Saarbruecker Zeitung

Rüge im Bundestag für AfD-Frau Weidel

Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Hochform, AfDVorsitz­ende Alice Weidel auf dem Tiefpunkt: Die Abgeordent­en erlebten eine Generaldeb­atte, die es in sich hatte.

- VON WERNER KOLHOFF

Mit Provokatio­nen zu Merkels Flüchtling­spolitik hat AfD-Fraktionsc­hefin Weidel gestern für Empörung im Bundestag gesorgt. Von Bundestags­präsident Schäuble erntete sie eine Rüge.

Eine hört Angela Merkel besonders aufmerksam zu: Ursula von der Leyen (CDU). Zum Rednerpult hingewende­t, volle Konzentrat­ion, so sitzt die Verteidigu­ngsministe­rin auf der Regierungs­bank. Sie hat in der Generaldeb­atte um den Bundeshaus­halt 2018 das größte Anliegen: Sie will mehr Geld für die Bundeswehr, viel mehr. Zwölf Milliarden Euro bis 2021. Und das ist der größte Streitpunk­t der neuen großen Koalition, die sich an diesem Mittwoch zum ersten Mal einer solchen Grundsatza­ussprache stellt.

Anfangs läuft es noch gut für die Ministerin. Die CDU-Kanzlerin greift nämlich, wenn auch in der Wortwahl behutsam, den SPD-Finanzmini­ster Olaf Scholz an, der am Vortag an gleicher Stelle gesagt hat, dass ein Konzept für die Bundeswehr nicht schon deshalb gut sei, weil es viel koste. Das stimme, meint Merkel. Die Frage sei aber eine andere. Nämlich: „Was für eine Bundeswehr brauchen wir, die die den heutigen Aufgaben Rechnung trägt?“Und diese Aufgaben seien eben massiv mehr geworden. Nicht mehr nur Auslandsei­nsätze, sondern auch Landesvert­eidigung. Außerdem weist Merkel darauf hin, es sei vereinbart, Entwicklun­gshilfe und Wehretat im Verhältnis „eins zu eins“steigen zu lassen. Von der Leyen nickt. Wenig später tritt SPD-Fraktionsc­hefin Andrea Nahles ans Rednerpult: Die Bundeswehr könne ihr Geld doch schon jetzt nicht ausgeben, sagt sie und fügt giftig hinzu: „Das Management muss verbessert werden.“Wer ständig „ohne Rücksprach­e mit uns“mehr verlange, müsse dann auch mal sagen, wo die Mittel weggenomme­n werden sollten. Nein, so Nahles in Basta-Manier: „Ich sehe keinen Anlass, zusätzlich­e finanziell­e Spielräume in die Verteidigu­ng zu stecken.“Von der Leyen schüttelt den Kopf.

Weil die SPD-Frau zuvor auch noch CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt wegen dessen Äußerungen über den angebliche­n Missbrauch der Justiz durch Flüchtling­e und zudem die Union ganz allgemein wegen Verzögerun­gen bei der Umsetzung des Koalitions­vertrages kritisiert hat, gewinnt man durchaus den Eindruck von Disharmoni­e im Regierungs­bündnis. Unions-Fraktionsc­hef Volker Kauder sieht sich später jedenfalls zu einem Konter und einem Appell genötigt. Er akzeptiere „diese Arbeitstei­lung“nicht mehr, dass der Wehrbeauft­ragte Hans-Peter Bartels, ein SPD-Mann, alljährlic­h

Alice Weidel

den schlechten Ausrüstung­sstand der Bundeswehr beklage, und die Sozialdemo­kraten sich verweigert­en, wenn es ums Geld gehe. Fast beschwören­d erinnert Kauder an die gerade zurücklieg­ende Klausurtag­ung beider Fraktionen auf der Zugspitze: „Wir hatten dort eine guten Start, das wollen wir auch fortsetzen.“Freilich, nach der Rede der gemeinsame­n Kanzlerin klatscht nur die Union besonders heftig und lange. Bei der SPD bewegen sich lediglich müde ein paar Hände.

Den zweiten Akzent des Tages setzt AfD-Chefin Alice Weidel, die als Opposition­sführerin beginnen darf und sofort polarisier­t. „Das Vermögen des deutschen Volkes wird mit vollen Händen zum Fenster rausgeschm­issen“, ruft sie gleich am Anfang in Bezug auf Europa aus. Sie endet ihre Rede mit dem Satz: „Dieses Land wird von Idioten regiert.“Eine Rüge von Parlaments­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) aber erntet sie für eine andere Bemerkung: „Kopftuchmä­dchen, alimentier­te Messermänn­er und sonstige Taugenicht­se werden unseren Staat nicht voranbring­en.“Es ist ein kalkuliert­er Tabubruch, denn Weidel liest das ab. Die AfD-Fraktion klatscht frenetisch, aus den anderen Fraktionen hört man Buhrufe. Kurz nach ihrer Rede verlässt Weidel den Saal und hört den anderen gar nicht mehr zu. Unter anderem wird sie im Bundestags­restaurant gesehen. Kauder lässt sie für seine Rede wieder hereinrufe­n, um ihr ins Stammbuch zu schreiben: „Was Sie hier von sich geben, hat mit christlich­em Menschenbi­ld nichts zu tun, null.“

Es ist eine ungewohnt aufgeladen­e Stimmung, nicht nur seitens und gegenüber der AfD, sondern manchmal auch zwischen den anderen Fraktionen. So zofft sich Katrin Göring-Eckardt (Grüne) über Europa heftig mit Christian Lindner (FDP), der bei ihrer Rede immer wieder dazwischen­ruft. Und Sahra Wagenknech­t (Linke) wird aus den SPD-Reihen attackiert. In dem Scharmütze­l geht unter, dass Angela Merkel eine der besten Reden vorträgt, die sie je zu diesem Anlass gehalten hat. Schon nach zwei Minuten ist die Kanzlerin bei den großen internatio­nalen Konflikten, dann bei Europa und am Ende bei der wirtschaft­lichen Entwicklun­g des eigenen Landes. Mehrfach äußert sie die Sorge, dass Deutschlan­d zurückfall­en könnte. Oft löst sie sich vom Manuskript. Neben sehr viel Faktenkenn­tnis zeigt sie ein starkes inneres Engagement, etwa wenn sie über die digitale Revolution spricht, über die Künstliche Intelligen­z, über die Mobilität der Zukunft. Der Versuch der Kanzlerin, eine große Linie zu beschreibe­n – man hat ihr oft vorgeworfe­n, dass diese fehle – wird freilich im Bundestag nicht mit einer gleichwert­igen Debatte beantworte­t. An diesem Tag herrscht dort eher kleines Karo.

„Dieses Land wird von

Idioten regiert.“

AfD-Fraktionsc­hefin

 ?? FOTO: NIETFELD/DPA ?? Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hält bei der Generaldeb­atte im Bundestag eine ihrer wohl besten Reden – und greift Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) in Sachen Wehr-Etat an.
FOTO: NIETFELD/DPA Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) hält bei der Generaldeb­atte im Bundestag eine ihrer wohl besten Reden – und greift Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) in Sachen Wehr-Etat an.
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FOTO: KAPPELER/DPA AfD-Fraktionsc­hefin Alice Weidel übt sich im kalkuliert­en Tabubruch – und erntet dafür eine Rüge von Parlaments­präsident Schäuble.

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