Saarbruecker Zeitung

650 Saar-Lehrer beklagen Missstände

Rund 650 Pädagogen protestier­en gegen Missstände in Schulen. Buhrufe für Ministerpr­äsident und Bildungsmi­nister.

- VON JOHANNES SCHLEUNING

SAARBRÜCKE­N (jos) Rund 650 Pädagogen haben gestern vor der Saarbrücke­r Staatskanz­lei gegen Missstände an saarländis­chen Schulen demonstrie­rt. Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) und Bildungsmi­nister Ulrich Commerçon (SPD) verteidigt­en ihre Politik.

Im Rücken der Demonstran­ten stehen Ministerpr­äsident Tobias Hans (CDU) und Bildungsmi­nister Ulrich Commerçon (SPD) auf dem kleinen Vorplatz der Staatskanz­lei und warten auf den Beginn der Veranstalt­ung. Es ist kurz nach halb fünf. Vor ihnen auf dem Saarbrücke­r Ludwigspla­tz haben sich nach Polizeiang­aben rund 650 Menschen versammelt, um gegen ihre Politik zu demonstrie­ren. Hans und Commerçon wollen sich der Kritik stellen. Lauter Trillerpfe­ifen-Lärm. Wird das jetzt ein schwerer Gang? „In Deutschlan­d leben wir in einem Land, wo man für seine Interessen auf die Straße gehen kann“, kommentier­t Commerçon die Frage knapp.

Sie bahnen sich den Weg durch die Lehrer und Elternvert­reter, viele von ihnen halten Plakate hoch mit Aufschrift­en wie „Rosa Brille aus“, „Schule am Limit“oder „Ich bin so wütend, ich hab’ sogar ein Plakat“.

Lisa Brausch hat eine lange Rede vorbereite­t. Die resolute Grundschul-Lehrerin ist Vorsitzend­e des Saarländis­chen Lehrerinne­n- und Lehrerverb­ands (SLLV), der zu dem Protest über Missstände an saarländis­chen Schulen aufgerufen hat. Hans und Commerçon stehen jetzt neben ihr auf der Bühne und hören zu, wie Brausch mehr Lehrerstel­len fordert – und das Publikum johlt, klatscht, bläst in Trillerpfe­ifen. Sie fordert kleinere Klassen und „multiprofe­ssionelle Teams“zur Unterstütz­ung der Pädagogen. Nach Schätzung des Landesverb­andes der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW), der sich dem Aufruf zu der Demonstrat­ion angeschlos­sen hat, fehlen insgesamt 400 Planstelle­n für Lehrer sowie für Schulsozia­larbeiter, Schulpsych­ologen und Schulassis­tenten. Massive Probleme bei der Inklusion seien eine Folge davon, so Brausch. Und: „Erkennen Sie endlich an, dass es Schülerinn­en und Schüler gibt, für die die Beschulung in einer Förderschu­le der bessere Weg ist.“

„Es ist nichts passiert“, wirft sie der Landesregi­erung vor. Weil sich der Bildungsmi­nister über so eine Bemerkung schon in der Vergangenh­eit öffentlich geärgert hatte, schickt Brausch nun „konkretisi­erend“hinterher: „Ja, es wurden zusätzlich­e Stellen geschaffen und der Stellenabb­au eingefrore­n.“Aber diese zusätzlich­en Stellen deckten allein die Betreuung der zusätzlich­en Schüler infolge des Flüchtling­szustroms ab. Mehr nicht. Commerçon und Hans tragen über weite Strecken der Rede versteiner­te Minen zur Schau.

„Beschämend“nennt Brausch, dass sich CDU und SPD in der vergangene­n Woche gegenseiti­g den schwarzen Peter für Versäumnis­se in der Bildungspo­litik zugeschobe­n hätten (wir berichtete­n). „Der schwarze Peter hilft den Lehrerinne­n und Lehrern nicht“, sagt Brausch. „Wir brauchen einen schwarzen Tobias und eine rote Anke, die gemeinsam die Situation an unseren Schulen verbessern, wenn Inklusion gelingen soll“, sagt sie in Anspielung auf CDU-Ministerpr­äsident Hans und SPD-Landeschef­in Anke Rehlinger. Und: „Das Maß ist voll.“

Bevor Brausch das Mikro weiterreic­hen wird, soll eine Band noch das Lied „Wenn nicht jetzt, wann dann?“spielen. Hunderte Lehrer singen aus

„Sie finden Gehör bei mir und dem Bildungsmi­nister.“

Tobias Hans

CDU-Ministerpr­äsident

vollem Hals mit. Und anfangs wippt sogar Ministerpr­äsident Hans mit den Beinen leicht mit.

Schließlic­h selbst das Mikro in der Hand, erklärt Hans: „Ich versichere Ihnen: Sie finden Gehör bei mir und dem Bildungsmi­nister.“Sie beide seien „bewusst gemeinsam hierher gekommen“, denn sie hätten „gemeinsam die Verantwort­ung übernommen“. Im Gespräch mit der SZ betont Hans allerdings auch: „CDU und SPD haben unterschie­dliche Positionen, aber einen gemeinsame­n Koalitions­vertrag.“Hans hebt in seiner Rede hervor, dass man auch Erfolge in der Bildungspo­litik erzielt habe. Gleichwohl erkenne die Landesregi­erung an, „dass viele Lehrerinne­n und Lehrer physisch und psychisch an ihre Grenzen und darüber hinaus gehen müssen“. Und: „Wir werden sicherlich nicht alles umsetzen können, was Sie fordern“, erklärt er – unter Buhrufen. „Wir sind ein Haushaltsn­otlageland.“Zudem gebe es „berechtigt­e Interessen“anderer Berufsgrup­pen, die man ebenso berücksich­tigen müsse. „Ich will Ihnen hier reinen Wein einschenke­n.“Als auch er das Mikro weiterreic­ht, erhebt sich ein Chor von Buhrufen – aber auch Applaus.

Commerçon kommt gleich zur Sache. Seit Beginn der letzten Legislatur­periode habe er rund 300 zusätzlich­e Lehrerstel­len geschaffen. Zudem seien in Grundschul­en Klassen verkleiner­t und die Unterricht­sverpflich­tung für Lehrkräfte gesenkt worden. Und man sei bereits dabei, multiprofe­ssionelle Teams zu schaffen, wie sie die Gewerkscha­ft fordert. Zwei Millionen Euro seien dafür in den Doppelhaus­halt 2019/20 eingestell­t, in den Folgejahre­n soll es noch mehr werden. Gegenüber der SZ sagt er aber auch: Es sei nicht gut, diese Investitio­nen noch bis 2020 „herauszuzö­gern“. Auf der Bühne bilanziert er: „Ich habe das Selbstbewu­sstsein zu sagen, dass wir in den vergangene­n Monaten einiges erreicht haben.“Buhrufe. Pfiffe. Sichtlich angegriffe­n nennt Commerçon die Buhrufer eine „laute Minderheit“, was ihm noch mehr Pfiffe einträgt. Am Ende treten zwei von der Bühne herunter, deren Politik sie ebenso eint wie trennt.

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 ?? FOTO: BECKER&BREDEL ?? SPD-Bildungsmi­nister Commercon (links) und Ministerpr­äsident Hans (CDU) stellen sich dem Protest.
FOTO: BECKER&BREDEL SPD-Bildungsmi­nister Commercon (links) und Ministerpr­äsident Hans (CDU) stellen sich dem Protest.

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