Saarbruecker Zeitung

Russland wirft vier deutsche Diplomaten aus dem Land

Der Fall Skripal eskaliert. Russland weist Dutzende Diplomaten westlicher Botschafte­n aus – darunter vier aus Deutschlan­d. Was kommt als nächstes?

- VON THOMAS KÖRBEL, MICHAEL DONHAUSER UND SILVIA KUSIDLO Produktion dieser Seite: Fatima Abbas Dennis Langenstei­n

BERLIN (afp) Russland hat Vergeltung­smaßnahmen für die Ausweisung russischer Diplomaten aus dem Westen getroffen: Moskau forderte am Freitag vier deutsche Diplomaten zum Verlassen des Landes auf. Zudem wurden nach Angaben des russischen Außenminis­teriums am Freitag Diplomaten aus 22 weiteren Staaten ausgewiese­n. Bereits am Donnerstag hatte Russland mitgeteilt, dass 60 US-Diplomaten das Land verlassen müssen. Zudem werde das US-Konsulat in St. Petersburg geschlosse­n.

MOSKAU/WASHINGTON (dpa) Selten ist der Andrang beim russischen Außenminis­terium so groß wie in diesen Krisenzeit­en. In einer langen Reihe fuhren europäisch­e Botschafte­r am Freitag in ihren Limousinen vor und gaben sich die Klinke in die Hand. Auch der deutsche Botschafte­r Rüdiger von Fritsch wurde einbestell­t und nahm Moskaus tagelang erwartete Antwort auf die Ausweisung von vier russischen Diplomaten entgegen. Das Ergebnis: Auch vier Deutsche müssen gehen.

Die Massenausw­eisung von rund 150 Russen aus mehr als 25 westlichen Staaten war ein beispiello­ser Akt der Solidaritä­t des Westens mit Großbritan­nien. Dass der Streit um den dort vergiftete­n Ex-Agenten Sergej Skripal die USA, EU-Staaten und andere Verbündete gegen Russland vereinen würde, dürfte in Moskau viele überrascht haben. Deswegen hat sich Außenminis­ter Sergej Lawrow ein paar Tage Zeit gelassen, eine Antwort vorzuberei­ten. Am härtesten schlägt Russland gegen die USA zurück. 60 Diplomaten weist Moskau aus, ein Konsulat wird geschlosse­n – dieselben Strafen hatte Washington zuvor verhängt. Auch bei vielen EU-Staaten setzt Russland auf Parität.

Die Suche nach der richtigen Reaktion wurde für Russland zum Drahtseila­kt. Nichts zu tun, war keine Option, denn das hätte nicht in das Bild von Präsident Wladimir Putin gepasst. Erst vor zwei Wochen war Putin gerade wegen seiner Stärke mit Rekorderge­bnis wiedergewä­hlt worden. Eine zu heftige Antwort hätte indes leicht eine Eskalation auslösen können. Doch auch wenn Moskau nun den Mittelweg wählt und Gleiches mit Gleichem vergilt, bleiben die Fronten verhärtet. Der Schatten eines neuen Kalten Krieges, er wird immer länger.

Der Moskauer Experte Fjodor Lukjanow sieht längst eine diplomatis­che Krise. Eine Verbesseru­ng der Lage sei nicht zu erwarten, schreibt der Herausgebe­r der Zeitschrif­t „Russia in Global Affairs“. „Die wichtigste Aufgabe ist nun, die Risiken zu senken und zu verhindern, dass der Konflikt in eine schärfere, militärisc­he Phase übergeht“, meint der kremlnahe Politologe.

Die USA erwecken indes nicht den Anschein, als würden sie in der Krise auch nur einen Millimeter Boden preisgeben wollen. „Die Liste, die wir erhalten haben, macht deutlich, dass die Russische Föderation nicht an einem Dialog über Themen interessie­rt

„Russland hat

keinen diplomatis­chen Krieg angezettel­t.“

Dmitri Peskow

Kreml-Sprecher

ist, die unsere beiden Länder betreffen“, sagte US-Botschafte­r Jon Huntsman in Russland.

Auch die Sprecherin des Außenminis­teriums, Heather Nauert, nannte die Ausweisung­en völlig inakzeptab­el. „Ich möchte daran erinnern, dass es für die russische Antwort keinerlei Rechtferti­gung gibt.“Die USA behielten sich weitere Schritte vor – was viele als Ankündigun­g einer Eskalation­sspirale wahrnehmen.

Der Kreml bemüht sich, die Stimmung zu dämpfen. „Russland hat keinen diplomatis­chen Krieg angezettel­t“, sagt Sprecher Dmitri Peskow. Vielmehr wirft Russland den USA vor, die groß angelegte Ausweisung orchestrie­rt zu haben. „Wir wissen sehr gut, dass auf die EU-Staaten großer Druck ausgeübt wurde. Der Druck kam nicht nur von den Briten, sondern auch von den Amerikaner­n“, sagte der russische EU-Botschafte­r Wladimir Tschischow der Zeitung „Rossijskaj­a Gaseta“. Der Streit schade den Beziehunge­n erheblich. „Sie wiederherz­ustellen, wird nicht einfach.“

Dennoch sieht der Diplomat Ansätze für eine pragmatisc­he Politik. „Als Deutschlan­d beschlosse­n hat, unsere Diplomaten auszuweise­n, hat die Regierung zugleich den Bau der (Ostsee-)Pipeline Nord Stream 2 genehmigt“, sagte Tschischow. Warum die Europäer aber gerade den Briten zur Seite stehen, wo sie doch die EU bald verlassen wollen, versteht er nicht. Die Briten wollten mit dem Vorwurf, Russland sei am Anschlag auf Skripal beteiligt, von innenpolit­ischen Problemen ablenken, meinte er.

In der Tat kommt der Fall Skripal der britischen Premiermin­isterin Theresa May mächtig zugute. Denn nach einer fehlgeschl­agenen Neuwahl 2017 regiert sie nur noch mit hauchdünne­r Mehrheit. Der Streit um den richtigen Brexit-Kurs isolierte sie innen- und außenpolit­isch zusehends. Doch mit der Attacke auf Skripal kam für May die Wende.

Sofern der Westen nicht weitere Maßnahmen nachlegt, könnte sich die diplomatis­che Krise beruhigen. Dies ließe Raum, sich intensiv der Aufklärung des Falls Skripal zu widmen. Dazu bemerkt der Politologe Dmitri Trenin: „Wenn Russland glaubt, dass es unschuldig ist, dann sollte es eine plausible Version der Ereignisse schildern.“

 ?? FOTO: LOVETSKY/AP/DPA ?? Harter Gegenschla­g: Russland verweist als Reaktion auf die Ausweisung seiner Diplomaten unter anderem 60 US-Diplomaten des Landes und schließt das US-Generalkon­sulat in St. Petersburg. Das Sicherheit­spersonal trägt schon mal die Möbelstück­e heraus.
FOTO: LOVETSKY/AP/DPA Harter Gegenschla­g: Russland verweist als Reaktion auf die Ausweisung seiner Diplomaten unter anderem 60 US-Diplomaten des Landes und schließt das US-Generalkon­sulat in St. Petersburg. Das Sicherheit­spersonal trägt schon mal die Möbelstück­e heraus.

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