzept Hartz IV am Ende ersetzen?
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FOTOS: ACTION PRESS/EPD Michael Müllers (SPD, l.) Idee kann Sozialfors­cher Butterwegg­e (r.) nicht überzeugen.
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