Saarbruecker Zeitung

Geiz macht nicht geil, sondern neurotisch

„Der Geizige“, kühl-komisch: „L’Avare“von Molière bei den Perspectiv­es war ein fabelhafte­r Festivalbe­itrag.

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ein übergriffi­ger Brutalo, der Mitarbeite­r und Kinder nicht nur körperlich bestraft, sondern demütigt, etwa durch rektale Leibesvisi­tationen.

Der virtuose Laurent Poitrenaux führt Harpagon als bizarre Mischung aus Gockel und Gorilla, Cowboy und Clown vor. Beinzitter­n, Handzucken, Schüttel-Attacken – wie ein Knetmännch­en formt Poitrenaux physisch seine Figur. Geld, das man zum Fetisch erhebt, macht nicht nur nicht glücklich, sondern einsam und neurotisch; das ist keine überrasche­nde Lesart dieses zeitlos weisen Stückes, aber sie wurde selten so kühl-komisch serviert.

Außerdem liefert uns Molière auch noch einen köstlichen Wirrwarr, einen Liebes-Intrigante­n-Stadl. Die Herzen schlagen wild im Hause Harpagon. Sohn Cléante (Tom Politano) liebt die nicht standesgem­äße Mariane (Marion Barché), die wiederum an Harpagon verkuppelt werden soll. Tochter Elise (Myrtille Bordier) hat sich heimlich mit dem Diener Valère (Alexandre Pallu) verlobt, der um sich eine beispiello­se Schleimspu­r der Unterwürfi­gkeit zieht. Hinzu kommt Frosine (Christèle Tual), hier eine Businessfr­au mit Rollkoffer, eine wankende Sexappeal-Fregatte.

Doch bei Lagarde packt niemand die übliche Slapstick-Keule aus, der Witz ist sarkastisc­h, subtil-böse, die Sprache üppig, die Gesamtanmu­tung dennoch schlank, pur, brut. Denn Lagarde braucht keinen Videobild-Bombast, keine musikalisc­hen Mätzchen. Er zieht einfach nur eine Grundidee durch und sagt, was gesagt werden muss: Werdet euer Geld los, gebt es aus, verschenkt es! Denn die Geizigen verhungern im Wohlstand, emotional und menschlich.

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