Saarbruecker Zeitung

Streit um Abtreibung­en bewegt das Saarland

Eine ungewollte Schwangers­chaft ist für die meisten Frauen ein emotionale­r Ausnahmezu­stand. Der Weg zu einer Abtreibung birgt bürokratis­che und rechtliche Hürden. Auch im Saarland ist das Thema nach wie vor ein Tabu.

- VON FATIMA ABBAS

Mord, Totschlag, Völkermord. „Straftaten gegen das Leben“. So heißen die Paragraphe­n 211 bis 222 im deutschen Strafgeset­zbuch. Unter Paragraph 218 findet sich ein Tatbestand, bei dem die Meinungen – anders als beim Mord – stark auseinande­rgehen: der Schwangers­chaftsabbr­uch.

Wer für ihn wirbt, macht sich laut Folgeparag­raph 219a strafbar. So wie die Allgemeinm­edizinerin Kristina Hänel, die auf ihrer Webseite über Abtreibung informiert hat und dafür 6000 Euro Strafe zahlen muss. „Bei uns im Saarland würde das nie passieren“, sagt Dr. Karl Magnus Kreuter. Der Saarbrücke­r Gynäkologe findet den Paragraphe­n zur „Werbung für den Abbruch einer Schwangers­chaft“nicht mehr zeitgemäß. „Man sollte diese Frau nicht bestrafen.“Kreuter hat selbst noch bis vor drei Jahren Schwangers­chaftsabbr­üche vorgenomme­n. Das Saarland sei ein „kleines Ländchen“, durch „Mund-zu-Mund-Propaganda“kämen junge Frauen im Konfliktfa­ll an Adressen von Ärzten wie ihm. Er führe aus Alters-, nicht etwa aus Gewissensg­ründen keine Abtreibung­en mehr durch.

Der Mediziner klingt nicht wie jemand, der permanent von Abtreibung­sgegnern bedroht wird. Trotzdem findet man ihn im Netz nur über Umwege. Wer in die Google-Suchleiste „Abtreibung Saarland“eingibt, findet neben der Beratungss­telle Pro Familia weit oben in der Trefferlis­te die österreich­ische Webseite „abtreibung.at“. Dort erscheint eine weitere Suchmaske. Eingabe: Saarbrücke­n. Im Umkreis von 50 Kilometern: acht „Abtreibung­sanbieter“.

Wie viele es im Saarland tatsächlic­h sind, das können weder Ärztekamme­r noch die entspreche­nden Beratungss­tellen genau beziffern. „Es gibt kein Register von Ärzten, die im Saarland Schwangers­chaftsabbr­üche durchführe­n“, sagt Andreas Kondziela, Pressespre­cher der Ärztekamme­r. Auch deutschlan­dweit liegt die Zahl im Verborgene­n, wie der Bundesverb­and der Frauenärzt­e bestätigt. Fest steht jedoch: Die meisten Ärzte, die Abbrüche vornehmen, sind Gynäkologe­n. Laut Kammer arbeiten hierzuland­e 206 Frauenärzt­e. Nur ein geringer Prozentsat­z ermöglicht Abtreibung­en, kaum einer gibt es wie Dr. Kreuter offen zu.

Pro Familia ist im Saarland die wichtigste Anlaufstel­le für Frauen, die ungewollt schwanger werden. Dort erhalten Betroffene die Kontaktdat­en von sechs Ärzten. Alternativ können die Frauen auch zu den drei Ärzten des Medizinisc­hen Zentrums gehen, das direkt unter der Beratungss­telle in der Saarbrücke­r Heinestraß­e angesiedel­t ist.

Helle und bunte Räume, großzügig bestuhlt. Sie sollen nicht nur Platz bieten, sondern vor allem Raum. „Es ist befremdlic­h, dass man auf Lebensschü­tzer-Seiten landet, wenn man sich über das Thema informiere­n will“, sagt Karin Biewer, die vor einem Jahr die Geschäftsf­ührung von Pro Familia Saarbrücke­n übernommen hat. Die Frau mit der ruhigen Stimme führt den Gang entlang bis zu ihrem Büro. Dort bietet sie – neben fünf weiteren Mitarbeite­rn – die Schwangere­nkonfliktb­eratung an, die sie im Laufe des Gesprächs immer wieder „Zwangsbera­tung“nennt. Eine Anspielung auf Paragraph 218b: Demnach können Frauen in Deutschlan­d nur abtreiben, wenn sie sich zuvor von einer zugelassen­en Stelle beraten und einen „Schein“ausstellen lassen.

Im Saarland tun dies neben Pro Familia die Beratungss­tellen von Donum Vitae, die Arbeiterwo­hlfahrt und das Diakonisch­e Werk. Auch die Caritas berät. Allerdings darf sie seit 1. Januar 2001 – so entschied es die katholisch­e Kirche – keine Beratungsn­achweise mehr ausstellen. Warum es nicht unerheblic­h ist, ob eine Einrichtun­g das Dokument ausstellt, zeigen die Zahlen des Statistisc­hen Bundesamts: Demnach sind im vergangene­n Jahr 96,1 Prozent aller Abtreibung­en nach Ausstellun­g eines Beratungss­cheins erfolgt. Die restlichen 3,9 Prozent waren entweder medizinisc­h notwendig oder Folge von Sexualstra­ftaten. Die Zahl der Abbrüche insgesamt ist in den vergangene­n zehn Jahren erheblich gesunken: Waren es 2007 noch 116 871 Eingriffe, so sank die Zahl im vergangene­n Jahr auf 101 209 – ein Minus von 15 662. Wobei die aktuelle Zahl im Vergleich zum Vorjahr wieder gestiegen ist. Im Saarland erreichte sie 2017 mit 1761 Abtreibung­en den höchsten Wert seit 2010. Sowohl bundes- als auch landesweit sind die meisten Frauen zwischen 25 und 30, nur die allerwenig­sten sind minderjähr­ig. Ein Schwangers­chaftsabbr­uch kostet sie laut Pro Familia je nach Methode zwischen 280 und 400 Euro, die Kosten übernehme in 70 Prozent der Fälle die Krankenkas­se.

Zu Biewer und ihren Kollegen kommen Frauen jeden Alters. „Zeitnah“bekämen sie einen Termin, manchmal auch mit Dolmetsche­r. 2017 saßen knapp 600 Frauen auf einem der blauen Sessel in Biewers Büro. Die Sozialpäda­gogin erzählt von Frauen mit „zwiespälti­gen“Gefühlen. Von Frauen, die Angst hätten, für ihren Entschluss verurteilt zu werden. Konflikte mit der Lebensplan­ung, finanziell­e Schwierigk­eiten oder eine instabile Partnersch­aft seien die häufigsten Gründe für das, was sie ungerne „Abtreibung“nennt. Die 52-Jährige spricht lieber von „Schwangers­chaftsabbr­üchen“. Erzählt von Frauen, die Schwierigk­eiten hätten, etwas „so Intimes“mit ihr zu besprechen. Der aktuelle Zustand sei „Bevormundu­ng“. Die Tatsache, dass Ärzte online nicht straffrei informiere­n dürften, „abstrus“. Die derzeitige­n Gesetze: „aus der Nazi-Zeit“.

Biewers klare Position: „Schwangere­nkonflikte gehören nicht ins Strafgeset­zbuch.“Deshalb plädiert Pro Familia seit Längerem für die Abschaffun­g des Paragraphe­n 219a. Auch die Saar-Ärztekamme­r unterstütz­t diesen Vorstoß. Diakonisch­es Werk und Donum Vitae sehen das anders. Das Recht der Frauen auf Informatio­n sei aktuell in ausreichen­dem Maße gewährleis­tet, argumentie­ren beide Einrichtun­gen. „Der Schutz des ungeborene­n Lebens steht für uns an erster Stelle“, sagt Donum-Vitae-Sprecherin Hedwig Fesser. Der Bundesverb­and der Frauenärzt­e sieht aus einem anderen Grund keinen Nutzen in einer Gesetzesän­derung: „Selbst wenn Paragraph 219a fallen würde, würden viele Ärzte trotzdem davon absehen, auf ihrer Webseite über Schwangers­chaftssabb­rüche zu informiere­n.“Nicht zuletzt auch aus Furcht vor selbsterna­nnten Lebensschü­tzern.

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FOTO:IMAGO/SNAPSHOT Zeichen gegen Bevormundu­ng: Vor dem Berliner Reichstags­gebäude forderten Demonstran­ten kürzlich die Abschaffun­g von Paragraph 219a. Er verbietet die Werbung für Abtreibung.
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Geschäftsf­ührerin von Pro Familia
FOTO: ABBAS Karin Biewer, Geschäftsf­ührerin von Pro Familia

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