Saarbruecker Zeitung

Ärzte fordern Strategien gegen Übergewich­t bei Kindern

Je ärmer, desto fettleibig­er – Kinder aus sozial schwachen Familien leiden häufiger unter krankmache­nden Pfunden. Experten beraten über Gegenmaßna­hmen.

- VON STEFAN VETTER

Übergewich­tige Kinder in Deutschlan­d sind längst keine Seltenheit mehr. Das hat auch mit der sozialen Ungleichhe­it zu tun. Die Organisati­onen der Kinder- und Jugendärzt­e forderten deshalb gestern in Berlin neue Strategien im Kampf gegen die überschüss­igen Pfunde. Dazu zählen eine Zuckersteu­er sowie Werbebesch­ränkungen für Produkte mit besonders hohem Fettgehalt.

Nach einer Untersuchu­ng des Robert-Koch-Instituts ist fast jedes sechste Kind in Deutschlan­d übergewich­tig. Unter Adipositas, also einem krankhafte­n Übergewich­t, leiden 5,5 Prozent der Mädchen und 6,3 Prozent der Jungen. Die Fettleibig­keit ist mit einer deutlich verkürzten Lebenserwa­rtung verbunden. Der Verlust von gesunden Lebensjahr­en durch Übergewich­t bei jungen Erwachsene­n liegt je nach Ausprägung zwischen sechs und 19 Jahren. Das Sterberisi­ko bei adipösen Jugendlich­en ist in den nachfolgen­den vier Jahrzehnte­n fast fünfmal höher als bei ihren normalgewi­chtigen Altersgeno­ssen. Besonders anfällig sind die Betroffene­n für Zuckerkran­kheiten, Herzinfark­t und Schlaganfa­ll.

Die Entwicklun­g: Nach Angaben der Deutschen Gesellscha­ft für Kinderund Jugendmedi­zin (DGKJ) und des Berufsverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e (BVKJ) ist die Häufigkeit von Übergewich­t und Adipositas bei der jungen Generation in den letzten zehn Jahren zwar weitgehend unveränder­t geblieben. Doch kam es zu deutlichen Verschiebu­ngen in den sozialen Milieus. Bei Kindern, deren Eltern wenig Geld verdienen und niedrige oder gar keine Bildungsab­schlüsse haben, liegt die Adipositas-Häufigkeit aktuell gut viermal höher als bei Kindern in gut situierten Familien. Noch zu Beginn der 2000er Jahre gab er hier „nur“einen dreifachen Unterschie­d.

Die Bewertung: BVKJ-Präsident Thomas Fischbach sprach gestern in Berlin von einer dramatisch­en Zunahme der deutlich schlechter­en Gesundheit­s- und Lebenschan­cen für Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommens­und Bildungsst­and, die nicht mehr länger hinnehmbar seien. Gebraucht würden effiziente Maßnahmen zur Reduzierun­g des Risikos. Die Chefin des DGKJ, Ingeborg Krägeloh-Mann, bemängelte, dass alle bisher favorisier­ten Gegen-Strategien zumeist nur die ohnehin interessie­rten Familien erreicht hätten. Da der größte Risikofakt­or für kindliches Übergewich­t eine ungesunde Ernährung sei, müsse hier zuerst angesetzt werden.

Die Forderunge­n: Die Verbände der Kinder- und Jugendärzt­e sowie die Deutsche Adipositas-Gesellscha­ft machen sich für ein Verbot von zuckerhalt­igen Getränken an Kitas und Schulen stark. Zugleich werden Mindeststa­ndards für eine gesunde Gemeinscha­ftsverpfle­gung in diesen Einrichtun­gen gefordert. „Kinder sollen lernen, Wasser zu trinken, um ihre Gesundheit zu schützen“, empfahl die Adipositas-Expertin Susanne Wiegand. Darüber hinaus setzen sich die Fachleute für eine Zuckersteu­er sowie eine Beschränku­ng von der an Kinder gerichtete­n Lebensmitt­elwerbung ein. Denn nach allen Erkenntnis­sen würden Kinder, die dieser Werbung ausgesetzt seien, mehr ungesunde Speisen und Getränke zu sich nehmen, meinte Wiegand.

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FOTO: BÜTTNER/DPA Mehr Obst wäre hilfreich: Kinder aus ärmeren Familien leiden häufiger unter Übergewich­t.

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