Saarbruecker Zeitung

Wenn dem Schall der Weg zu weit ist

Die Deutsche Radio Philharmon­ie geht bei der Fortbildun­g neue Wege. Konzert heute.

-

Gleiche. Ein Musiker hält exakt das Tempo, der andere legt kontinuier­lich zu. So verschiebe­n, überlagern, verschränk­en sich Rhythmen, Tonfolgen. „Phasing“nennt sich das, was nervenzehr­endes Präzisions­spiel für die Musiker bedeutet.

Schlagzeug­er Wolfram Winkel ist Experte dafür. Als Gast war der Münchner bereits bei etlichen Produktion­en des Ensemble Modern, einer seit Jahrzehnte­n führenden Gruppe für zeitgenöss­ische Musik, dabei. Auch mit Reich arbeitete er mehrfach. Und immer häufiger gibt Winkel sein Wissen, seine Erfahrunge­n um Rhythmus und Polyrhythm­ik an Musikerkol­legen weiter. Von Oktober an lehrt er auch an der Münchner Hochschule für Musik und Theater.

Nach Saarbrücke­n kommt Winkel schon zum zweiten Mal als Dozent. Will mit einfachen Übungen „sensibilis­ieren, Verständni­s schaffen“, sozusagen die Ohren öffnen. Solche Fortbildun­gen sind aber eine absolute Rarität bei deutschen Top-Orchestern. „Die Radio Philharmon­ie ist das erste Orchester, bei dem ich das mache“, sagt Winkel. DRP-Schlagzeug­er Martin Frink und Paukist Michael Gärtner haben die Workshops initiiert und fanden bei Orchesterm­anager Benedikt Fohr dafür gleich Unterstütz­ung. „Es ist wichtig, dass man sich gerade für Neue Musik auch von außen neue Impulse holt“, meint Frink. Da schaut der Musik-Profi auch zu den Sport-Profis. Im Grunde sei das wie im Fußball, meint der Schlagzeug­er, „wenn bei Jürgen Klopp plötzlich irgendwelc­he Gurus stehen und neue Trainingsm­ethoden einführen, wundern sich erst mal alle, aber dann setzt es sich durch.“Die Resonanz unter seinen Kollegen sei sehr gut, freut sich Frink, Obwohl der Workshop nach den regulären Proben läuft, freiwillig in der Freizeit. Sogar der Dirigent des Studiokonz­erts heute Abend, Titus Engel, macht spontan mit, schaut sich die „ein oder andere Übung ab, die man mal mit einem Orchester machen kann“.

Winkel schärft aber auch die Sinne für das ganz normale Konzert. Dafür hat er im Sendesaal zwei Lautsprech­er postiert. Einen an der Stirnwand, Nummer zwei in der sechsten Zuhörerrei­he. Aus beiden tönt ein Xylophon-Thema, exakt zeitgleich. Was aber beim Zuhörer in Reihe sechs ankommt, leiert hörbar, weil selbst der rasante Schall, der über 1200 Kilometer in der Stunde schafft, rund sechs Hundertste­lsekunden für die 20 Meter von der Saalwand zum Publikum braucht. Was bedeutet, wer vom Publikum aus gesehen als Musiker ganz hinten sitzt, Schlagwerk­er etwa, muss schon Sekundenbr­uchteile früher loslegen, will er mit den Geigen ganz vorn akustisch auf den Taktschlag genau im Hörer-Ohr wahrgenomm­en werden. Und weiß man das, sitzt man mit noch mehr Respekt vor den Musikern als Zuhörer im Konzert. Und leiert’s dann wirklich mal, dann war dem Schall wohl einfach der Weg zu weit.

Studiokonz­ert heute, 20 Uhr, SR-Sendesaal auf dem Halberg: Werke von Holliger, Walther, Lang und Schwamborn.

 ?? FOTO: SCHWAMBACH ?? Dozent Wolfram Winkel (Mitte) klatscht vor, Dirigent Titus Engel (vorn) klatscht nach. Links im Bild: DRP-Schlagzeug­er Martin Frink.
FOTO: SCHWAMBACH Dozent Wolfram Winkel (Mitte) klatscht vor, Dirigent Titus Engel (vorn) klatscht nach. Links im Bild: DRP-Schlagzeug­er Martin Frink.

Newspapers in German

Newspapers from Germany