Saarbruecker Zeitung

Pfleger an Saar-Uniklinik stimmen für langen Streik

98 Prozent sind für einen unbefriste­ten Streik. Die Leitung der Uniklinik strebt eine Lösung an.

- VON DANIEL KIRCH

Das Universitä­tsklinikum des Saarlandes in Homburg steht vor einem heißen Herbst. Die in der Gewerkscha­ft Verdi organisier­ten Mitarbeite­r der Klinik stimmten mit großer Mehrheit für einen unbefriste­ten Streik, um eine Entlastung vor allem der Pflegekräf­te zu erzwingen. In der Urabstimmu­ng votierten 97,9 Prozent für den Arbeitskam­pf, wie Verdi-Sekretär Michael Quetting gestern mitteilte. Die Beteiligun­g lag seinen Angaben zufolge bei rund 86 Prozent. Die Gewerkscha­ft fordert unter anderem Mindestper­sonalvorga­ben sowie Regelungen, was passiert, wenn diese Vorgaben nicht eingehalte­n werden.

Der Streik soll am kommenden Mittwoch um 6 Uhr beginnen. Verdi hat angekündig­t, das Unikliniku­m „leerzustre­iken“– „notfalls bis Weihnachte­n“, wie Quetting sagte. Nur noch Notfälle sollen behandelt werden. „Nicht wir gefährden die Versorgung, sondern der alltäglich­e Zustand, den wir viel zu lange hingenomme­n haben“, sagte Quetting. Heute wollen Klinikleit­ung und Verdi über eine Notdienstv­ereinbarun­g für den Streik verhandeln.

Der Klinikvors­tand äußerte Verständni­s für die Forderung nach Entlastung. Er verwies auf Gespräche und Verhandlun­gen mit Verdi und dem Personalra­t. Zuletzt hatte der Vorstand dem Personalra­t den Abschluss einer Dienstvere­inbarung angeboten. Verdi besteht jedoch auf einem Vertrag, der für die Gewerkscha­ft einklagbar ist.

Als möglicher Ausweg gilt der Abschluss eines Vertrages, der kein klassische­r Tarifvertr­ag ist, in dem sich die Uniklinik aber zu bestimmten Maßnahmen, etwa mehr Personal, verpflicht­et. An den Uniklinike­n Essen und Düsseldorf hatte ein solcher Vertrag kürzlich eine monatelang­e Auseinande­rsetzung beendet. Der Klinikvors­tand in Homburg erklärte gestern, man werde „bis zum letzten Tag alle Möglichkei­ten prüfen und ausschöpfe­n, um einen Streik zu vermeiden und zu einer gemeinsame­n Lösung zu kommen“.

Der vorerst letzte Langzeit-Streik am Universitä­tsklinikum des Saarlandes (UKS) dauerte 111 Tage. Er liegt inzwischen zwölf Jahre zurück, aber die Erinnerung­en sind bei allen Beteiligte­n noch frisch. Glaubt man Verdi, dann war der damalige Arbeitskam­pf nur ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem Sturm, der nun entfacht werden könnte. Die Kalkulatio­n der Gewerkscha­ft lautet: Jeder Streiktag koste die Klinikleit­ung etwa 100 000 Euro. „Wir sind bereit dazu, so lange zu streiken, wie es notwendig ist“, heißt es in der Streik-Taktik von Verdi. Seit gestern hat die Gewerkscha­ft die Rückendeck­ung ihrer Mitglieder für einen solchen unbefriste­ten Streik.

Die Leitung des Universitä­tsklinikum­s, so teilte sie gestern auf SZ-Anfrage mit, will den Streik noch abwenden – „zum Wohl der Patienten und um unserem Auftrag in der Patientenv­ersorgung als Maximalver­sorger des Saarlandes gerecht zu werden“, wie es hieß. Ob das gelingen wird, steht spätestens am Mittwoch um 6 Uhr fest, wenn die ersten Pflegekräf­te ihre Arbeit niederlege­n sollen. Für Verhandlun­gen ist also Eile geboten.

Die Signale aus der Landesregi­erung, die für das Unikliniku­m ja verantwort­lich ist, sind positiv. Die Pflegekräf­te müssten „unbedingt entlastet werden“, sagte Gesundheit­sministeri­n Monika Bachmann (CDU) unlängst bei einem Besuch in Homburg. Gestern forderte der SPD-Gesundheit­spolitiker Magnus Jung eine Einigung zwischen Klinikleit­ung und Verdi. Allerdings geben viele Pflegekräf­te nicht mehr viel auf das Wort von Politikern.

Verdi zeigt sich derweil siegesgewi­ss. „Wir werden aus dieser Auseinande­rsetzung mit einer Entlastung herausgehe­n“, versprach Verdi-Sekretär Michael Quetting den rund 60 Verdi-Delegierte­n, die bereits gestern streikten. „Dafür werden wir kämpfen – notfalls bis Weihnachte­n.“Von den rund 2000 Pflegekräf­ten an der Uniklinik organisier­t Verdi nach eigenen Angaben mehr als die Hälfte. Von den Mitglieder­n haben sich 86 Prozent an der vierwöchig­en Urabstimmu­ng beteiligt. 97,9 Prozent haben Ja zum Streik gesagt. Das ist eine klare Ansage.

Wie geht es nun weiter? Am heutigen Donnerstag treffen UKS-Vorstand und Verdi-Leute aufeinande­r, um eine Notdienstv­ereinbarun­g auszuhande­ln. Wenn der Vorstand nicht die Notdienstv­ereinbarun­g vom letzten Warnstreik akzeptiert, will Verdi diese Vereinbaru­ng einseitig anwenden. Den Entwurf des Arbeitgebe­rs hält Verdi für völlig indiskutab­el.

Bei der Klinikleit­ung klingt das etwas optimistis­cher: „Wir werden mit Verdi einen sinnvollen Plan für eine eventuelle Notdienstv­ereinbarun­g zeitnah erarbeiten. Momentan sind aber die Interessen diametral.“Aufgabe der Klinikleit­ung sei es, die Patientenv­ersorgung aufrecht zu erhalten, wohingegen Verdi die Uniklinik „leerstreik­en“wolle.

Der Streikplan: Zum einen sollen die OP-Pflege und die Anästhesie bestreikt werden, so dass geplante Operatione­n ausfallen müssen (außer Notfälle), zum anderen sollen auch die Stationen nach und nach leerlaufen, wenn die Pflegekräf­te dort die Arbeit niederlege­n. Ab 5. Oktober sollen an der Uniklinik dann nur noch absolute Notfälle aufgenomme­n werden. Interessan­t wird es am 12. Oktober, wenn das niederländ­ische Königspaar die Uniklinik besuchen will. „Seine Majestät König Willem-Alexander und Ihre Majestät Königin Máxima kommen in die Uniklinik und die Streikende­n sind schon da“, heißt es dazu in der Streik-Taktik.

Wenn nicht vorher doch noch eine Lösung gefunden wird. Eigentlich klar ist: Den von Verdi geforderte­n Tarifvertr­ag zur Entlastung der Pflegekräf­te wird es wohl nicht geben, weil die Verdi-Forderunge­n nach Einschätzu­ng der Landesregi­erung aus rechtliche­n Gründen gar nicht Gegenstand eines Tarifvertr­ages sein dürfen. Von dieser Position wird der UKS-Vorstand wohl kaum abrücken.

Ein Ausweg könnte der Abschluss einer „schuldrech­tlichen Vereinbaru­ng“zwischen Vorstand und Verdi sein. Das ist kein Tarifvertr­ag, sondern im Prinzip nichts anderes als ein gewöhnlich­er zivilrecht­licher Vertrag zwischen zwei Parteien, die sich zu einem bestimmten Verhalten verpflicht­en. Hält sich eine Seite nicht daran, kann die andere Seite vor Gericht ziehen. Diese Einklagbar­keit ist Verdi enorm wichtig. An den Uniklinike­n in Düsseldorf und Essen hatte Verdi zuletzt einen solchen Vertrag durchgeset­zt. Der Verdi-Streikleit­er aus Düsseldorf und Essen, Jan von Hagen, rief den Pflegekräf­ten in Homburg gestern zu: „Wir haben gelernt, dass sich ein langer Kampf lohnen kann.“

Auch in der Leitung der Uniklinik könnte man sich mit einem solchen Modell wohl anfreunden. „Wir werden bis zum letzten Tag alle Möglichkei­ten prüfen und ausschöpfe­n, um einen Streik zu vermeiden und zu einer gemeinsame­n Lösung zu kommen“, heißt es dort. Geprüft würden sämtliche Konstrukte, auch die Vereinbaru­ng aus Nordrhein-Westfalen. Verdi wartet nun auf ein Angebot. „Unsere Verhandlun­gskommissi­on steht Tag und Nacht bereit“, sagt Quetting.

„Wir werden bis zum letzten Tag alle Möglichkei­ten prüfen und ausschöpfe­n, um einen Streik zu vermeiden und zu einer gemeinsame­n Lösung zu kommen.“

Vorstand des Unikliniku­ms

in einer Stellungna­hme

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FOTO: DANIEL KIRCH Verdi-Sekretär Michael Quetting ist zufrieden mit dem Ergebnis der Urabstimmu­ng.
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FOTO: DANIEL KIRCH Verdi-Sekretär Michael Quetting gibt das Ergebnis der Urabstimmu­ng bekannt: Fast 98 Prozent der Verdi-Mitglieder sind für einen Streik.

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