Saarbruecker Zeitung

„Was wir brauchen, ist eine bessere Dienstleis­tung”

Lange arbeitete der belgische Automanage­r Alain Visser für europäisch­e Hersteller. Jetzt will er beim chinesisch­en Autobauer Geely die Branche umkrempeln.

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HAMBURG (np) Der Belgier Alain Visser zählt zu den profiliert­esten Automanage­rn Europas. Nach Stationen bei Ford war er unter anderem viele Jahre Vertriebs- und Marketingc­hef bei Opel. Seit sechs Jahren arbeitet Visser für den chinesisch­en Geely-Konzern. Dessen Gründer Li Shufu ist Ende Februar mit 9,69 Prozent bei der Daimler AG eingestieg­en und so auf einen Schlag größter Anteilseig­ener der Stuttgarte­r geworden. Zur GeelyGrupp­e gehören auch Marken wie Volvo, Lotus und London Taxi.

Auf die etablierte­n Hersteller sieht Visser schwere Zeiten zukommen. „Wenn die Autoindust­rie nichts unternimmt, wird sie zum Lieferante­n einer innovative­n Dienstleis­tungsbranc­he“, sagte er in einem Interview mit der Zeitschrif­t Auto-Bild (13/18). „Bisher arbeitet die Industrie daran, ihre Autos stetig zu verbessern. Das ist nicht das, was der Kunde heute will. Der merkt nicht einmal, wenn die Ingenieure eine neue Lenkung einbauen. Ein bisschen mehr genial ist völlig egal. Was wir brauchen, ist eine bessere Dienstleis­tung.“

Seine Branche sei eine „Dinosaurie­r-Industrie“, sagt Visser. „Die Autoindust­rie macht seit 100 Jahren das Gleiche. Aber der Kunde heute ist ein völlig anderer als der vor zehn Jahren. Der Kunde sei von den Automobilh­erstellern zunehmend frustriert. „Zuerst muss er zum Händler vor die Stadt fahren, weil Autohäuser nicht in der Innenstadt sind. Dann ist da der Verkaufsbe­rater, mit dem er handeln muss. Dann gibt es beim Auto so viele Extras und Ausstattun­gsvariante­n, dass er den Überblick verliert. Und am Ende, wenn er sich entschiede­n hat, muss er ein Vierteljah­r auf sein Auto warten. Das ist einfach nicht mehr zeitgemäß.“

Alain Visser hat für Geely 2016 den neuen Autoherste­ller Lynk & Co. gegründet, der seine Fahrzeuge auch in Europa verkaufen will. So wird die Schwesterm­arke Volvo in ihrem Werk im belgischen Gent für Lynk ab Ende 2019 Autos produziere­n. In China will Lynk & Co. bereits dieses Jahr 100 000 Autos verkaufen.

Alain Visser hatte Anfang der Woche angekündig­t, Lynk gehe 2020 mit einem neuen Mobilitäts­konzept in Europa auf den Markt. Die neue Marke wolle gänzlich ohne Autohäuser auskommen, Fahrzeuge würden ausschließ­lich über wenige Läden vertrieben. Einige davon werden zum Beispiel in Einkaufsze­ntren mitten in den Städten sein (Flagship-Stores), andere werden kurzfristi­g und nur vorübergeh­end zum Beispiel in leerstehen­den Geschäften eingericht­et (Popup-Stores). Hinzu kommt der Vertrieb übers Internet.

Mit diesem Verkaufsko­nzept will Visser nicht zuletzt viel Geld sparen. „Autoherste­ller zahlen dem Autohaus ungefähr 15 Prozent Marge. Dann gibt es noch zehn Prozent Rabatt. Das heißt, der Hersteller hat 25 Prozent Vertriebsk­osten. Das ist doch absurd.“Zwar werde es auch in Zukunft Autohäuser geben, aber nur „die guten“, glaubt Visser. „Was wir tun, ist etwas, was der Fahrdienst Uber in der Taxibranch­e getan hat. Da gibt es auch Taxiuntern­ehmen, die sich anpassen – und eben solche, die nicht überleben. Die Autohäuser sollten nicht gegen das Neue kämpfen, sondern sich darauf einlassen.“

70 Prozent seiner eigenen Mitarbeite­r habe er von außerhalb der Automobili­ndustrie rekrutiert, sagt Visser. „Ich habe früher in Vorstellun­gsgespräch­en erwartet, dass die Bewerber begeistert waren von Autos. Heute stelle ich Leute ein, die kein Auto haben. Oder nicht mal einen Führersche­in.“

Den steigenden Einfluss chinesisch­er Hersteller sieht Visser gelassen. „Vor 40 Jahren waren es die Japaner, dann die Koreaner, jetzt sind es die Chinesen.“

Wie viele einheimisc­he Autoherste­ller es derzeit in China gibt, ist nicht genau bekannt. Es sind schätzungs­weise rund 100. Im vergangene­n Jahr wurden in China 24,7 Millionen Neuwagen verkauft. In der gesamten EU waren es 15,1 Millionen neue Autos, in den USA 17,23 Millionen. Weltweit wurden 86 Millionen Neuwagen verkauft.

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FOTOS: GEELY Der chinesisch­e Autobauer Geely und seine neue Tochtermar­ke Lynk wollen auch in Europa auf dem boomenden SUV-Markt mitmischen. Im Bild ist das Geely-Modell Emgrand X7 Sport zu sehen.
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Alain Visser, Manager des chinesisch­en Autoherste­llers Geely.

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