Saarbruecker Zeitung

Ein bisschen Gipfelrout­ine zwischen zwei Wahlen

Die Kanzlerin spricht im Bundestag lange über EU-Themen, kurz über einen möglichen harten Brexit – und nicht über Bayern.

- VON WERNER KOLHOFF Produktion dieser Seite: Frauke Scholl, Robby Lorenz Gerrit Dauelsberg, Pascal Becher

Zwischen zwei deutschen Landtagswa­hlen gibt es ja auch noch die Welt. Mindestens Europa. Und deswegen hält sich Angela Merkel (CDU) bei ihrer Regierungs­erklärung gestern im Bundestag kurz vor dem EU-Gipfel auch gar nicht erst mit den Wahlklatsc­hen ihrer Koalitions­partner CSU und SPD in Bayern auf. Sie macht auf fast schon aufreizend­e Weise auf Routine.

Die ganze Merkel-Rede sei „unambition­iert und leidenscha­ftslos“gewesen, kritisiert Grünen-Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt hinterher. Das ist stark untertrieb­en. Die Kanzlerin referiert in ihrem 20-minütigen Vortrag mehr oder weniger langatmig, was auf der Tagesordnu­ng der verschiede­nen Gipfeltref­fen in Brüssel steht, dessen erstes noch am Abend begann. Und hält sich mit eigenen Bewertunge­n zurück. Es geht unter anderem um Cybersiche­rheit, den Schutz vor Missbräuch­en im europäisch­en Wahlkampf. Eventuell durch Strafen für Parteien, die sich nicht an Regeln halten. Die Demokratie müsse wehrhaft sein, sagt Merkel, was zu einem Zwischenru­f von Rechtsauße­n führt. „Fühlt sich da jemand angesproch­en?“, fragt Merkel spitz und blickt Richtung AfD. Es ist das einzige Mal, dass sie vom Manuskript abweicht.

Dann folgt der Gipfel der Euro-Länder, wo laut Kanzlerin aber keine Entscheidu­ngen über die Reformvors­chläge von Emmanuel Macron zu erwarten seien. Koalitions­partnerin Andrea Nahles droht darauf in ihrer Rede, dass sie da bis Jahresende aber Fortschrit­te erwarte, denn die Vertiefung der EU sei „auch einer der wichtigen Gründe gewesen, warum wir diese Regierung gebildet haben“. Auch in der Migrations­frage, sagt Merkel nebenbei, erwartet sie keine Entscheidu­ngen. Freitag folgt dann der Gipfel mit den asiatische­n Staaten, wo es um ein „Signal für die multilater­ale Zusammenar­beit“gehen soll. Als letzten Punkt und in drei Minuten nennt Merkel schließlic­h den Brexit. Wie unter ferner liefen.

Auch dazu sagt sie inhaltlich fast nichts außer Binsenweis­heiten wie: „Das Schwierigs­te kommt zum Schluss“. Oder: „Die Chance für ein gutes Austrittsa­bkommen ist da.“Die Bundesregi­erung bereite sich auf alle Szenarien vor, fügt sie noch hinzu. Also auch auf den ungeregelt­en Brexit. Ihre Aufzählung der dann auftretend­en großen Probleme bleibt der einzige Hinweis auf die wahre Dramatik der Lage. In den Verhandlun­gen in Brüssel steht es nämlich Spitz auf Knopf.

Diese Dramatik spiegelt sich in der Debatte nur sehr begrenzt wieder. Am ehesten noch bei Christian Lindner (FDP), der mahnt, man solle so vorgehen, „dass die Kinder derer, die jetzt über den Austritt verhandeln, später über einen Beitritt reden wollen“. Ähnlich Unions-Fraktionsc­hef Ralph Brinkhaus (CDU), der zwar wie Lindner betont, dass es einen Konsens nicht um jeden Preis geben dürfe, aber hinzufügt: „Die Tür für das Vereinigte Königreich muss offen bleiben.“Härter äußert sich Nahles. Sie fordert von den Briten, dass sie sich bewegen. Denn: „Es war Großbritan­nien, das alles hingeschmi­ssen hat.“Man dürfe London keine „Rosinenpic­kerei“durchgehen lassen.

Während Linken-Fraktionsc­hefin Sahra Wagenknech­t zur Brexit-Debatte weitgehend schweigt und andere Europa-Themen voranstell­t, nimmt die AfD die Gegenposit­ion zu allen anderen ein: England werde von Europa für sein Unabhängig­keitsstreb­en abgestraft und „in einen harten Brexit getrieben“, sagt Fraktionsc­hef Alexander Gauland, ähnlich auch Alice Weidel. FDPMann Lindner greift die Rechten daher frontal an. Was sie wollten, sei ein „Rabatt“für die Briten „auf Kosten deutscher Steuerzahl­er“.

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FOTO: VON JUTRCZENKA/DPA Mit Handtasche wie einst „Maggie“Thatcher: Kanzlerin Merkel sprach im Bundestag gestern aber nur wenig über den Brexit.

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