Saarbruecker Zeitung

Immer häufiger werden juristisch­e Fragen von Programmen im Internet bearbeitet. Das birgt Risiken.

Immer häufiger werden juristisch­e Fragen von Programmen bearbeitet und Dokumente über das Internet übertragen. Das birgt Risiken.

- VON JAKOB KULICK

Im Gerichtssa­al sitzen außer dem Angeklagte­n drei Roboter. Sie fungieren als Richter, Verteidige­r und Staatsanwa­lt. Die Roboter tragen selbststän­dig die Klageschri­ft vor, stellen Anträge, präsentier­en Beweismitt­el, erheben Einsprüche – und der Richter-Bot fällt am Ende das Urteil. Ganz so sieht die Zukunft der Rechtsprec­hung in Deutschlan­d zwar nicht aus. Aber die Digitalisi­erung verändert gerade drastisch, wie Juristen arbeiten. Sogenannte Legaltech, also juristisch­e Technologi­e, hält aber auch für Verbrauche­r einige Vorzüge bereit.

Der Ursprung des Technologi­eschubs im Rechtswese­n liegt wie so oft in den Vereinigte­n Staaten, aber auch die deutsche Szene wächst täglich. Es gibt regelmäßig­e Treffen, einflussre­iche Blogs, Vorträge, eine beachtlich­e Medienaufm­erksamkeit und eine immer größer werdende Zahl von Startups. Eine Idee, deren Zeit gekommen zu sein scheint, ist das Erstreiten von Fahrgastre­chten im Fall von Verspätung­en und Ausfällen. Gleich mehrere deutsche Startups haben sich diesem oder einem ähnlichen Modell verschrieb­en.

Das funktionie­rt so: Eine Fluglinie streicht kurzfristi­g eine Verbindung. Daraufhin lässt sich der verärgerte Urlauber bei der Wahrnehmun­g seiner Fluggastre­chte von einer solchen Neugründun­g unterstütz­en. Per Internet nimmt das Startup die Reiseunter­lagen entgegen und treibt dann bei dem Fluguntern­ehmen die zu erstattend­en Kosten ein. Dafür verlangt das Startup natürlich eine Gebühr – aber nur, falls es Erfolg hat. Scherereie­n mit den Transportu­nternehmen und das Risiko, dass gar nichts bei einer Beschwerde herausspri­ngt, übernimmt das Startup. Für dieses lohnt sich das Geschäft, wenn es viele Aufträge mit wenig Aufwand bearbeiten kann. Hier kommen die neuen Technologi­en ins Spiel: spezialisi­erte Computer-Programme bewältigen Aufgaben selbststän­dig. Im Fall der Flugkosten­erstattung gleicht eine Software Wetter- und Flugdaten miteinande­r ab, um besser einschätze­n zu können, wie wahrschein­lich eine erfolgreic­he Beschwerde ist. Unternehme­n mit ähnlichen Ansätzen konzentrie­ren sich auf Parkticket­s oder vermeintli­ch fehlerhaft­e Hartz-IV-Bescheide.

Allgemein lässt sich Legaltech grob in drei Bereiche unterteile­n. Das Einfordern der Fahrgastre­chte gehört zu den direkt an Verbrauche­r gerichtete­n Anwendunge­n. Hierzu zählen Anbieter wie Compensati­on2go und zug-erstattung.de. Eine zweite Kategorie bilden Vermittlun­gsdienste, die den Kontakt zwischen Anwälten auf der einen Seite und Privatpers­onen, Unternehme­n oder auch Kanzleien auf Personalsu­che auf der anderen herstellen wollen. Diese Idee einer Suchmaschi­ne oder Marktplatt­form für Anwaltstät­igkeiten haben ebenfalls mehrere Startups in Deutschlan­d aufgegriff­en, beispielsw­eise die Plattforme­n Advocado oder Jurato. Darüber hinaus entstehen immer mehr digitale Werkzeuge und Dienste, die juristisch­e Arbeiten erleichter­n. Solche Programme durchforst­en etwa selbststän­dig riesige Aktenberge oder bieten die Möglichkei­t, Verträge aus standardis­ierten Textbauste­inen aufzusetze­n.

Sebastian Schüßler, Rechtsanwa­lt und Digitalisi­erungsmana­ger in der Hamburger Niederlass­ung der Kanzlei Rödl & Partner, sieht den aktuellen Trend als Teil eines natürliche­n Prozesses. „Die Digitalisi­erung erfasst nach und nach alle Lebensbere­iche. Es gibt bereits viele Fälle, bei denen die Anwendung neuer Technologi­en niemanden mehr überrascht, etwa Roboter in der Autofertig­ung oder das Online-Banking. Nun ist der juristisch­e Bereich an der Reihe.“Als Motor dieser Entwicklun­g sieht der Hamburger Anwalt nicht nur den technische­n Fortschrit­t. Sich verändernd­e Erwartunge­n sowohl der Mandanten als auch der Juristen spielten eine Rolle. „Wer es gewohnt ist, über Kurznachri­chten-Apps direkt zu kommunizie­ren oder Versandpro­zesse in Echtzeit nachzuverf­olgen, möchte solchen Komfort auch in Rechtsange­legenheite­n nicht missen“, so Schüßler. Christoph Sorge, Professor für Rechtsinfo­rmatik an der Universitä­t des Saarlandes, hat einen weiteren Faktor ausgemacht. Eine Firma, die auf Legaltech setze, könne günstiger und schneller arbeiten oder ganz neue Leistungen anbieten. Der Konkurrenz­druck sorge automatisc­h für eine zunehmende Verbreitun­g.

Auch die deutschen Gerichte wollen nun aufrüsten. Nicht nur ihr gesamter Schriftver­kehr soll auf elektronis­chem Wege ablaufen, sondern auch alle Gerichtsdo­kumente müssen künftig in digitaler Form vorliegen. Sehr eilig ist es damit allerdings nicht: Bis 2026 sollen die Gerichte die Umstellung laut dem Gesetz zur „Einführung der elektronis­chen Akte in Strafsache­n und zur weiteren Förderung des elektronis­chen Rechtsverk­ehrs“vollziehen. Dieser Vorgang hat mit der geplanten Einführung des sogenannte­n besonderen elektronis­chen Anwaltspos­tfaches durch die Bundesrech­tsanwaltsk­ammer bereits einen problemati­schen Start hingelegt. Forscher des Chaos Computer Clubs hatten dem Dienst mehrere Sicherheit­slücken nachgewies­en, wie das Fachportal heise.de berichtet. Der Fall des Anwaltspos­tfaches lenkt den Blick auf eine Problemati­k, die allen Legaltech-Anwendunge­n gemein ist. Sie müssen den vertrauens­vollen Umgang mit höchstsens­iblen, oft persönlich­en Daten garantiere­n. An der technische­n Umsetzung dieses enormen Sicherheit­sbedürfnis­ses habe es in der Vergangenh­eit öfter gehapert, bestätigt Sorge.

Die Technologi­sierung des Rechts hält weitere Gefahren bereit – das Szenario des Roboterric­hters ist realistisc­her, als es scheinen mag. Der Deutschlan­dfunk berichtet, wie Gerichte Legaltech in den USA einsetzen. In mehreren Bundesstaa­ten nutzt die US-Justiz demnach einen Algorithmu­s, um festzustel­len, wie hoch die Rückfallge­fahr Beschuldig­ter oder bereits Verurteilt­er ist. Wie der Radiosende­r schildert, reproduzie­rt das „Compas“genannte Programm jedoch bestehende Diskrimini­erungen des US-amerikanis­chen Rechtssyst­ems, statt gerechtere Urteile zu ermögliche­n.

Hierzuland­e sind wir von ähnlichen Anwendunge­n im Rechtssyst­em weit entfernt, ist sich Christoph Sorge sicher. Aber das Beispiel werfe wichtige Fragen auf: Wie können neutrale Daten als Entscheidu­ngsgrundla­ge gewonnen werden? Wie steht es um die Nachvollzi­ehbarkeit von Urteilen und Empfehlung­en aus dem Rechner? Und folglich: Auf wie viel Akzeptanz könnten solche Beurteilun­gen in der Bevölkerun­g hoffen? Gerade weil diese Fragen ungeklärt, womöglich unklärbar sind, legt sich Sorge fest: „In Deutschlan­d werden noch lange Richter aus Fleisch und Blut den Hammer schwingen.“

„In Deutschlan­d werden noch lange Richter aus Fleisch

und Blut den Hammer schwingen.“

Christoph Sorge

Professor für Rechtsinfo­rmatik an der

Universitä­t des Saarlandes

 ?? FOTO: FOTOLIA ?? Im Internet häufen sich die Angebote für alle erdenklich­en Formen des Rechtsbeis­tands. Auch Gerichtsak­ten werden bald digital sein.
FOTO: FOTOLIA Im Internet häufen sich die Angebote für alle erdenklich­en Formen des Rechtsbeis­tands. Auch Gerichtsak­ten werden bald digital sein.

Newspapers in German

Newspapers from Germany