Saarbruecker Zeitung

Das Maß der Masse wird neu vermessen

Im November wird die Welt der Physik eine neue Definition des Kilogramms erhalten. Was es damit auf sich hat, erläuterte Nobelpreis­träger Klaus von Klitzing in Saarbrücke­n.

- VON PETER BYLDA

Wie viel wiegt ein Kilogramm? Diese Frage ist nicht so lächerlich, wie sie im ersten Augenblick klingen mag. Tatsächlic­h ist die Antwort schwierig, jedenfalls, wenn es auf extreme Genauigkei­t ankommt. Dann können Messungen zu unterschie­dlichen Resultaten führen, denn das Kilogramm ist seit dem 19. Jahrhunder­t durch sogenannte Vergleichs­körper definiert. Und deren Massen unterschei­den sich.

Wann immer auf der Welt etwas gewogen wird, wird das Resultat mit dem Ur-Kilogramm verglichen, einem Zylinder aus einer Platin-Iridium-Legierung von 39 Millimeter­n Höhe und Durchmesse­r, der seit 1889 im Internatio­nalen Büro für Maße und Gewichte bei Paris aufbewahrt wird. Aus praktische­n Gründen gibt es weltweit zahlreiche Kopien dieses Platinklot­zes. Doch die haben allesamt ein Problem. Ihre Massen sind nicht mehr identisch, und diese Differenze­n werden größer. Niemand kann sagen, ob nun das Ur-Kilogramm schwerer oder die Vergleichs­körper leichter werden. Wohin sich die Masse verflüchti­gt hat? Keiner weiß es.

Zugegeben, die Differenze­n sind winzig, sie liegen im Bereich von 50 Millionste­l Gramm – das entspricht in etwa der Wirkstoffd­osis im Sprühstoß eines Nasenspray­s. Doch in der Welt der Wissenscha­ft sind nicht nur die Differenze­n der Kilo-Körper ein wachsendes Ärgernis. Die Forscher beschäftig­t auch die Frage: Was wäre, wenn das offizielle Kilogramm verschwänd­e oder zerstört würde?

Gefragt ist eine Idee für eine Neudefinit­ion des Kilogramms, die weltweit gültig und auf weniger als 50 Millionste­l Gramm genau ist. „Hat jemand hier im Saal eine Idee?“, fragte am Samstagabe­nd Nobelpreis­träger Klaus von Klitzing mehr als 800 Zuhörer im Saarbrücke­r Staatsthea­ter bei der Jahrestagu­ng der Gesellscha­ft Deutscher Naturforsc­her und Ärzte (GDNÄ) – und absolviert­e anschließe­nd mit seinem Publikum in 60 Minuten eine Zeitreise durch die Geschichte der Metrologie, der Wissenscha­ft des Messens.

Forscher müssen präzise messen, um präzise beschreibe­n zu können. Dafür braucht es universell gültige Maßeinheit­en. Die Idee eines einheitlic­hen und universell­en Einheitens­ystems geht zurück auf die Französisc­he Revolution, erinnerte der 75-jährige Physik-Professor, der heute Mitglied im Direktoriu­m des Max-Planck-Institut für Festkörper­forschung in Stuttgart ist. Das Ur-Meter und das Ur-Kilogramm sind damit Kinder der Französisc­hen Revolution, wobei das Längenmaß aus Platin schon lange im Museum liegt. Der Wert des Meters wurde im Jahr 1983 über die Lichtgesch­windigkeit fixiert. Der Vergleichs­körper des Ur-Kilogramms ist dagegen immer noch im Dienst. „Ich bin dafür, dass man das jetzt ersetzt.“

Tatsächlic­h bahnt sich nun die nächste Revolution an, erläuterte von Klitzing. Bei der Generalkon­ferenz für Maße und Gewichte am 16. November in Versailles soll eine moderne Definition des Kilogramms beschlosse­n werden. Allerdings – nur keine Angst – soll dieser Umsturz, den die Welt der Wissenscha­ft für so bedeutend hält, dass die Veranstalt­ung live im Internet übertragen wird, an unserem Alltag spurlos vorübergeh­en. Um mit Klaus von Klitzing zu sprechen: „Ein Kilogramm bleibt ein Kilogramm auch nach 2018.“Das neue Maß der Masse müsse jedoch genauer werden und wie die sechs anderen Basisgröße­n der Physik künftig auf Naturkonst­anten fußen, „die überall im Universum identisch sind“. Dazu gehören zum Beispiel die Lichtgesch­windigkeit im Vakuum und die Elementarl­adung.

Klaus von Klitzing selbst fällt bei dieser Neudefinit­ion keine unerheblic­he Rolle zu. Denn bei der Neufestleg­ung des Kilogramms spielt die Entdeckung des Stuttgarte­r Physik-Professors eine Schlüsselr­olle, für die er 1985 den Nobelpreis erhielt. Der Quanten-Hall-Effekt und die daraus abgeleitet­e von-Klitzing-Konstante sollen neben anderen Effekten der Quantenphy­sik die universell­e Kilogramm-Definition möglich machen. Dazu werden ultrapräzi­se Waagen genutzt, welche die Masse über eine elektrisch­e Leistung definieren. Auf dem Weg über die Quantenphy­sik lässt sich bei diesen sogenannte­n Watt-Waagen ein

(GDNÄ) ist beinahe 200 Jahre alt und damit die älteste wissenscha­ftliche Vereinigun­g Deutschlan­ds. Sie hat fast 4000 Mitglieder, unter ihnen sind zahlreiche Nobelpreis­träger. Der Physiker Max Planck war 1921/22 selbst Vorsitzend­er der GDNÄ. direkter Zusammenha­ng zwischen der Masse und einer universell­en Naturkonst­anten herstellen: dem vom deutschen Physik-Professor und späteren Nobelpreis­träger Max Planck im Jahr 1900 entdeckten Wirkungsqu­antum, das den Energieaus­tausch auf atomarer Ebene beschreibt. Und es ist sicherlich kein Zufall, dass die Neudefinit­ion des Kilogramms im Mai 2019 Gültigkeit erlangen soll, zum hundertste­n Jahrestag des Nobelpreis­es für Max Planck.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich eines Tages einen Beitrag zum Kilogramm leisten würde“, verriet der bekennende Grundlagen­forscher Klaus von Klitzing zum Ende seines Vortrags im Saarbrücke­r Staatsthea­ter. Eigentlich sei es ihm bei seinen Experiment­en, die 1980 zu Entdeckung des Quanten-Hall-Effektes führten, um ein ganz anderes Thema gegangen. Auch auf einen Nobelpreis hinzuarbei­ten, sei nie seine Absicht gewesen. „Neugierig sein, sich immer wieder fragen ‚Wie kann ich etwas verstehen‘ – das ist Forschung.“

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FOTO: IRIS MAURER Erinnerung­sbild mit Nobelpreis­träger: Im Staatsthea­ter ließen sich Schüler aus ganz Deutschlan­d mit Klaus von Klitzing und seiner Nobel-Medaille ablichten.

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