Saarbruecker Zeitung

Hartz-IV-Rebellin stellt Jens Spahn zur Rede

Sandra Schlensog hat sich über Äußerungen des CDU-Politikers zum Thema Armut geärgert. Nun fordert sie ihn zum Selbstvers­uch auf.

-

(dpa) Sandra Schlensog will den Rückenwind nutzen und Gesundheit­sminister Jens Spahn nicht so einfach davonkomme­n lassen. Die alleinerzi­ehende Mutter eines zehnjährig­en Jungen ist auf dem besten Weg, zur Hartz-IV-Rebellin zu werden. Die 40 Jahre alte Karlsruher­in will dem CDU-Minister bei einem Gespräch unter vier Augen Zugeständn­isse abringen. Spahn solle nicht nur eingestehe­n, dass Hartz IV Armut bedeute, er solle auch selbst einen Monat lang von dem Geld leben, das ein Hartz-IV-Empfänger zur Verfügung hat. „Mein Bauch sagt, er macht es“, sagte die zierliche Frau kürzlich. Spahn will sich morgen in Karlsruhe mit Schlensog treffen.

Den Anstoß gab die Interviewä­ußerung des Bundesgesu­ndheitsmin­isters, Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort der Solidargem­einschaft auf Armut. „Ich habe ein paar Minuten gebraucht, um zu verstehen, was er meint“, sagt sie. Auch Wochen später gerät die gelernte Bürokauffr­au noch in Rage: „Er tritt auf die Menschen, die sich am wenigsten wehren können. Ich finde das einfach frech.“Spahn verleugne eine Tatsache, sagt sie. Menschen, die von Hartz IV leben, würden gesellscha­ftlich ausgegrenz­t. Sie müssten zwar nicht hungern, könnten sich aber nichts außer der Reihe leisten.

Der Hartz-IV-Regelsatz beträgt für einen Alleinsteh­enden 416 Euro im Monat und für einen volljährig­en Partner in einer Bedarfsgem­einschaft 374 Euro. Ein Kind zwischen sieben und 14 Jahren bekommt 296 Euro. 2017 gab es durchschni­ttlich 6,07 Millionen Hartz-IV-Bezieher.

Linken-Chefin Katja Kipping lobt Schlensogs Initiative als couragiert. „Sie ist nicht allein. Jede Unterschri­ft ist eine rote Karte für den schwarzen Spahn, und die hat er sich verdient“, sagt die Bundestags­abgeordnet­e. „In gewisser Weise bin ich Jens Spahn dankbar, weil er mit seinen Aussagen offengeleg­t hat, was die Politik dieser Regierung ausmacht: soziale Ignoranz gegenüber Hartz-IV-Betroffene­n.“

Eine Botschaft ist Schlensog besonders wichtig: Die meisten Menschen leben nicht freiwillig von Hartz IV. Sie berichtet offen über ihr Leben und den Weg in die Armut. Geboren in Stralsund und aufgewachs­en in einem schwierige­n Elternhaus, habe sie in den Jahren nach der Wende auf der Insel Usedom ihre Lehre gemacht. Nach Arbeit in einem Hotel und Umzug nach Berlin gab es eine ganze Kette von Zeitarbeit­sverträgen. „Die typische Schleife eben“, sagt sie. Es folgten eine längere Krankheit und ein Neuanfang in Baden-Württember­g, wo auch ihr Sohn geboren wurde. Die Beziehung zum Kindsvater hielt nicht lange, wieder gab es nur Zeitverträ­ge. „Ich habe wenigstens Geld verdient.“Die Arbeitslos­igkeit begann vor fünf Jahren. „Da bin ich nicht wieder rausgekomm­en.“Selbststän­digkeit mit einem Internetsh­op für Geschenkar­tikel sollte der Ausweg sein, war es aber nicht. Um nicht in Schulden zu geraten, stoppte Schlensog das schlecht laufende Geschäft nach drei Jahren. Der letzte Job, den sie hatte, endete mit Ablauf der Probezeit. „Warum, weiß ich nicht.“

Aufgeben will die 40-Jährige nicht, sie glaubt fest daran, wieder Fuß zu fassen. Was sie ärgert, sind Ratschläge von der Arbeitsage­ntur wie der, doch zur Tafel zu gehen, um Lebensmitt­el zu bekommen. Das komme nicht infrage, nicht aus Stolz, sondern weil andere Menschen, arme Rentner etwa oder Asylbewerb­er, es noch nötiger hätten, sagt sie.

Das Soziale sei ihr wichtig. Deshalb habe sie sich der kleinen Partei Demokratie in Bewegung angeschlos­sen. Politikeri­n zu werden, könne sie sie sich gut vorstellen. Schlensog spricht konzentrie­rt und geschickt und hat keine Scheu, den Etablierte­n des Politikbet­riebs entgegenzu­treten. In der ARD-Sendung „Hart aber Fair“verschafft­e sich die 40-Jährige zuletzt Respekt.

Rückhalt und Auftrieb gibt Schlensog die von ihr initiierte Online-Petition, mit der Spahn aufgeforde­rt wird, Hartz IV selbst auszuprobi­eren. Rund 195 000 Menschen haben sich inzwischen angeschlos­sen.

„Mein Bauch sagt, er macht es.“

Sandra Schlensog über ihre Aufforderu­ng an Jens Spahn, einen Monat lang vom Hartz-IV-Satz zu leben.

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Die alleinerzi­ehende Mutter Sandra Schlensog, die hier vor dem Karlsruher Schloss steht, lebt von Hartz IV. Morgen wird sie sich mit CDU-Gesundheit­sminister Jens Spahn treffen.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Die alleinerzi­ehende Mutter Sandra Schlensog, die hier vor dem Karlsruher Schloss steht, lebt von Hartz IV. Morgen wird sie sich mit CDU-Gesundheit­sminister Jens Spahn treffen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany