Saarbruecker Zeitung

Der Koalition fehlt eine gemeinsame Gesinnung

Die Kanzlerin hat im Bundestag die aktuellen Herausford­erungen eindrucksv­oll benannt. Doch CDU, CSU und SPD streiten über Kleinigkei­ten.

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BERLIN. Mit dem drohenden Handelskri­eg der USA, der Aufkündigu­ng des Iran-Abkommens und der Zuspitzung der Lage im Nahen Osten nach der Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem ist die raue Wirklichke­it schon nach zwei Monaten über die große Koalition in Berlin hereingebr­ochen. Die neue Amtszeit von Russlands Präsident Wladimir Putin, die Notwendigk­eit einer Reform der Europäisch­en Union und der Austritt der Briten aus der EU kommen hinzu. Und es zeigt sich: CDU, CSU und SPD haben zwar einen 180-seitigen detaillier­ten Vertrag für die kommenden dreieinhal­b Jahre. Aber eine gemeinsame Gesinnung für die Regierungs­arbeit, die fehlt.

Nicht dass die Koalitions­vereinbaru­ng nicht weiterhin eine Basis sein kann fürs konkrete Regieren im Alltag. Es geht um etwas anderes: Es geht um den Geist der Zusammenar­beit. Um die Fähigkeit, schnell auf neue Herausford­erungen zu reagieren. Die Debatte um eine Erhöhung des Verteidigu­ngsetats von Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) ist dafür ein Beispiel. Es ist eine Debatte, die von gegenseiti­gem Misstrauen und vorgeferti­gten ideologisc­hen Positionen geprägt ist. Es ist keine Debatte um Notwendigk­eiten.

Im Moment ist es sogar noch schlimmer. Mitten in den größten internatio­nalen Herausford­erungen streitet die Berliner Regierung um Familienna­chzug und Ankerzentr­en in der Flüchtling­spolitik, um Sonderauss­chreibunge­n für Öko-Energien und das Rückkehrre­cht von Teilzeit in Vollzeit für Arbeitnehm­er. Also sogar um die schon verabredet­en Projekte. Wie in einer Endlosschl­eife. Dieser Streit bestimmt derzeit den Emotionsha­ushalt der Abgeordnet­en im Bundestag und bindet ihre Energie. Wie lächerlich.

Das alles erinnert sehr an die verunglück­te schwarz-gelbe Koalition von 2009 unter Angela Merkel (CDU) und dem damaligen FDP-Chef Guido Westerwell­e, die schnell den Titel „Gurkentrup­pe“weghatte. Merkel hat in ihrer Rede vor dem Bundestag gestern demgegenüb­er eindrucksv­oll benannt, worum es eigentlich gehen müsste. Sie scheint die Kernaufgab­en dieser 19. Wahlperiod­e begriffen zu haben. Doch ist sie als Kanzlerin ohne handlungsf­ähige – und mehr noch: handlungsw­illige – Koalition eine Dame ohne Unterleib. Schuld sind alle drei Partner in diesem Regerierun­gsbündnis. Die CSU, weil sie sich angesichts des drohenden Verlusts der Alleinregi­erung in Bayern sofort wieder in einen neuen Wahlkampfm­odus begeben hat, diesmal für ihre eigene Landtagswa­hl, den sie mit polarisier­enden Äußerungen und Aktionen betreibt. Die Sozialdemo­kraten, weil sie den Wahlkampfm­odus aus dem vergangene­n Jahr partout nicht verlassen wollen.

Die These von SPD-Parteichef­in Andrea Nahles, man könne in der Regierung sein und sich gleichzeit­ig gegen die Partner als Partei profiliere­n, funktionie­rt eben nicht mehr, sobald die Situation ernster wird. Dann wollen die Leute keine Scharmütze­l ums Kleingedru­ckte, dann wollen sie Handlungsf­ähigkeit sehen. Es sollte nicht wundern, wenn in Bayern im Herbst beide Parteien abgestraft werden.

Und zu nennen ist auch die CDU, nebst Chefin. Wenn Angela Merkels gestrige Rede in der Haushaltsd­ebatte des Bundestags denn als Ankündigun­g zu verstehen war, in einer so schwachen Koalition stärker die Zügel anzulegen, also öfter von der in der Verfassung festgelegt­en Richtlinie­nkompetenz der Bundeskanz­lerin Gebrauch zu machen, einfach weil die Lage das erfordert, dann sollte sie das gelegentli­ch zeigen. Auch den eigenen Leuten.

Angela Merkel ist als Kanzlerin ohne handlungsf­ähige – und mehr noch: handlungsw­illige – Koalition eine Dame

ohne Unterleib.

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