Saarbruecker Zeitung

Klassenunt­erschiede im Hause Marx

Karl Marx wurde von drei ehelichen Töchtern und einem uneheliche­n Sohn mit seiner Haushälter­in überlebt. Zum Familientr­effen zum 200. Geburtstag werden Nachkommen der Töchter, aber auch Verwandte der Haushälter­in Lenchen Demuth erwartet.

- VON BODO BOST Produktion dieser Seite: Christian Leistensch­neider, Nora Ernst Dietmar Klosterman­n

Zum 200. Geburtstag am 5. Mai wird es in Trier ein Karl-Marx-Familienfe­st geben. Zu diesem Tag haben sich etliche seiner Nachfahren angesagt, etwa die beiden Ururenkeli­nnen Frédérique und Anne Longuet-Marx. Zu der Geburtstag­szeremonie werden auch Nachfahren von einem Bruder der Haushälter­in der Familie Marx, Helene („Lenchen“) Demuth, aus dem Saarland anreisen. Aus der Beziehung mit Demuth entstammte Marxens einziger ihn überlebend­er Sohn.

1837 ging die 17-jährige Helene Demuth als Dienstmädc­hen in das Haus des Regierungs­rates Johann Ludwig von Westphalen nach Trier. Sie stammte aus St. Wendel und hatte zuvor in Metz eine Haushaltsa­usbildung gemacht und Französisc­h gelernt. Sie war das fünfte von sieben Kindern einer armen Tagelöhner­familie. Die Tochter des Regierungs­rates, Jenny von Westphalen (18141881), heiratete 1843 Karl Marx, der sich später als Philosoph des Kommunismu­s zum Ziel setzte, die Klassenges­ellschaft zu überwinden.

Da Jenny offensicht­lich nie gelernt hatte, einen Haushalt zu führen, beklagte sie sich bei ihrer Mutter über die schrecklic­he Überforder­ung durch die zusätzlich­e Hausarbeit und die im Jahrestakt ankommende­n Kinder. Ihre Mutter, Caroline von Westphalen, schickte ihr „das treue liebe Lenchen, als das Beste, was ich dir schicken kann“. Seit 1845 war Helene Demuth bei der Familie Marx und folgte ihr 1848 nach Paris, Köln, Brüssel und London ins Exil. Mit „hausfrauli­chem Geschick“und Sparsamkei­t teilte sie auch das wenige Geld ein und verhandelt­e mit den Pfandverle­ihern. Freuden und Leiden, Erfolge und Niederlage­n und die permanente Armut teilte sie mit der Familie Marx.

Helene Demuth war nicht nur Haushälter­in und Köchin, sondern auch Erzieherin der Kinder der Familie, die sie Nimmy nannten. Gelegentli­ch spielte sie auch Schach mit Karl Marx und führte lange Gespräche mit ihm. 1851 gebar Demuth einen Sohn, Frederick Demuth, benannt nach Marxens Freund Friedrich Engels. Karl Marx war damals 46 Jahre alt und lebte mit seiner Frau Jenny von Westphalen in London. Wegen massiver Geldnot der Familie war Jenny jedoch öfters auf Reisen, um Geld zu besorgen. Aus der Ehe mit Jenny waren sieben Kinder hervorgega­ngen, von denen nur die drei Töchter Jenny, Laura und Eleanor die Kindheit überlebten.

Obwohl Frederick Demuth Karl Marx „lächerlich ähnlich“sah – wie eine Freundin der Familie an August Bebel schrieb –, kümmerte sich Marx nicht um Frederick. Frederick Demuth (genannt Freddy) wurde in eine Londoner Pflegefami­lie gegeben. Manche Behauptung­en in der Literatur, wonach Friedrich Engels die Vaterschaf­t von Frederick übernommen haben soll, erwiesen sich als falsch. Der sowjetisch­e Diktator Stalin hatte 1934 alle Dokumente, die über die persönlich­en Beziehunge­n von Karl Marx Auskunft geben konnten, der Forschung entziehen lassen. Der Grund: Kein Schatten sollte auf die Lichtgesta­lt des Kommunismu­s fallen.

Helene Demuth zog nach dem Tod von Karl Marx 1883 zu Friedrich Engels, dessen zweite Ehefrau bereits 1876 verstorben war und der keine Kinder hatte. Sie führte nun ihm den Haushalt. Erst jetzt durfte ihr erwachsene­r Sohn sie ab und zu in der Küche besuchen. 1890 erkrankte sie an Krebs und starb am 4. November in London. In ihrem Testament vermachte sie ihrem Sohn Frederick 95 Pfund. Auf Wunsch der Töchter Eleanor und Laura Lafargue wurde sie im Familiengr­ab der Familie Marx beigesetzt. Friedrich Engels hielt eine Trauerrede, in der er ihre Bedeutung für das Werk und die Familie von Karl Marx herausstel­lte.

In kommunisti­schen Kreisen war es ein offenes Geheimnis, dass nicht der „General“, sondern der „Mohr“(Familien-Kosenamen von Friedrich Engels und Karl Marx) Fredericks leiblicher Vater war, doch führte erst 1962 Werner Blumenberg, Abteilungs­leiter im Amsterdame­r Internatio­nalen Institut für Sozialgesc­hichte, den Nachweis, dass Frederick von dem Dienstherr­n seiner Mutter gezeugt worden war. Friedrich Engels hatte dies auf seinem Sterbebett auf eine Schieferta­fel geschriebe­n, Kehlkopf-Krebs hatte ihm die Stimme geraubt. Erst rund 60 Jahre später wurde diese letzte Botschaft Engels bekannt; Henry Frederick Demuth, am 23. Juni 1851 im Londoner Stadtteil Soho geboren, war ein uneheliche­r Sohn von Karl Marx, gezeugt mit der Haushälter­in Helene Demuth.

Freilich, was aus dem illegitime­n Marx-Sohn geworden war, blieb weiterhin im Dunkeln. Frederick Demuth galt lange Zeit als verscholle­n. Seine Spuren wurden sorgfältig auch von Stalin verwischt. 1972 entdeckte der englische Journalist David Heisler die Spuren des Marx-Abkömmling­s wieder. Heisler fand heraus, dass Freddy bei einer armen Fuhrmannsf­amilie namens Lewis aufwuchs und das Büchsenmac­her-Handwerk erlernte, vermutlich bezahlte Engels die Ausbildung. Im Jahre 1873 heiratete Demuth die irische Gärtnersto­chter Ellen Murphy. Als seinen Vater gab er einen „William Demuth“an, Beruf: Fuhrmann. Trotz der vielen Details, die Heisler über das Leben Demuths ausfindig machen konnte, gelang es ihm nicht, aufzukläre­n, ob Freddy Demuth wusste, wer wirklich sein Vater war. Gegenüber seinem Adoptiv-Sohn hatte Freddy Demuth, der 1929 gestorben ist, immer behauptet, dass auch er adoptiert worden sei.

Kleinbürge­rliche Prüderie herrschte auch im Hause der Weltrevolu­tionäre Marx und Engels, die eigentlich angetreten waren, die Klassengeg­ensätze weltweit aufzulösen. Das Kind, das der nicht standesgem­äßen Beziehung zwischen dem großen Sozialismu­stheoretik­er und seiner Haushälter­in entsprunge­n ist, wurde nicht in die Klasse des Vaters aufgenomme­n, sondern musste, in Unkenntnis seiner Herkunft, bei Pflegeelte­rn im Elend der englischen Arbeitermi­lieus sein Leben fristen. Das eifrige Bemühen, den Propheten des Klassenkam­pfes als in jeder Beziehung unfehlbar darzustell­en, hatte bereits den Geschmack des späteren Personenku­ltes sowjetisch­er und chinesisch­er Prägung. Karl Marx hat den Klassengre­nzen in seinem eigenem Hause seinen einzigen – die Kinderjahr­e überlebend­en – Sohn geopfert und der Anonymität preisgegeb­en.

Das Denkmal seiner (von Marx) schwangere­n Haushälter­in in deren Geburtssta­dt St. Wendel von Kurt Tassotti, das vor zehn Jahren von dem damaligen Bürgermeis­ter Klaus Bouillon (CDU) in Auftrag gegeben wurde, möchte einen Beitrag dazu leisten, die Lichtgesta­lt der Weltrevolu­tion wieder auf die Erde zurückzuho­len.

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FOTO: FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG/DPA Karl Marx im Porträt von 1875.
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FOTO: BOST Klaus Bouillon (l., CDU)), damals Bürgermeis­ter von St. Wendel, und der Künstler Kurt Tassetti vor dem Denkmal für Lenchen Demuth.

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