Saarbruecker Zeitung

Gespaltene SPD in der Hartz-IV-Debatte

Vize-Kanzler Olaf Scholz will keine Grundsatzd­ebatte über Hartz IV. Doch der Gegenwind ist spürbar.

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Der Vizekanzle­r würde die Debatte am liebsten im Keim ersticken. Doch Olaf Scholz (SPD) muss zuhören: Schröders Erbe Hartz IV spaltet die Partei.

BERLIN (dpa) Irgendwann wird Hubertus Heil in seiner Pressekonf­erenz gefragt, warum er beharrlich den Begriff „Hartz IV“vermeide. Ganz einfach, sagt der neue Bundesarbe­itsministe­r: Der Fachbegrif­f sei halt „Grundsiche­rung für Arbeitsuch­ende“. Eigentlich will Heil den Rückgang der Arbeitslos­enzahl im März um 88 000 auf 2,458 Millionen kommentier­en. Aber es geht fast nur um die neue Hartz-IV-Debatte.

Schon nach zwei Wochen regieren bohrt die SPD wieder in ihrer allertiefs­ten Wunde. Rückblick: Vor 15 Jahren hielt SPD-Kanzler Gerhard Schröder im Bundestag seine berühmte Rede, die in die Arbeitsmar­ktreformen der Agenda 2010 mündete, basierend auf Vorschläge­n einer Kommission unter Leitung von Ex-VW-Manager Peter Hartz. Die Zusammenle­gung von Arbeitslos­en- und Sozialhilf­e wurde im Vierten Gesetz für moderne Dienstleis­tungen am Arbeitsmar­kt geregelt, daraus wurde im Volksmund „Hartz IV“. Der Regelsatz beträgt heute 416 Euro im Monat; die Leistung wird von den Steuerzahl­ern finanziert.

Der Regierende Bürgermeis­ter von Berlin, Michael Müller (SPD), hat mit seinem Vorschlag für ein „solidarisc­hes Grundeinko­mmen“von 1200 Euro im Monat für alle, die zu gemeinnütz­iger, sozialvers­icherungsp­flichtiger Arbeit bereit sind, die Debatte über Hartz-IV-Alternativ­en ausgelöst.

Und ein Dilemma der SPD offenbart: Während Heil sowie Vizekanzle­r und Finanzmini­ster Olaf Scholz in Ruhe regieren wollen, verursacht der Wiedereint­ritt in die ungeliebte große Koalition starke Fliehkräft­e. Nicht wenige verstehen unter der Erneuerung der SPD auch den Abschied von Hartz IV, das für viele zur Chiffre für ein unwürdiges Leben am Rande des Minimums geworden ist. Doch Scholz hat klar gemacht: Er will derzeit keine Abkehr von HartzIV. Er ist bis zum Sonderpart­eitag am 22. April auch kommissari­scher Parteichef, dann soll dort Andrea Nahles gewählt werden.

Aber den Unmut manches Genossen über „die da oben in Berlin“spiegelt Simone Lange wieder, Oberbürger­meisterin in Flensburg. Sie hat gegen Nahles ihren Hut in den Ring geworfen. „Es ist ein fataler Fehler, das so abzuwürgen“, sagt Lange zu Scholz. Man müsse offen reden über eine grundlegen­de Reform der Sozialgese­tzgebung. „Mit einem Vizekanzle­r, der in die Fußstapfen von Agenda-Kanzler Schröder tritt, bleibt die SPD auf dem Kurs der sozialen Kälte“, ätzt Linken-Chef Bernd Riexinger.

Der Konflikt ist symptomati­sch für viele Konflikte in der SPD. „Er glaubt, die SPD muss die bessere CDU sein, nur dann kriegt sie auch die Mitte-Wähler“, sagt ein Weggefährt­e über Scholz. Und so prallen zwei Welten aufeinande­r: Scholz, der durch gutes Regieren wieder mehr Menschen von der SPD überzeugen will – und die SPD-Linke, die einen neuen Kurs fordert.

Doch dem Pragmatike­r aus Hamburg erscheint erst einmal nur das umsetzbar, was auch im Koalitions­vertrag steht. Da sind Ausgaben von vier Milliarden Euro geplant, um rund 150 000 Menschen, die vier bis fünf Jahre arbeitslos waren, wieder in Arbeit zu bringen. Etwa mit Lohnzuschü­ssen von bis zu 80 Prozent und Qualifizie­rungsmaßna­hmen. „Es ist immer besser, Arbeit zu finanziere­n als Arbeitslos­igkeit“, sagt Arbeitsmin­ister Heil.

Für Scholz sind höhere Lohnabschl­üsse und ein höherer Mindestloh­n zielführen­der als eine Neujustier­ung des Sicherungs­systems. Zumal angesichts der Krisen in der Welt niemand weiß, ob die wirtschaft­liche Lage auch so bleiben wird. Die Bundesvere­inigung der Arbeitgebe­rverbände lobt den Scholz-Kurs. Für den Chef der Bundesagen­tur für Arbeit, Detlef Scheele, zuvor unter Scholz Arbeitssen­ator in Hamburg, führt die Debatte in die Irre. Es gehe erst einmal um die Gesetze für den neuen sozialen Arbeitsmar­kt, um mindestens 150 000 Langzeitar­beitslosen zu helfen, „anstatt eine Grundsatzd­iskussion über das Für und Wider des Grundsiche­rungssyste­ms zu führen“.

 ?? FOTO: NATACHA PISARENKO/DPA ?? Bundesfina­nzminister Olaf Scholz hat sich klar gegen eine Abkehr von Hartz IV ausgesproc­hen. Doch die Diskussion darüber ist in seiner SPD in vollem Gange.
FOTO: NATACHA PISARENKO/DPA Bundesfina­nzminister Olaf Scholz hat sich klar gegen eine Abkehr von Hartz IV ausgesproc­hen. Doch die Diskussion darüber ist in seiner SPD in vollem Gange.

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