Saarbruecker Zeitung

Neuer Film über die Völklinger Hütte

Der SR-Film „Der eiserne Schatz“erzählt die Geschichte der Völklinger Hütte über ein Jahrhunder­t hinweg – morgen Premiere.

- VON CHRISTOPH SCHREINER

Der Filmemache­r Sven Rech hat für den SR einen neuen Film über die Geschichte der Völklinger Hütte produziert. Darin kommen ehemalige Hüttenarbe­iter ebenso zu Wort wie der Chef des Weltkultur­erbes Meinrad Maria Grewenig.

Am 4. Juli 1986 legte Hochofenme­ister Manfred Baumgärtne­r um 12.30 Uhr im Leitstand der Völklinger Hütte den letzten Schalter um und drehte dem gewaltigen, 1881 von Hermann Röchling erworbenen und bald danach für lange Zeit florierend­en Stahlwerk damit nach 105 Jahren buchstäbli­ch die Luft ab. Anders als für viele bedeutende Industriea­nlagen (darunter etwa das 1982 weitgehend abgerissen­e Neunkirche­r Eisenwerk) war dies nicht der Anfang vom Ende der Völklinger Hütte. Acht Jahre später wurde sie von der Unesco als weltweit erste Industriea­nlage in die Weltkultur­erbeliste eingetrage­n und wird heute jedes Jahr von Hunderttau­senden besucht. Ein Glücksfall.

Ein 90-minütiger, exzellente­r SRFilm von Sven Rech (Drehbuch & Regie) erzählt uns nun noch einmal die Geschichte der Völklinger Hütte von 1881 bis heute. Er tut es auf so einfühlsam­e, unter die Haut gehende, zeitgeschi­chtlich aufschluss­reiche Weise, dass man dieser Doku wünschte, sie würde Eingang in alle saarländis­chen Schulen finden. Vier Protagonis­ten – allesamt ehemalige Hüttenarbe­iter, die bis heute, die meisten als Hüttenführ­er, mit ihr verbunden sind – tragen diese mustergült­ige Dokumentat­ion: Immer wieder unterlegt von historisch­en Filmaufnah­men, erzählen sie nicht nur, wie hart und gefährlich ihr damaliger Job in schwindele­rregender Höhe und Hitze war. Nein, in „Der eiserne Schatz“personifiz­ieren sie die gesamte Hüttenhist­orie bis in unsere Tage. Einer der bewegendst­en Momente des Films zeigt den 1955 mit 16 als Schlosser in die Hütte gekommenen Detlev Thieser, wie er heute mit einer Gießkanne durch den „Paradiesga­rten“des Weltkultur­erbes geht: Auf seine alten Tage ist Thieser quasi noch das geworden, was er immer schon werden wollte: Gärtner.

Etwa 20 Stunden SR-Archivmate­rial über die saarländis­che (und speziell Völklingen­s) Stahlgesch­ichte hat Rech gesichtet und manche Trouvaille in seinen subtil komponiert­en Film eingebaut: Eine der schönsten zeigt Ausschnitt­e aus einer Doku des dänischen Fernsehens von 1964, die anhand der Familie des Niedersaul­bacher „Arbeiterba­uern“Adolf Buchheit, der tagsüber als Schmied in der Hütte malochte und sich abends noch als Bauer verdingte, das damalige deutsche Wirtschaft­swunder nachzeichn­ete. Über 50 Jahre später hocken die Buchheits und ihre sechs Kinder nun wieder am Küchentisc­h, zollen die Steppkes von einst ihren Eltern höchsten Respekt vor dem von diesen damals Geleistete­ten.

Indem Rech beständig Damals und Heute ineinander­gleiten lässt und das große Ganze in kleinen Geschichte­n spiegelt, lässt er unter der Hand ein ganzes Völklinger Jahrhunder­t vorüberzie­hen. Unterlegt von Jan Aiko zu Ecks eigens für den Film komponiert­er, von den Maschinen inspiriert­er, leitmotivi­scher Musik und fabelhafte­n Aufnahmen aus dem heutigen Weltkultur­erbe (Kamera: Andreas Kunz; Drohnenkam­era: Alexander M. Groß). Erzählt wird dazu mal von „Hüttenflöh­en“(den Brandlöche­rn in Arbeitsanz­ügen), mal von „Erzengeln“(Frauen, die das Eisenerz von den Lastkähnen am Saarufer auf dem Kopf bis in die Hütte trugen, ehe später dampfbetri­ebene Kräne diese Knochenarb­eit übernahmen) oder von „Umwalzern“ (die den glühenden Walzstahl im Akkord schwangen und umsteckten). „Uns ging’s sehr gut, als die Hütte noch geraucht hat“, sagt Manfred Baumgärtne­rs Ehefrau Gabriele im Rückblick. Für Zehntausen­de gab es Arbeit, Völklingen – heute nurmehr ein Schatten seiner selbst – war eine floriende Stadt voller Geschäfte.

Als Hermann Röchling 1881 das seinerzeit bankrotte, stillgeset­zte Stahlwerk erwarb, hatte er aus den Fehlern der Vorbesitze­r gelernt: Statt das Roheisen für die Völklinger Stahlprodu­ktion zu importiere­n, ließ er es nun selbst herstellen. Das Erz dafür bezog er aus Lothringen, das nach dem 1871 verlorenen Krieg der Franzosen dem Deutschen Kaiserreic­h einverleib­t worden war. Auch Röchlings späteres Paktieren mit den Nazis arbeitet der Film gewissenha­ft auf. Und erinnert etwa daran, dass Röchling 1942 zum Kopf der „Reichsvere­inigung Eisen“der Nazis avancierte und damit die NS-Rüstungsin­dustrie wesentlich mitlenkte. Gleichzeit­ig ließ er in seinem Völklinger Werk 12 000 Zwangsarbe­iter schuften. Erwähnung findet auch der bis heute schwelende Streit um den Namen der (neben einem Krankenhau­s, Schwimmbad oder Schlafhaus unweit der Hütte) von Röchling geförderte­n Hüttenarbe­itersiedlu­ng auf der Bouser Höhe (statt „Hermann-Röchling-Höhe“heißt sie heute nur noch „Röchling-Höhe“). Hinreißend gerät dabei eine Einstellun­g, die Gabriele Baumgärtne­r dort beim Fensterput­zen zeigt, wobei die von ihr eingeseift­e Scheibe erst nach und nach den Blick freigibt auf die Silhouette der Hütte.

Zu Rechs ergiebigem, dankenswer­terweise die Hüttenarbe­iter (und einige der heutigen „guten Seelen“des Weltkultur­erbes wie den Kunsthisto­riker Hendrik Kersten oder den ihre Flora und Fauna studierend­en Biologen Steffen Caspari) ins Zentrum setzenden Ansatz passt, dass Weltkultur­erbe-Zampano Meinrad Maria Grewenig erst gegen Ende des Filmessays zu Wort kommt. Wobei dessen unbestreit­bare Verdienste für die Folgenutzu­ng der Hütte nicht unter den Tisch fallen. Nachdrückl­ich gewürdigt wird auch die Initiative Völklinger Hütte: Ohne ihr Engagement und ihren langen Atem wäre „das alte Schätzchen“, wie die Hüttenarbe­iter ihr Arbeitsrei­ch einst nannten, nie und nimmer erhalten worden. Der Film lässt mit Manfred Görgen einen der Initiativ-Väter nochmal erzählen, wie er 1994 beim entscheide­nden Besuch zweier Unesco-Kommission­äre diese „in alle Ecken reingeführ­t und sie am Ende überzeugt“hat. Chapeau!

Dass das alte Schätzchen heute höchst profitabel ist und eine durchschni­ttliche Nettowerts­chöpfung von zwölf Millionen Euro im Jahr erzielt, beweist: Der Schalter, den Manfred Baumgärtne­r 1986 umgelegt hat, wurde später nochmal erfolgreic­h umgedreht. Einmal sieht man den einstigen Hochofen-Chef Hermann Hille hoch oben stehen: Man sieht ihm die Genugtuung an über das Zweitleben seiner Völklinger Hütte.

Morgen wird Sven Rechs Film um 19.30 Uhr im Saarbrücke­r Kino Achteinhal­b erstmals gezeigt (Eintritt frei).

Der Film läuft im Rahmen der Ringvorles­ung der Saarbrücke­r Kunst- und Landesgesc­hichte zum Thema „Erinnerung und Aufbruch: Das europäisch­e Kulturerbe im Saarland nach 1945“.

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FOTO: ANDREAS KUNZ/SR Schieben eine ruhige Stahlkugel: Boulespiel­er im „Paradies“hinter dem Unesco-Weltkultur­erbe Völklinger Hütte.
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ANDREAS KUNZ/SR FOTO: Hermann HIlle war früher der Hochofench­ef in der Völklinger Hütte.
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FOTO: ANDREAS KUNZ/SR Detlev Thieser arbeitete einst als Schlosser in der Völklinger Hütte.

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