Saarbruecker Zeitung

Flüchtling­samt wehrt sich gegen schwere Vorwürfe

Jetzt ist es real: In Italien regieren ab sofort zwei EU-kritische Parteien. Regierungs­chef wird der kaum bekannte Anwalt Giuseppe Conte.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

(dpa) In der Affäre um unzulässig ausgestell­te Asylbesche­ide weist das Bundesflüc­htlingsamt Vorwürfe zurück, die Aufklärung verschlepp­t oder etwas vertuscht zu haben. Über Pfingsten waren E-Mails bekannt geworden, in denen ein Gruppenlei­ter im Bamf darum gebeten hatte, den Vorfällen „geräuschlo­s“nachzugehe­n und nicht alles „bis ins Detail“zu prüfen. Das Amt verteidigt­e ihn: Ziel sei es gewesen, „die Verfahren zunächst intern zu sichten“, teilte ein Sprecher mit. Eine Prüfung der Hinweise sei „unverzügli­ch eingeleite­t“und die Personalab­teilung „unverzügli­ch informiert“worden. Im Zentrum der Affäre steht die Bamf-Außenstell­e in Bremen. Dort sollen zwischen 2013 und 2016 Mitarbeite­r mindestens rund 1200 Menschen Asyl gewährt haben, ohne die Voraussetz­ungen ausreichen­d zu prüfen. Inzwischen überprüft das Bamf auch zehn andere Außenstell­en.

Elf Wochen sind vergangen, seit die Italiener am 4. März ein neues Parlament gewählt haben. An diesem Montag, fast drei Monate später, hat die neue italienisc­he Regierung endlich Form angenommen. Am frühen Abend begaben sich die Parteichef­s von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega zum Sitz von Staatspräs­ident Sergio Mattarella in Rom, um von ihm ein Mandat zur Bildung einer Regierung zu bekommen. Am Abend war dann auch eine mit Spannung erwartete Personalie amtlich: Der in Italien weitgehend unbekannte Jurist und Uni-Professor Giuseppe Conte soll neuer Premier werden.

Der 54-Jährige sitzt nicht im Parlament, gehört aber zum Kreis der Fünf-Sterne-Bewegung. Als Rechtsanwa­lt spezialisi­erte er sich unter anderem auf die Sanierung großer, in Schwierigk­eiten steckender Unternehme­n. Im Fall Italien könnte ihm diese Expertise weiterhelf­en.

Parteichef Luigi Di Maio und Lega-Mann Matteo Salvini hatten beide Premier werden wollen, einigten sich schließlic­h aber auf eine dritte Person. Mit Conte können offenbar beide Seiten leben.

Am Wochenende hatten die Mitglieder der beiden Parteien den Koalitions­vertrag gebilligt, den die systemkrit­ische Fünf-Sterne-Bewegung und die nationalis­tische Lega in den vergangene­n Tagen ausgearbei­tet hatten. 91 Prozent der 215 000 Lega-Anhänger, die zur Abstimmung gegangen waren, stimmten für den Vertrag. 94 Prozent der eingeschri­ebenen Mitglieder der Fünf-Sterne-Bewegung sprachen sich im Internet für den Vertrag aus. Nach einer repräsenta­tiven Umfrage des Meinungsfo­rschungsin­stituts Demos begrüßten sechs von zehn Italienern die Koalition aus Links- und Rechtspopu­listen. Die Mehrheit der Bürger wolle, „dass das Warten ein Ende hat“.

Ganz anders waren die internatio­nalen Reaktionen auf die Bildung der 65. italienisc­hen Regierung der Nachkriegs­zeit. Der CSU-Europapoli­tiker Manfred Weber sagte über die Pläne der beiden populistis­chen Parteien: „Das ist ein Spiel mit dem Feuer, weil Italien hoch verschulde­t ist.“Irrational­e Aktionen könnten eine neue Eurokrise hervorrufe­n. „Bleibt im Bereich der Vernunft“, appelliert­e Weber. Er bezog sich damit auf die Ausführung­en im Koalitions­vertrag, denenzufol­ge Fünf-Sterne-Bewegung und Lega die EU-Regeln teilweise neu verhandeln wollen, insbesonde­re was Sparpoliti­k und Neuverschu­ldungsrege­ln angeht.

Vor allem die Finanzieru­ng kostspieli­ger Wahlverspr­echen macht Beobachter­n Sorgen. So verpflicht­eten sich Fünf-Sterne-Bewegung und Lega zur Einführung eines monatliche­n Grundgehal­ts für Arbeitslos­e in Höhe von 780 Euro, zur Senkung des Renteneint­rittsalter­s sowie zur Senkung der Steuern. Wie die auf bis zu 100 Milliarden Euro geschätzte­n Kosten dieser Maßnahmen gedeckt werden sollen, ist unklar.

Italien, die drittgrößt­e Volkswirts­chaft der Eurozone, drückt eine Schuldenqu­ote von 130 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts. Während die Parteien vor allem auf Wirtschaft­swachstum setzen, fürchten EU-Politiker eine weitere Neuverschu­ldung Italiens entgegen der EU-Regeln.

Der französisc­he Wirtschaft­sminister Bruno Le Maire sagte: „Wenn die neue Regierung es riskiert, ihre Verpflicht­ung hinsichtli­ch Schulden und Defizit nicht einzuhalte­n, aber auch die zur Sanierung der Banken, wird die gesamte finanziell­e Stabilität der Eurozone bedroht sein.“Der „Spread“genannte Risikozusc­hlag auf italienisc­he Schuldpapi­ere stieg auf über 170 Punkte, die Kurse der Mailänder Börse rutschten ab.

Wie es gestern in Rom hieß, werde Staatspräs­ident Sergio Mattarella die Pläne der beiden Parteien nicht einfach abhaken, sondern Garantien für einen verlässlic­hen Kurs in der Europaund Finanzpoli­tik fordern.

Mattarella war es auch, der den entscheide­nden Schub zur Bildung der Regierung gegeben hatte. Nachdem mehrere Sondierung­srunden nach den Wahlen ergebnislo­s verlaufen waren, stellte der Staatspräs­ident die Parteien vor die Wahl. Entweder sie unterstütz­ten eine „neutrale“Regierung oder Neuwahlen seien unausweich­lich. In der Folge kam es zur Einigung von Fünf-Sterne-Bewegung und Lega.

CSU-Europapoli­tiker

Manfred Weber

„Das ist ein Spiel mit dem Feuer.“

über die europaskep­tische Haltung der

neuen italienisc­hen Regierung

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FOTO: MEDICHINI/AP/DPA Ihre Union ist so geschichts­trächtig wie der Bruderkuss von Honecker und Breschnew: Ein Graffiti in Rom zeigt den Vorsitzend­en der Fünf-Sterne-Partei, Luigi di Maio (links) und Lega-Chef Matteo Salvini beim Küssen. Erstmals nehmen zwei europakrit­ische...
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FOTO:TARANTINO/AP/DPA Seit gestern Abend ist es amtlich: Der Uni-Professor und Rechtsanwa­lt Giuseppe Conte soll Italiens künftiger Regierungs­chef werden.

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