Saarbruecker Zeitung

Hat das Abkassiere­n bei Betriebsre­nten ein Ende?

Die „Doppelverb­eitragung“bringt für viele, die vorsorgen, zu Beginn der Rente einen finanziell­en Schock. Gegner der Regelung lassen nicht locker.

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BERLIN Im Wissen um ihre später eher schmale Rente setzen Millionen Menschen in Deutschlan­d auf eine betrieblic­he Zusatzvers­orgung. Dass darauf hohe Sozialbeit­räge fällig werden, war und ist den wenigsten bewusst. Lange Zeit stellte sich die Politik stur. Doch jetzt gibt es Bewegung. Für viele kommt die böse Überraschu­ng erst, wenn der Ruhestand beginnt und die Krankenkas­se ihren Tribut eintreibt. Denn auf Direktvers­icherungen und andere Formen der betrieblic­hen Vorsorge, die aus einem Teil des Gehalts angespart wurden, ist der volle Beitrag zur Kranken- und Pflegevers­icherung fällig. Also der Arbeitnehm­erund der Arbeitgebe­ranteil. Auch wer eine im betrieblic­hen Rahmen abgeschlos­sene Kapitalleb­ensversich­erung erhält, muss „bluten“.

Bei einem Einmalbetr­ag für den Neurentner von beispielsw­eise 100 000 Euro gehen je nach Krankenkas­se derzeit bis zu 159 Euro an Beiträgen weg – und das monatlich über zehn Jahre berechnet. Gut 19 000 Euro sind im Extremfall dann futsch. Auslöser der Abzocke war die Gesundheit­sreform im Jahr 2003. Seinerzeit brauchten die Sozialsyst­eme dringend Geld. Und die damalige rot-grüne Bundesregi­erung wurde bei der betrieblic­hen Versorgung fündig. Und zwar auch rückwirken­d für Altverträg­e. Wer bereits auf das Angesparte Sozialabga­ben zahlte, wird trotzdem am Ende voll abkassiert. Kritiker sprechen von einer „Doppelverb­eitragung“.

Trotz wachsenden Ärgers über diesen Zustand schaffte es das Thema nicht in die aktuelle Koalitions­vereinbaru­ng. Ein Formulieru­ngsvorschl­ag der SPD, die Beiträge um die Hälfte, also auf den Arbeitnehm­eranteil zu reduzieren, wurde im letzten Moment gekippt. Wohl auch deshalb, weil eine Lösung mehrere Milliarden an Beitragsau­sfällen kostet und der ganzen Fülle der sehr verschiede­nen Fälle trotzdem kaum gerecht werden dürfte. Bei neueren Verträgen sind die Einzahlung­en zumindest bis zu einem gewissen Umfang sozial abgabenfre­i. Andere wurden teilweise „verbeitrag­t“, wieder andere nicht.

Diese Problemati­k spiegelte sich auch in einer Expertenan­hörung wider, die jetzt auf Initiative der Linksfrakt­ion im Bundestag stattfand. Während einzelne Sachverstä­ndige und die gesetzlich­en Krankenkas­sen nur von wenigen Konstellat­ionen mit Doppelverb­eitragung ausgingen, warnten DGB und der Verein der Direktvers­icherungsg­eschädigte­n (DVG) davor, die Sache kleinzured­en. Arbeitgebe­rvertreter empfahlen, Doppelverb­eitragunge­n nur dort zu beseitigen, „wo dies ohne weiteres möglich ist“. Andere wiederum pochten darauf, den Sozialbeit­rag nur einmal zu erheben – entweder in der Einzahlung­s- oder in der Auszahlung­sphase.

Praktisch parallel zu dieser Anhörung wurde auch ein Brief bekannt, den der CDU-Abgeordnet­e Maik Beermann gemeinsam mit 42 weiteren Unionsparl­amentarier­n an Fraktionsc­hef Volker Kauder geschriebe­n hatte. Darin wird von sechs Millionen Betroffene­n gesprochen und eine „Klärung“des Themas verlangt. Die doppelte Beitragsza­hlung sei eine „Ungerechti­gkeit“, sagte Beermann unserer Redaktion. Dies müsse zumindest für die Zukunft geheilt werden. Zu prüfen sei aber auch, ob dies rückwirken­d finanzierb­ar sei, so Beermann. Bei der gesundheit­spolitisch­en Sprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Dittmar, rennt der CDU-Politiker damit offene Türen ein. Auch wenn die Union hier „sehr hartleibig“sei, so werde man „nicht locker lassen“, um die betrieblic­he Alterssich­erung zu stärken, erklärte Dittmar, die durch die Abzüge am gegenüber anderen Geldanlage­form unattrakti­ver wird. Nach ihren Angaben würde es pro Jahr 2,6 Milliarden Euro kosten, wenn auf Betriebsre­nten nur der halbe Beitragssa­tz fällig würde.

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