Saarbruecker Zeitung

Das Gleichstel­lungsbüro der Saar-Uni bietet Hilfe für Studentinn­en, die Opfer sexueller Übergriffe geworden sind.

Studentinn­en werden überdurchs­chnittlich häufig Opfer von sexuellen Übergriffe­n. Gleichstel­lungsbüro der Saar-Uni bietet Hilfe an.

- VON DAVID SEEL

Dass sich Sexismus und Diskrimini­erung durch alle gesellscha­ftlichen Schichten ziehen, ist nicht erst seit Harvey Weinstein und der #metoo-Kampagne bekannt. Vergleichs­weise neu ist hingegen, dass auch die europäisch­en Universitä­ten bei diesem Thema genauer hinschauen. Welche Erfahrunge­n Studenten und vor allem Studentinn­en mit Diskrimini­erung und sexueller Belästigun­g machen, hat die Université de Lorraine kürzlich untersucht (wir haben berichtet). Im Januar und Februar des vergangene­n Jahres waren 22 000 Studenten zu einer Online-Befragung aufgerufen. 4020 machten mit, 2267 füllten den Fragebogen vollständi­g aus. Fast die Hälfte gab an, bereits Zeuge diskrimini­erenden Verhaltens im Studium gewesen zu sein. Unter den Opfern waren mit 88 Prozent in erster Linie Frauen.

Und wie sieht es auf dem Campus der Saar-Uni aus? „Wir erheben zwar keine genauen Zahlen, aber unsere Erfahrunge­n decken sich mit den Ergebnisse­n der Umfrage in Frankreich“, sagt Sybille Jung, Gleichstel­lungsbeauf­tragte an der Universitä­t. „Im Zuge der #metoo-Kampagne melden sich deutlich mehr Frauen bei uns als vorher.“Wie viele insgesamt betroffen seien, ließe sich aber dennoch kaum abschätzen. „Die Dunkelziff­er ist mit Sicherheit noch immer hoch“, so Jungs Einschätzu­ng.

„Sowohl sexuelle Belästigun­g und sexuelle Gewalt als auch Stalking werden in erdrückend­er Mehrheit von Männern ausgeübt“, sagt Thomas Feltes, Professor für Kriminolog­ie an der juristisch­en Fakultät der Ruhr-Universitä­t Bochum. Er und sein Team haben 21 000 Studentinn­en aus ganz Europa zu ihren Erfahrunge­n auf dem Campus befragt. 55 Prozent der Frauen hätten dabei angegeben, im Studium bereits sexuellen Belästigun­gen ausgesetzt gewesen zu sein, erklärt Feltes. 3,3 Prozent seien in dieser Zeit sogar Opfer sexueller Gewalt geworden. Jede zehnte Studentin fühle sich im Studium durch Stalker bedroht. „Studentinn­en stellen eine besonders gefährdete Gruppe für sexuelle Gewalt dar“, so das Fazit des Kriminolog­en.

Viele dieser Vorfälle haben sich Feltes zufolge auf dem Campus selbst ereignet: „Bei sexueller Belästigun­g wurden 27,5 Prozent der schwerwieg­endsten Situatione­n an der Hochschule erlebt, bei Stalking sind es noch 10,1 Prozent und bei sexueller Gewalt 5,3 Prozent der Fälle“, sagt Feltes. Fast jede zweite Studentin habe angegeben, sich abends ohne Begleitung auf dem Unigelände nicht sicher zu fühlen.

Die Erklärung für den Umstand, dass auch der Campus Schauplatz von sexuellen Übergriffe­n sein kann, liegt für Sybille Jung in den akademisch­en Machtverhä­ltnissen. „Natürlich erleben wir dieses Verhalten auch unter Kommiliton­en“, erklärt sie. Solche Vorfälle seien aber seltener und meist weniger schwerwieg­end. „Echte Not entsteht in der Regel durch Machtstruk­turen, sexuelle Belästigun­g passiert selten auf Augenhöhe.“

Das zeige sich auch daran, dass sehr häufig Doktorandi­nnen betroffen seien. „Sie sind von ihren Vorgesetzt­en abhängig, die ja ihre Arbeit bewerten, gleichzeit­ig wird aber in einer Arbeitsgru­ppe viel gemeinsam unternomme­n.“Solche halb-privaten Bereiche bereiteten übergriffi­gem Verhalten dann oft den Nährboden, so die Meinung der Psychologi­n.

Auch die Hochschulr­ektorenkon­ferenz (HRK) sieht das Hauptprobl­em in universitä­ren Machtstruk­turen. „Wegen der Vielzahl von Abhängigke­itsverhält­nissen brauchen wir in den Hochschule­n eine große Aufmerksam­keit für das Thema und konkrete Vorsorgema­ßnahmen“, sagt HRK-Präsident Horst Hippler. Die Hochschule­n müssten ihre Mitglieder für die Problemati­k sensibilis­ieren, Verstöße klar sanktionie­ren und Anlaufstel­len für Betroffene schaffen, so die Forderung von HRK-Vizepräsid­entin Ulrike Beisiegel.

„Die Fälle, die wir erleben sind grundsätzl­ich sehr vielfältig“, berichtet Sybille Jung. „Meist handelt es sich um sexuelle Belästigun­g, also ungewollte Körperkont­akte, verbale Entgleisun­gen oder anzügliche­s Bildmateri­al.“Ihre klare Empfehlung lautet, sich in solchen Fällen umgehend beim Gleichstel­lungsbüro zu melden. „Mit solchen Dingen sollte man nicht allein bleiben“, rät sie.

Das weitere Vorgehen werde dann zunächst unter vier Augen besprochen. „Für uns gilt hier eine eindeutige Schweigepf­licht, Inhalte der Gespräche

Sybille Jung

gelangen nur dann nach außen, wenn die Betroffene das wünscht“, erklärt Jung. „Wie es weitergeht, hängt dann natürlich auch von der Schwere der Vorwürfe ab“, so die Psychologi­n. „Wenn etwa ein Dozent einen Kalender mit nackten Frauen in seinem Büro hat, teilen wir ihm mit, dass er ihn abhängen muss, damit hat sich die Sache dann in der Regel erledigt.“

Oft helfe auch bereits ein klärendes Gespräch. „Als erstes versuchen wir immer, den Betroffene­n Mut zuzusprech­en“, sagt Jung. „Wichtig ist ein deutliches Nein nach außen, sehr laut und sehr klar“, so ihr Rat. Häufig fühlten sich die Angesproch­enen schon dadurch abgeschrec­kt, erklärt sie. „Wenn eine Betroffene das nicht selbst machen will, übernehmen wir das auf Wunsch.“In schwereren Fällen hätten die Täter neben strafrecht­lichen Folgen auch Konsequenz­en an der Hochschule zu fürchten, erklärt Jung. „Wenn so etwas vorkommt, gehen wir sehr entschiede­n vor“, betont sie. „Mit Ausnahme von Professore­n können wir gegen alle Mitarbeite­r der Universitä­t direkt dienstrech­tliche Schritte einleiten.“Professore­n seien als Beamte hingegen der Staatskanz­lei unterstell­t. „Die sehen das dort aber auch nicht als Kavaliersd­elikt“, sagt Jung.

Der Gesetzgebe­r hat sich im Jahr 2016 klar positionie­rt. Nach der unter dem Schlagwort „Nein heißt nein“bekannt gewordenen Reform des Sexualstra­frechts, können nun alle „nicht-einverstän­dlichen sexuellen Handlungen“verfolgt werden. Dabei ist es gleichgült­ig, ob sich das Opfer körperlich gewehrt hat oder nicht. Gleichzeit­ig wurde mit dem Gesetz der neue Straftatbe­stand der sexuellen Belästigun­g eingeführt. Damit sind auch Übergriffe strafbar, die vorher als „nicht erheblich“eingestuft wurden, wie etwa das sogenannte Grapschen. „Es gibt noch nicht genug Urteile, um die Effektivit­ät der neuen Gesetzgebu­ng wirklich einschätze­n zu können“, sagt Sybille Jung. „Aber es ist definitiv eine Verbesseru­ng.“

Trotzdem wagten viele Frauen oft nicht, sich zur Wehr zu setzen, erklärt die Psychologi­n. „Viele empfänden Scham. Sie denken sich ‚Warum passiert das gerade mir? Liegt es vielleicht daran, dass ich zu knapp angezogen bin? Habe ich nicht klar genug Nein gesagt?‘“Auf solche Gedankengä­nge hat Sybille Jung eine einfache Antwort: „In den 20 Jahren, die ich diesen Beruf mache, gab es keine einzige Frau, die ohne Grund hier gewesen wäre.“

An der Saar-Universitä­t sieht die Gleichstel­lungsbeauf­trage noch Nachholbed­arf. „Ich würde mir wünschen, dass die Sensibilis­ierung für solche Themen Teil unseres Trainings für Führungskr­äfte wird“, sagt Jung. Generell müsse man die Probleme stärker ins Licht der Öffentlich­keit rücken. „Wir müssen eine Kultur auf dem Campus schaffen, die das unmöglich macht“, betont sie. „Niemand darf sich mehr schlecht fühlen müssen, wenn er sagt: ‚Mir ist das passiert.´“

Das Gleichstel­lungsbüro der Universitä­t des Saarlands bietet Studentinn­en neben den Beratungsg­esprächen eine Reihe weiterer Hilfen an. Sie sind auf der Internetse­ite des Büros zusammenge­fasst. gleichstel­lung.uni-saarland.de

„Wir müssen eine Kultur auf dem Campus schaffen, die das unmöglich macht.“

Gleichstel­lungsbeauf­tragte der

Universitä­t des Saarlandes

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FOTO: DIETZE Sexismus gibt es in vielen Lebensbere­ichen. An einer Uni können akademisch­e Machtstruk­turen das Problem verstärken, warnt die Gleichstel­lungsbeauf­tragte.

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