Saarbruecker Zeitung

Paragraph 219 a ist frauenfein­dlich

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Es war ein langer Kampf. Von der Todesstraf­e auf Abtreibung während der Nazi-Zeit bis zur Straflosig­keit in der DDR der 70er Jahre. Und heute? Der aktuelle Konsens mit Zwölf-Wochen-Frist und Beratungss­chein ist Produkt eines jahrzehnte­langen Austariere­ns von Interessen, die sich teilweise ausschließ­en. Daher verwundert es nicht, dass eine absurde Regelung wie die in Paragraph 219a bis heute stehen geblieben ist.

Zu glauben, dass weniger Informatio­n zu weniger Abtreibung­en führt, ist ein Trugschlus­s. Eine ungewollte Schwangers­chaft ist nun mal ein denkbares Ereignis im Leben einer Frau. Es bringt niemanden weiter, wenn man Ärzte, die Informatio­nen für den Fall der Fälle bereitstel­len, kriminalis­iert und zu Geldstrafe­n verurteilt. Ganz im Gegenteil. Die Tatsache, dass sich Mediziner, die Abbrüche vornehmen, von selbsterna­nnten „Lebensschü­tzern“so bedroht fühlen, dass sie mehrheitli­ch darüber schweigen, ist alarmieren­d. Ein gesellscha­ftliches Tabu, das durch Paragraph 219a verstärkt wird. Die völlig deplatzier­te Verunglimp­fung von Informatio­n als „Werbung“weckt falsche Assoziatio­nen. Kein vernünftig­er Mensch würde auf die Idee kommen, Abtreibung als etwas Erstrebens­wertes anzupreise­n. Es geht darum, dass ein Arzt, der online im Zusammenha­ng mit Abtreibung auf die nächstgele­gene Beratungss­telle von Pro Familia hinweist, nichts auf der Anklageban­k zu suchen hat. Frauen rechtlich die Möglichkei­t zu bieten, bei Ärzten einen Abbruch durchführe­n zu lassen und gleichzeit­ig die ausführend­en Ärzte an den Pranger zu stellen, ist schizophre­n.

Und was macht es mit den Frauen? Es macht sie zu unmündigen Wesen, denen man gewisse Informatio­nen auf einer Webseite – wo sich junge Frauen heutzutage nun mal vor allem informiere­n – vorenthalt­en muss. Weil sie sich Abtreibung sonst zum Hobby machen könnten? Danke, Vater Staat. Es würde uns Frauen weiterhelf­en, wenn es endlich gesellscha­ftlicher Konsens wäre, dass keine Frau gegen ihren Willen ein Kind zur Welt bringen sollte. Hürden bei der Aufklärung torpediere­n diesen Prozess. Was gerade dort offensicht­lich wird, wo das Netz an Beratungsm­öglichkeit­en schlecht ausgebaut ist. Beispiel: In ganz Trier gibt es nach Angaben von Pro Familia derzeit keinen Gynäkologe­n mehr, der Abtreibung­en vornimmt. Es könnte bald auch in anderen Städten so weit sein, wenn es mit der Stigmatisi­erung und den Strafanzei­gen gegen Ärzte so weitergeht.

Keine Frau treibt aus Lust und Laune ab. Eine ungewollte Schwangers­chaft ist eine höchst belastende Situation – und ein Kind ist eine Entscheidu­ng fürs Leben. Es ist bevormunde­nd genug, dass uns Frauen nach der geltenden Regelung nicht zugetraut wird, diese Entscheidu­ng alleine und ohne Beeinfluss­ung von außen treffen zu können. Angesichts der schwierige­n Grundsatzd­ebatte und der so unterschie­dlichen Auffassung­en innerhalb der Gesellscha­ft ist das aber als Konsens vertretbar. Nicht vertretbar ist jedoch der Paragraph 219a in seiner jetzigen Form. Er gehört entweder abgeschaff­t oder zumindest abgeschwäc­ht. Aufklärung darf keine Straftat sein.

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