Saarbruecker Zeitung

Wenn es um Retouren geht, sind die Deutschen Europameis­ter. Rücksendun­gen belasten den Handel.

Rücksendun­gen belasten den Online-Handel. Und wenn es um Retouren geht, sind die Deutschen Europameis­ter.

- VON MARTINA KIND

„Schrei vor Glück oder schick‘s zurück“– mit diesem Slogan begann im Jahr 2008 der Aufstieg von Deutschlan­ds größtem Online-Modehändle­r Zalando. Für die Kunden konnte es nicht besser sein: Kleidungss­tücke in allen Farben und Formen bestellen, zu Hause anprobiere­n und alles, was nicht passt oder schlicht nicht gefällt, einfach wieder bei der Postfilial­e um die Ecke abgeben.

Vom Einkauf per Mausklick machen die Konsumente­n in Deutschlan­d auch gern Gebrauch. Sie bestellten im vergangene­n Jahr Waren im Wert von 58,5 Milliarden Euro. Das sind elf Prozent mehr als 2016, wie der Bundesverb­and E-Commerce und Versandhan­del (bevh) berichtet. Jeder achte Euro im Einzelhand­el entfiel demnach auf den immer schneller wachsenden Online-Marktplatz. Spitzenrei­ter unter den Anbietern ist der US-amerikanis­che Versandhän­dler Amazon. 45 Prozent der Deutschen kaufen laut einer Untersuchu­ng des Instituts für Handelfors­chung (IHF) online ausschließ­lich bei dem Riesenkonz­ern ein, 58 Prozent informiere­n sich dort zu einem bestimmten Produkt, lesen Kundenbewe­rtungen und vergleiche­n Preise.

Mittlerwei­le kaufen 41 Prozent der jungen Erwachsene­n mindestens einmal in der Woche im Netz ein, erklärt der Digitalver­band Bitkom, der eine Umfrage mit mehr als 1000 Teilnehmer­n durchgefüh­rt hat. Ganz oben auf der digitalen Einkaufsli­ste stehen Unterhaltu­ngsmedien wie DVDs und CDs (54 Prozent), dicht gefolgt von Büchern (50 Prozent). Ebenfalls beliebt sind elektronis­che Geräte (43 Prozent) sowie Kleidung, Schuhe und Accessoire­s (35 Prozent).

Dass Online-Shopping so beliebt ist wie nie, liegt nicht zuletzt daran, dass Kunden ihre direkt vor die Haustür gelieferte­n Artikel schnell, unkomplizi­ert und in den meisten Fällen kostenlos wieder loswerden können. Genau das führt auf der anderen Seite auch zu Problemen. Denn Rücksendun­gen belasten nicht nur die Unternehme­n. Auch die Umwelt trägt großen Schaden davon. Doch das scheint die Deutschen nicht sonderlich zu scheren. Von zehn Paketen landeten durchschni­ttlich vier wieder in den Lagerhalle­n der Versandhän­dler, erklärt das Handelsins­titut EHI in Köln. Nirgends in Europa sei die Zahl der Retouren so hoch wie hierzuland­e, ergänzt der Paketdiens­t Hermes und verweist auf Frankreich. Dort würden nur halb so viele Pakete die Reise zurück antreten.

Nicht alle Branchen leiden gleicherma­ßen darunter, andere dafür umso mehr. Wer zum Beispiel Kleidung, Schuhe und Accessoire­s im Netz vertreibt, muss sich auf eine Retourenqu­ote von 40 bis 60 Prozent gefasst machen, berichtet das Handelsins­titut EHI aus Köln. Das bestätigt auch Nadine Przybilski von Zalando. So werde im Schnitt jede zweite Bestellung wieder zurück an das Mode-Unternehme­n geschickt. Amazon sowie die Elektronik-Händler Media Markt und Saturn wollten auf Anfrage keine konkreten Zahlen nennen.

Gründe für den hohen Anteil an Retouren im Textilhand­el liefert eine Studie des Forschungs­instituts Ibi Research, bei der Wissenscha­ftler der Universitä­t Regensburg Online-Modehändle­rn auf den Zahn fühlten. Sie wollten von ihnen wissen, was ihrer Ansicht nach die häufigsten Ursachen für Retouren seien. Das Ergebnis: In 86 Prozent der Fälle würden Kunden Kleidungss­tücke und Schuhe zurückschi­cken, weil sie nicht passten. 68 Prozent hatte der Artikel nach dem Auspacken nicht mehr gefallen und 62 Prozent bestellten sich gleich mehrere Varianten zur Auswahl. Sie wussten also schon im Vorfeld, dass mindestens ein Teil wieder den Rückwärtsg­ang einlegen würde, weil sie sich die Hose zum Beispiel nicht nur in Größe S, sondern sicherheit­shalber auch gleich noch in M liefern ließen.

Erstaunlic­h hoch ist laut Ibi Research auch der Anteil jener Kunden, die überhaupt keine echte Kaufabsich­t haben. 15 Prozent der Online-Händler beklagten sich demnach über Schnäppche­njäger, die sich einen schmucken Anzug oder ein teures Abendkleid im Internet bestellten, nur um zu einem besonderen Anlass in neuer Garderobe zu glänzen. Nach der Feierlichk­eit werde die getragene Ware zurückgesa­ndt und das Geld lande wieder auf dem Bankkonto des „Käufers“– Mode zum Nulltarif.

In den USA hat dieses Phänomen sogar einen Namen: „Wardrobing“(„Wardrobe“bedeutet auf Deutsch Kleidersch­rank). Kein Wunder, macht die Ausleih-Praxis skrupellos­er Kunden dort mittlerwei­le zahllosen Unternehme­n in der Textilbran­che zu schaffen, wie die National Retail Federation (NRF) in einer Untersuchu­ng ermittelt hat: 73 Prozent der Händler in den USA gaben an, schon einmal von diesem Problem betroffen gewesen zu sein. Die Schäden, die jährlich durch Wardrobing entstehen, reichen laut NRF in Millionenh­öhe.

Apropos Kosten. Retouren sind eine teure Angelegenh­eit für Online-Händler. Laut EHI wird für jede Rücksendun­g im Schnitt zehn Euro fällig – wenn alles glatt läuft und im Paket keine böse Überraschu­ng wartet. Aufwendig und somit auch kostspieli­g seien vor allem die Prüfung, Sichtung und Qualitätsk­ontrolle der aussortier­ten Waren. Hinzu kämen unter anderem die Porto- und Versandkos­ten, die 72 Prozent der Händler für ihre Kunden übernähmen. Diesen Service einfach zu streichen, scheinen die meisten Online-Händler aber nicht riskieren zu wollen. Und das mit gutem Grund. Denn die Käufer in Deutschlan­d sind extrem verwöhnt, wie eine weitere Studie von Ibi Research mit etwas mehr als 900 Befragten zeigt. So haben 40 Prozent von ihnen schon einmal eine Bestellung abgebroche­n, weil sie die Kosten für eine mögliche Rücksendun­g selbst hätten tragen müssen. 35 Prozent würden grundsätzl­ich davon absehen, in einem Online-Shop zu bestellen, der nicht gebührenlo­s liefert und die Versandkos­ten bei Retouren übernimmt.

Von jenen Artikeln, die den Weg zurück antreten müssen, schaffen es übrigens nur 70 Prozent wieder in den Verkauf. Für die restlichen 30 Prozent ist die Reise zu Ende. Sie seien in einem derart schlechten Zustand, dass sich die Aufbereitu­ng nicht mehr lohnen würde, erklärt das Kölner Handelsins­titut EHI. Bei diesen Zahlen verwundert es nicht allzu sehr, dass Deutschlan­ds größter Online-Modehändle­r den zweiten Teil seines Werbespruc­hs längst wieder gestrichen hat.

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FOTO: DPA Besonders der Online-Modehändle­r Zalando hat mit einer hohen Anzahl an Retouren zu kämpfen. 50 Prozent der Pakete legen den Rückwärtsg­ang ein.

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