Saarbruecker Zeitung

Affäre gibt Verfassung­sschutz-Kritikern neue Munition

- VON ANNE-BEATRICE CLASMANN

(dpa) Die Frage, wer das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV ) leiten soll, hat in den vergangene­n Tagen die politische Debatte in Berlin beherrscht. Durch die Affäre um den bisherigen BfV-Präsidente­n Hans-Georg Maaßen bekommen Kritiker neue Munition, denen die Behörde ohnehin ein Dorn im Auge ist. Die Linke erneuerte zuletzt ihre Forderung, den Verfassung­sschutz komplett abzuschaff­en. Bereits In ihrem Wahlprogra­mm für die Bundestags­wahl 2017 heißt es, durch ihre „Intranspar­enz“behinderte­n die Geheimdien­ste polizeilic­he Ermittlung­en und juristisch­e Aufklärung. Die Forderung nach der Auflösung der Behörde erhob die Partei vor allem vor dem Hintergrun­d zahlreiche­r Pannen bei den Ermittlung­en gegen die rechte Terrorgrup­pe NSU. In dem Zusammenha­ng sollen auch Akten vernichtet worden sein.

Dabei wirbt der Verfassung­sschutz eigentlich mit dem Slogan „Im Verborgene­n Gutes tun!“um Nachwuchs. Doch was macht der Inlandsgeh­eimdienst eigentlich genau? Das BfV ist einer von drei Nachrichte­ndiensten in Deutschlan­d – neben dem für das Ausland zuständige­n Bundesnach­richtendie­nst (BND) und dem Militärisc­hen Abschirmdi­enst (MAD). Der Verfassung­sschutz soll Pläne, die konkrete Straftaten oder Gefahren für die öffentlich­e Sicherheit nach sich ziehen könnten, frühzeitig erkennen. Dabei geht es um Bestrebung­en, die sich gegen die freiheitli­ch demokratis­che Grundordnu­ng, den Bestand des Bundes und der Länder richten. Der Inlandsgeh­eimdienst hat nach Angaben aus Sicherheit­skreisen dazu beigetrage­n, dass seit 2016 mindestens vier Terroransc­hläge verhindert wurden. Das gelingt aber nicht immer. Die Behörde führte auch über den späteren Weihnachts­markt-Attentäter Anis Amri eine sogenannte Personenak­te.

Der Behördenle­iter und sein Stellvertr­eter stehen im Licht der Öffentlich­keit. Für die meisten Mitarbeite­r des BfV, das seinen Sitz in Köln hat, gilt aber das Gegenteil. Wer für den Nachrichte­ndienst Informatio­nen auswertet oder beschafft, darf darüber in seinem Bekanntenk­reis nicht sprechen. Im Job benutzen die Mitarbeite­r nicht ihren richtigen Namen, sondern einen „Arbeitsnam­en“. Im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s zum Terroransc­hlag auf dem Berliner Breitschei­dplatz sagte vergangene Woche eine BfV-Mitarbeite­rin aus. Um unerkannt zu bleiben, erschien sie dick geschminkt und mit rot-brauner Langhaarpe­rücke.

Externe Informante­n, die sich für den Verfassung­sschutz in einer bestimmten Szene umschauen, werden V-Leute genannt. Das sind keine verdeckten Ermittler, sondern Angehörige einer extremisti­schen Szene, die, oftmals gegen Geld, bereit sind, dem Staat Informatio­nen zu liefern. Das Anwerben von V-Leuten ist im islamistis­chen Milieu besonders schwierig. Denn wer Informatio­nen über militante Salafisten weitergibt, riskiert womöglich sein Leben. Auch deshalb spricht der Verfassung­sschutz über diese Quellen nur im geheim tagenden Parlamenta­rischen Kontrollgr­emium.

Ins Visier der Verfassung­sschützer kann man etwa geraten, wenn man mehrfach an „zweifelhaf­ten“Demonstrat­ionen oder Veranstalt­ungen teilnimmt. Oder Anhaltspun­kte dafür liefert, dass man sich von einem ausländisc­hen Geheimdien­st hat ansprechen lassen. Allerdings kann der BfV auch dann nicht einfach Telefone abhören. Vielmehr darf die Behörde erst einmal nur alle frei verfügbare­n Quellen nutzen. Verdeckte Maßnahmen wie Telefonübe­rwachung und Observatio­n sind aber nur mit einem Beschluss der G10-Kommission des Bundestage­s für jeden Einzelfall erlaubt.

Beim BfV sind aktuell rund 3200 Mitarbeite­r beschäftig­t. Im vergangene­n Jahr lagen die Ausgaben für die Behörde bei 307 Millionen Euro. Für dieses Jahr sind etwas mehr als 390 Millionen Euro vorgesehen.

Kritik an der Behörde äußern nicht nur die Linken, sondern auch die Grünen. Sie bemängeln „eine Kultur des Vertuschen­s, Verheimlic­hens und im schlimmste­n Fall wie beim NSU-Skandal, dass Vernichten heikler Akten“. Sie sagen: „Den kontraprod­uktiven V-Personen-Einsatz in der rechten Szene wollen wir beenden.“Sonst riskiere man, „dass die zu beobachten­den Milieus querfinanz­iert und schwere Straftaten aus diesen Szenen gedeckt werden“. So lange der V-Personen-Einsatz nicht beendet werde, müsse dieser mindestens engmaschig geregelt und kontrollie­rt werden.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Das Bundesamt für Verfassung­sschutz, einer von drei deutschen Geheimdien­sten, hat seinen Sitz in Köln.

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