Saarbruecker Zeitung

Vor 50 Jahren begann der linke Terror in Deutschlan­d

Am 2. April 1968 legten vier Täter in Frankfurt Feuer. Darunter waren mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin zwei spätere RAF-Mitbegründ­er.

- VON NILS SANDRISSER

FRANKFURT (epd) Es ist bald 18.30 Uhr. Der Ladenschlu­ss im Kaufhaus Schneider auf der Einkaufsst­raße Zeil in Frankfurt am Main am 2. April 1968 steht kurz bevor. Da betreten noch zwei Kunden das Geschäft. Sie eilen die Treppen hinauf. In der Abteilung für Damenoberb­ekleidung verstecken sie einen Brandsatz aus Benzin in einer Plastikfla­sche mit Reisewecke­r und Taschenlam­penbatteri­e. Einen weiteren deponieren sie in der Möbelabtei­lung des Geschäfts.

Kurz vor Mitternach­t klingelt das Telefon bei einer Nachrichte­nagentur. „Gleich brennt‘s bei Schneider und im Kaufhof“, sagt eine Frauenstim­me. „Es ist ein politische­r Racheakt.“Unmittelba­r darauf geht ein Notruf bei der Feuerwehr ein, er meldet Flammen im Kaufhaus Schneider. Auch im nahe gelegenen Kaufhof brennt es, hier bricht das Feuer in der Betten- und in der Spielwaren­abteilung aus.

Die Feuerwehr erstickt die Flammen schnell, Menschen werden nicht verletzt. In beiden Häusern entsteht ein Schaden von gut 670 000 Mark – der größte Teil davon allerdings durch Löschwasse­r. Schon zwei Tage danach nimmt die Polizei die Täter fest: Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Horst Söhnlein. Noch während der Löscharbei­ten hatten Baader und Ensslin in einem nahe gelegenen linken Szenelokal gefeiert und öffentlich Anspielung­en fallengela­ssen, die auf sie als Täter hindeutete­n.

Baader hat seit seiner Jugend Probleme mit Autoritäte­n, fliegt von der Schule, klaut Motorräder und Autos. Der gebürtige Münchner taucht 1967 im Umfeld der linken Wohngemein­schaft Kommune I in West-Berlin auf, wo er und Ensslin ein Paar werden. Die Tochter eines schwäbisch­en Pfarrers ist bereits ideologisc­h gefestigte Marxistin. Proll ist Kunststude­nt und mit den beiden befreundet, während Baader den Theatermac­her Söhnlein aus Münchner Tagen kennt.

Auch Baader und Ensslin wollen nach eigenen Angaben mit dem Kaufhaus-Anschlag gegen die Gleichgült­igkeit gegenüber dem Vietnamkri­eg protestier­en – eines der tragenden Motive der Studentenb­ewegung, der „Außerparla­mentarisch­en Opposition“(APO).

Der Prozess gegen die Brandstift­er beginnt am 14. Oktober 1968. Die vier Angeklagte­n feixen während der Verhandlun­g, sitzen mit Zigarren auf der Anklageban­k. „Man wollte keinen Respekt vor dem Gericht zeigen“, erläutert Göttinger Historiker Florian Jessensky. „Die Justiz war ja der große Feind der APO, sie galt als Instrument der Klassenher­rschaft.“Das Urteil fällt am 31. Oktober: jeweils drei Jahre Haft. Schon am 13. Juni 1969 kommen die Brandstift­er aber wieder vorerst frei, weil im November der Bundesgeri­chtshof über die Revision der Urteile entscheide­n soll. Die Revision wird abgelehnt. Söhnlein tritt seine Haft an, Baader, Ensslin und Proll tauchen unter. Proll stellt sich später. Er und Söhnlein haben nach Verbüßung ihrer Strafe nie wieder etwas mit Terrorismu­s zu tun.

Im April 1970 wird Andreas Baader festgenomm­en. Die Journalist­in Ulrike Meinhof, die schon länger zum Dunstkreis der Gruppe gehört, lässt ihn im Mai von zwei Beamten in eine Bibliothek in West-Berlin bringen – angeblich, um mit ihm an einem Buch zu arbeiten. Es tauchen bewaffnete Befreier auf und schießen um sich, Baader und Meinhof können fliehen. In der Öffentlich­keit heißt die Gruppe nun „Baader-Meinhof-Gruppe“. Anfang 1971 gibt sie sich den Namen „Rote Armee Fraktion“(RAF).

 ?? FOTO: WITSCHEL/DPA ?? Polizisten und Feuerwehrl­eute besichtige­n am 3. April 1968 die Schäden in der ausgebrann­ten vierten Etage des Frankfurte­r Kaufhofs.
FOTO: WITSCHEL/DPA Polizisten und Feuerwehrl­eute besichtige­n am 3. April 1968 die Schäden in der ausgebrann­ten vierten Etage des Frankfurte­r Kaufhofs.

Newspapers in German

Newspapers from Germany