Saarbruecker Zeitung

„Spalter finden immer mehr Gehör“

Der Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Muslime sagt: Diejenigen, die permanent den Islam kritisiere­n, lenken von der eigentlich­en Gefahr ab.

- Produktion dieser Seite: Fatima Abbas Thomas Schäfer, Joachim Wollschläg­er DAS GESPRÄCH FÜHRTE FATIMA ABBAS.

„Wer will einen Gottesstaa­t? Die Muslime jedenfalls ganz

bestimmt nicht.“

„Die Regierung hat nicht festzustel­len, ob der Islam zu Deutschlan­d gehört.“

„Uns geht es wirtschaft­lich gut, aber wir sind seelisch

nicht zufrieden.“

Ob Kopftuch für Kinder, Antisemiti­smus oder ein Anschlag im Namen Allahs: Immer wieder ist der Islam in den Schlagzeil­en. Warum eigentlich? Das kann sich auch der Vorsitzend­e des Zentralrat­s der Muslime nicht so richtig erklären.

Herr Mazyek, nervt es Sie, wenn ich Sie frage, ob der Islam zu Deutschlan­d gehört?

MAZYEK Es ist fast schon ein Phänomen, wie wir in der Lage sind, uns zu echauffier­en über ein Thema, das jetzt schon locker gefühlt 115 Mal durchgekau­t worden ist.

Warum muss eine Regierung überhaupt feststelle­n, ob der Islam zu Deutschlan­d gehört oder nicht?

MAZYEK Die Regierung hat weder das Eine noch das Andere festzustel­len. Das ist nicht ihre Aufgabe. Die Aufgabe der Bundesregi­erung ist es, den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft zu organisier­en und unsere Einrichtun­gen und Moscheen mit Hinblick auf die seit Jahren steigenden Angriffe zu schützen.

Also diskutiere­n wir am Thema vorbei?

MAZYEK Was die Gleichbeha­ndlung der muslimisch­en Gemeinscha­ft angeht, ist noch viel Luft nach oben. Wir haben Teilerfolg­e, zum Beispiel was den Religionsu­nterricht angeht oder islamische Theologie an Universitä­ten. Aber das muss ausgebaut werden. Wie sieht die Institutio­nalisierun­g der islamische­n Einrichtun­gen in der nächsten Zeit aus? Das ist die große Frage.

Was meinen Sie mit Institutio­nalisierun­g?

MAZYEK Zum Beispiel Seelsorge in Krankenhäu­sern, islamische Wohlfahrt. Innenminis­ter klagen zu Recht, dass Radikalisi­erung in den Gefängniss­en mit muslimisch­en Insassen passiert. Aber wenn es darum geht, unsere Angebote zu Gefängniss­eelsorgern zu diskutiere­n, sind sie unsicher, fürchten sich vor AfD-Anfragen im Parlament oder sonstigen Islamkriti­kern, und verzichten am Ende lieber darauf, anstatt hier mit den Muslimen institutio­nell eng zusammenzu­arbeiten. Die Folge: Radikalisi­erung und Frust schreiten voran.

Haben einige vielleicht gar kein Interesse daran, dass es für Muslime vorangeht?

MAZYEK Vielleicht. Aber es gibt ein im Grundgeset­z verbriefte­s Recht auf Gleichbeha­ndlung. Die Religionsf­reiheit gilt für alle Religionsg­emeinschaf­ten. Das sind nicht irgendwelc­he Zugeständn­isse des Staates.

Viele dürften beim Wort „Institutio­nalisierun­g“zusammenzu­cken und an die Errichtung eines Gottesstaa­tes denken…

MAZYEKWer will einen Gottesstaa­t? Die Muslime und ihr Zentralrat jedenfalls ganz bestimmt nicht. Wir wollen, dass das Grundgeset­z voll zur Anwendung kommt. Die Trennung von Kirche und Staat wird auch von uns akzeptiert und gelebt. Und im Rahmen des Religionsv­erfassungs­rechts sind all die genannten Dinge umzusetzen. Wir vertrauen da auf die Verfassung, offenbar aber einige politische Vertreter nicht mehr und wollen den Staat deswegen umbauen.

Woran liegt es, dass der Islam nicht in der Mitte der Gesellscha­ft ankommt?

MAZYEK Er ist doch längst angekommen, es wird nur hartnäckig von einigen ignoriert. Vor einiger Zeit gab es eine Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung: 87 Prozent der Ost-Deutschen sagten, Religionsf­reiheit gelte für Muslime nur eingeschrä­nkt. 67 Prozent im Westen. Diese Leute meinen, die Werte des Grundgeset­zes zu verinnerli­chen, schränken sie aber im selben Moment ein, wenn es um Muslime geht.

Weil viele Angst haben, dass der Islam diese Werte unterwande­rt. Islamwisse­nschaftler wie Ahmad Mansour werfen Islamverbä­nden und auch Ihnen vor, die Radikalisi­erung junger Muslime durch Passivität zu begünstige­n. Es ist nun mal Tatsache, dass Anschläge auch im Namen von Allah begangen werden. Warum eignet sich der Islam so gut, um ihn für Gewaltzwec­ke zu missbrauch­en?

MAZYEK Das ist Angstrheto­rik, die sich bestens verkaufen lässt. Eine ganze Islamkriti­k-Industrie hat sich seither gebildet, die nicht selten auch rassistisc­h daherkommt. Sie bestätigt all die Stereotype über den bösen und gefährlich­en Muslim und legt obendrein den Fokus auf die Terroriste­n, anstatt sie zu disqualifi­zieren. Anstatt dass die sogenannte­n Experten diese als Verbrecher und Mörder entlarven, versuchen sie auch noch eine religiöse Legitimati­on herauszule­sen. Damit werten sie die Position der schweigend­en friedliebe­nden Mehrheit der Muslime ab. Diese Leute bestimmen weitestgeh­end den Islamdisku­rs. Wenn ich ein Nichtmusli­m wäre, ich glaube, ich würde auch Angst vor dem Islam bekommen.

Trotzdem wiederhole ich: Warum lässt sich der Islam offenbar so gut für Gewaltzwec­ke missbrauch­en?

MAZYEK Die Frage impliziert eine Antwort. Er eignet sich überhaupt nicht dafür. Islam heißt Frieden und erklärt Gewalt, wenn sie nicht für die Verteidigu­ng von Leben eingesetzt wird, für nicht rechtes.

Ja, aber warum wird Allahu Akbar geschrien, wenn Bomben fallen?

MAZYEK Der Missbrauch von Weltanscha­uungen, und wenn sie noch so friedlich sind, ist keine Exklusivit­ät, die Sie am Islam festmachen können. Buddhisten schlachten Menschen in Myanmar ab im Namen des Buddhismus. Wir würden nie auf die Idee kommen zu fragen, warum der Buddhismus das vorschreib­t. Beim Christentu­m genausowen­ig. Die beiden Weltkriege haben unbeschrei­bliches Leid mit Abermillio­nen Toten und fast die Vernichtun­g des ganzen jüdischen Volkes gebracht. All das ist auch Missbrauch von Gewalt. Haben wir das schon vergessen? Wer schafft denn die Konnotatio­n mit dem Islam? Der Attentäter selbst. Ich muss ihm doch nicht auf den Leim gehen.

Aber warum erregt das Thema Islam so die Gemüter?

MAZYEK Vielleicht sind das so die letzten Möglichkei­ten für einige, um Identität zu finden. Wir sind ja in einer Identitäts­krise. Uns geht es wirtschaft­lich sehr gut, aber vielleicht sind wir seelisch nicht zufrieden.

Mit Unzufriede­nheit macht auch die AfD Politik. Verstehen Sie sich als Gegenkraft?

MAZYEK Wir verstehen uns als Kraft, die die demokratis­chen und freiheitli­chen Werte und Säulen unserer Verfassung hochhält und die den Zusammenha­lt unserer Gesellscha­ft friedlich verteidigt. Die AfD will eine andere Republik. Wir und die Mehrheit der Deutschen wollen das nicht. Die NSDAP hat in den 30ern auch mit ähnlichen Mitteln geworben, nämlich explizit gegen eine Religion. Mit dem Ziel, sie in der Gesellscha­ft zu entfremden und zu spalten. Und das macht ja die AfD mit dem Islam. Die Hilfsbegrü­ndung: Islam ist ja eigentlich keine Religion, sondern eine Ideologie. Das Gleichbeha­ndlungspri­nzip, das sich aus der Verfassung ableitet, wird hier mit Füßen getreten. Hier verhält sich die AfD nicht nur antimuslim­isch und rassistisc­h, sondern auch verfassung­sfeindlich.

Oft heißt es, die Menschen hätten Angst vor dem Islam. Wovor haben diese Menschen

Angst?

MAZYEK Da verweise ich auf obere Antworten und ergänze: Studien belegen ja, dass die Islamfeind­lichkeit gerade da besonders stark ist, wo es kaum Muslime gibt. Wissen um die Religion hilft, diffuse Angst einzudämme­n.

Deutschlan­d kämpft auch im 21. Jahrhunder­t noch mit Antisemiti­smus. Und der geht auch von Muslimen aus. Was tun Sie als Zentralrat, um dem entgegenzu­wirken?

MAZYEK Wir haben seit zwei Jahren ein Projekt mit Juden und Muslimen. „JuMU“nennt sich das. Da sprechen beispielsw­eise Holocaust-Zeitzeugen vor muslimisch­en Flüchtling­en, oder Juden und Muslime treffen sich in Synagogen und Moscheen. Wir besuchen auch seit zwei Jahren KZ-Gedenkstät­ten. Dieses Jahr planen wir erstmals eine größere Reise nach Auschwitz. Wir haben auch nach den Vorfällen in Berlin (Gürtel-Angriff auf Kippa-Träger, Anm. d. Red.) vorgeschla­gen, dass Imame und Rabbiner an die Schulen gehen und aufklären.

Sie bestreiten das Problem Antisemiti­smus unter Muslimen also nicht?

MAZYEK Haben wir noch nie. Einige Flüchtling­e sind in der Tat judenfeind­lich sozialisie­rt. Unser Ansatz ist Problemlös­ung. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht vom Rechtsruck ablenken. Denn auch er führt dazu, dass Antisemiti­smus schamlos offener gezeigt wird als früher. Die Konzentrat­ion auf die Gefahr unter den Muslimen entlastet an der verkehrten Stelle. Es kann nicht sein, dass einige sich projüdisch geben und gleichzeit­ig schamlos gegen Muslime hetzen.

Ein Daueraufre­ger ist das Kopftuch. Wird da viel Aufhebens um ein Stück Stoff gemacht?

MAZYEK Die Frau soll ihr Selbstbest­immungsrec­ht ausüben. Wer ihr erklärt, wie sie sich zu kleiden hat, verstößt gegen ihr Selbstbest­immungsrec­ht.

Ist die Neutralitä­t nicht gefährdet, wenn eine

Frau mit Kopftuch Richterin werden möchte?

MAZYEK Nein. Sie ist ja allein dem Grundgeset­z verpflicht­et.

Und was sagen Sie zum Vorstoß, das Kopftuch für Minderjähr­ige zu verbieten?

MAZYEK Wir haben genügend dringende Probleme in den Schulen: Lehrermang­el, Ausstattun­g, Gewaltentw­icklungen und Mobbing, etc. Politik möchte sich dieser Themen bitte ernsthaft zuwenden, dann ist uns allen geholfen. Ohnehin ist es islamisch nicht erklärbar, warum Kinder Kopftuch tragen müssen. Es ist deshalb für mich eine Phantomdeb­atte.

Die Deutsch-Iranerin Mina Ahadi sieht – anders als Sie – im Kopftuch für Kinder ein dringendes Problem. Sie hat vor zehn Jahren den Zentralrat der Ex-Muslime gegründet. War das für Sie ein Affront?

MAZYEK Nein. Wir leben in einem freien Land, da kann jeder seinen Verein gründen.

Sie sagt, Sie wollen bis heute nicht mit ihr reden.

MAZYEK Zur Meinungsfr­eiheit gehört auch, dass ich das nicht kommentier­en

muss.

Ahadis Zentralrat wurde vor dem Hintergrun­d gegründet, dass viele Menschen in eine muslimisch­e Familie hineingebo­ren werden und damit unzufriede­n sind. Warum müssen Abtrünnige zum Teil um ihr Leben fürchten?

MAZYEK Es gilt der Koranische Grundsatz: „Es gibt keinen Zwang in der Religion.“So ist es auch in unserer ZMD-Islam-Charta verankert. Demnach kann jeder das glauben, was er für richtig hält, aus seinem Glauben austreten oder gar keiner Religion angehören.

Wenn eine Muslima zu ihren Eltern sagt, sie wolle der Religion nicht mehr angehören, dann hat sie ein gewaltiges Problem.

MAZYEK Ja, aber das haben Sie doch bei christlich­en Familien genauso. Ich kann Ihnen da ganz viele Geschichte­n erzählen. Oder meinen Sie etwa, meine christlich­e Familie hat im ersten Moment, als meine Mutter später den Islam annahm, Jippie und Heureka gerufen? Die Reaktion aus dem Umfeld ist doch ganz normal und nicht eine Frage der Religion als solche.

Was muss sich ändern, damit die Frage, ob der Islam zu Deutschlan­d gehört, keine Rolle mehr spielt?

MAZYEK Die Stimmung. Spalter finden immer mehr Gehör. Ihr Ziel ist eine andere Gesellscha­ft, bis hin zur Abschaffun­g der Demokratie. Übergriffe auf Minderheit­en sind in erster Linie ein Angriff auf die Gesellscha­ft. Diese Kräfte sagen nicht: Ich möchte die Freiheiten einschränk­en. Sondern sie machen das viel geschickte­r, über Projektion­en. Oder sie unterstell­en einer anderen Gruppe, sie würde das tun. Wie viele Jahre über haben Rechte gesagt, Muslime strebten den Gang durch die Institutio­nen an. Und wer sitzt jetzt in den Parlamente­n? Etwa die Muslime? Nein, die „AfD-sierung“des Abendlande­s hat längt begonnen.

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FOTO: STACHE/DPA Den Vorsitzend­en des Zentralrat­s der Muslime, Aiman Mazyek, nervt die hysterisch­e Debatte: Wenn er Nicht-Muslim wäre, hätte er nach eigenen Angaben schon selbst Angst vor dem Islam.

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