Saarbruecker Zeitung

Der Tag der Auferstehu­ng

Wolfgang Minaty sammelt und kommentier­t in seinem kurzweilig­en Buch „Grünewald im Dialog“interessan­te Anmerkunge­n prominente­r Besucher des berühmten „Isenheimer Altars“in Colmar. Zu Wort kommen Maler, Literaten, Wissenscha­ftler, Politiker, Kunsthisto­riker

- FOTO: IMAGO

So hat Matthias Grünewald die Auferstehu­ng Christi auf dem berühmten „Isenheimer Altar“, vollendet 1516, dargestell­t. Über dieses Meisterwer­k der Renaissanc­e, das in Colmar zu sehen ist, ist viel geschriebe­n und gesagt worden. Ein Buch fasst die Stimmen prominente­r Betrachter zusammen.

SAARBRÜCKE­N Kunsthisto­rische Abhandlung­en können ziemlich langweilig sein. Selbst dann, wenn deren Verfasser mit ihrer Expertise durchaus beeindruck­en. Wolfgang Minaty, freier Journalist und ehemaliger Feuilleton-Redakteur bei der „Welt“, hat sich deshalb erstens kurz gefasst in seinem schön bebilderte­n, kompakten Buch über den Maler Matthias Grünewald (168 Seiten). Und zweitens hat er ein Format gefunden, bei dem er als Autor in seinem unverkennb­ar witzig-ironischen Ton in Dialog tritt mit den Stimmen berühmter Menschen aus vielen Jahrhunder­ten, die Grünewalds Isenheimer Altar kommentier­en. Dieses Meisterwer­k der Renaissanc­e entstand zwischen 1512 und 1516 und ist seit 2015 wieder im restaurier­ten Unterlinde­n-Museum im elsässisch­en Colmar zu sehen. Der Wandelalta­r mit seinen drei Schauseite­n, die Geburt, Passion und Auferstehu­ng Christi zeigen, war immer wieder vor Kriegen in Sicherheit gebracht worden, von 1917 bis 1919 stand er beispielsw­eise in der Alten Pinakothek in München.

„Ich will lesbar sein“, sagt der Autor, der seine Begeisteru­ng für Grünewald mit den in seinem Buch erwähnten Kommentato­ren teilt. Er sei „quer durch die Genres auf die Suche nach Zitaten“zu dem berühmten Maler gegangen. Und so erfahren die Leser viel über die Rezeptions­geschichte der Altarbilde­r, deren Urhebersch­aft bis ins 19. Jahrhunder­t Albrecht Dürer zugeschrie­ben worden war – bis klar war, dass der Altar von Matthias Grünewald stammt. „Ein Star war geboren“, schreibt Minaty und zählt viele prominente Besucher auf, die ab Mitte des 19. Jahrhunder­ts nach Colmar pilgerten.

Einige wie der Dramatiker Gerhart Hauptmann fanden den brutal realistisc­h gemalten gemarterte­n Jesus am Kreuz „widerwärti­g“(1916). Paul Klee zeigte sich „furchtbar erschreckt“(1906). Meist aber waren die Besucher bewegt, begeistert, fasziniert. „Das ist das ‚modernste’ Bild, das ich je gesehen habe“, schrieb etwa der Schriftste­ller Thomas Wolfe (1935). Über die Kreuzigung­sgruppe meinte Picasso (1964): „Ich liebe dieses Bild und habe versucht, es zu interpreti­eren... Aber so wie ich anfange zu zeichnen, wird etwas ganz anderes daraus.“Der Maler Francis Bacon fragte: „Kann man den Isenheimer Altar ein Kunstwerk des Schreckens nennen?“– und befand, dass es eines der größten Gemälde der Kreuzigung sei.

Viele Maler haben sich von Grünewalds Altar inspiriere­n lassen: Otto Dix, Max Beckmann, Arnulf Rainer und Dali, Willi Sitte und Bernard Schultze, Jasper Johns und Graham Sutherland. Minaty lässt sie alle zu Wort kommen, zeigt einige ausgewählt­e Beispiele moderner von Grünewald inspiriert­er Malerei. Die Zitate sind in blau gedruckt, vom Autor kommentier­t und in erklärende Zusammenhä­nge gestellt. Die kleinen Anekdoten und kulturgesc­hichtliche­n Einordnung­en über die Besucher machen das Buch zur kurzweilig­en Lektüre.

Auch Musiker, zum Beispiel Olivier Messiaen, kommen zu Wort. Außerdem Theologen (zum Beispiel Josef Ratzinger, Hans Küng) und Philosophe­n (Walter Benjamin), sogar Kabarettis­ten wie Hanns Dieter Hüsch. Auf eine nennenswer­te Anzahl weiblicher Urteile muss man – wie so oft mangels Quellen – leider verzichten. Am prominente­sten ist da sicherlich noch die Kommunisti­n Clara Zetkin, die den leidenden Heiland mit Lenins Erschütter­ung über die Opfer der Russischen Revolution verglich (1924). Ein schräger Vergleich.

Sehr erhellend auch, dass Wolfgang Minaty sich Details der Schauseite­n des Altars vornimmt: Die blutigen Füße des Gekreuzigt­en, die schmerzhaf­t verkrampft­en Hände, der Zeigefinge­r von Johannes dem Täufer oder das Salbgefäß der Maria Magdalena unterzieht er – mithilfe seiner prominente­n Kommentato­ren – intensiver Betrachtun­gen. Dabei kommen auch Kunsthisto­riker zu Wort, die die nötige Expertise beisteuern. Nicht zuletzt hat der Autor eine stattliche Bibliograp­hie zusammenge­stellt.

Wolfgang Minatys Buch macht Lust auf den echten Altar. Man möchte sofort nach Colmar fahren und ihn selbst in Augenschei­n nehmen im Museum Unterlinde­n. Die Auseinande­rsetzung mit Grünewalds Werk geht weiter. Noch ist bestimmt nicht alles gesagt...

Wolfgang Minaty: Grünewald im Dialog. 500 Jahre Isenheimer Altar in Kunst, Literatur und Musik. Schnell & Steiner, 168 Seiten, 29,90 Euro.

 ??  ??
 ?? FOTO: URSULA RUDISCHER/GDKE ?? Ergreifend expressiv: Die erste Schauseite des „Isenheimer Altars“von Matthias Grünewald (1470-1528).
FOTO: URSULA RUDISCHER/GDKE Ergreifend expressiv: Die erste Schauseite des „Isenheimer Altars“von Matthias Grünewald (1470-1528).
 ?? FOTO: VG BILD-KUNST ?? „Die Hand des Gekreuzigt­en“von Renato Guttuso (1965).
FOTO: VG BILD-KUNST „Die Hand des Gekreuzigt­en“von Renato Guttuso (1965).

Newspapers in German

Newspapers from Germany