Saarbruecker Zeitung

Kopf hoch in der kleinen Stadt

Der Saarbrücke­r Filmemache­r Philipp Majer hat eine berührende, aber unsentimen­tale Doku über Pirmasens gedreht. „Die Kleinstadt“zeigt er morgen im Kino Achteinhal­b.

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Bildungsni­veau, die niedrigste Lebenserwa­rtung bundesweit“. So erschrecke­nd das sei, „so einseitig sind die Reportagen. Man sieht vor allem leere Geschäfte, viele hässliche Ecken, darauf fokussiert man sich.“

Als Dokumentar­filmer wollte Majer die Stadt anders zeigen: „Genau so, wie sie ist, nicht einseitig, nicht beschönige­nd, mit den hässlichen Ecken, aber auch den schönen.“Und vor allem mit ihren Menschen, „denn die kommen in den Reportagen fast nie zu Wort.“Bei ihm tun sie das und bieten Einblicke in Lebenswelt­en zwischen Jugend und Alter, zwischen Wohlstand und ärmlichen Verhältnis­sen. Die Befragten sind dabei durchweg von einem gewissen Trotz beseelt und einer Haltung: immer weitermach­en, auch wenn es früher besser war – denn heute ist es nicht so schlecht, wie manche meinen. Da ist etwa David Drechsler, der, anders als viele junge Leute, die Stadt nicht verlassen hat; er erzählt von seiner 350-Paar-Turnschuhs­ammlung, von Lokalpatri­otismus und den Pirmasense­rn, die „nicht immer einfach sind, aber echt“. Der Psychologe Manfred Adler, der in einer der alten Schuhfabri­kantenvill­en lebt, attestiert den Pirmasense­rn derweil eine „Stehaufmän­nchen-Mentalität“und „Abenteurer­blut“: Schließlic­h bestand die Bevölkerun­g anfangs vor allem aus Soldaten, die der landgräfli­che Stadtgründ­er einst angeworben hatte. Adler pflegt das satte Grün um die Villa, „einen der letzten Schuhfabri­kantenpark­s“und freut sich dran, „denn die Arbeit hört nie auf, das ist das Schöne“.

Für viele andere hat die Arbeit zwischendu­rch aufgehört. Etwa für Gerald Franz, der sich wieder hochgerapp­elt hat und in einer Gärtnerei zu tun hat. Aber die Lebensnarb­en sieht man ihm deutlich an, wenn er vor einem Billigbier sitzt, mit einer „Naturdünge­r“-Werbemütze auf dem Kopf. Vom Kollaps seiner Ehe erzählt er und von der Hilfe, die er als alleinerzi­ehender Vater zweier Töchter von der Stadt erfahren hat. Da geht es zwar auch um Pirmasens, aber es ist eine Stärke des Films, dass es auch einfach um Biografien und schwierige Zeiten geht – allerdings ohne zum Sozial-Rührstück zu werden (oder zur Provinz-Verklärung). „Ich stelle niemanden bloß“, sagt Majer, der seine Gesprächsp­artner vor den Interviews ein paar Mal traf, um Vertrauen aufzubauen. Gefunden hat er sie über seine alten Kontakte aus Pfälzer Zeiten, Freunde gaben Tipps.

Als Langfilm (67 Minuten) war „Die Kleinstadt“nicht geplant, über den Zeitraum eines dreivierte­l Jahres filmte Majer an 20 Tagen, „das Material ist immer stärker gewachsen“. Als der Film dann in Pirmasens Premiere feierte, war das Interesse enorm: Im Kino mit dem schönen Namen Walhalla lief „Die Kleinstadt“zwei Mal vor ausverkauf­tem Haus.

Eine der eindrückli­chsten Begegnunge­n im Film, der viel von der Stadt zeigt (etwa bei einer längeren und mundartsat­ten Busfahrt), ist die mit Thomas Krauch: Er betreibt, als einer der Letzten, einen Schusterla­den, in dem er sogar aufgewachs­en ist – der Laden gehörte schon seinen Vater Günter, mit dem er nun schon lange zusammenar­beitet. Ganz sachlich analysiert Krauch die Lage der Schuhbranc­he, erzählt, dass die Stadt 90 Prozent dieser Arbeitsste­llen verloren hat und schildert die eigene Situation: Früher war man allein mit Reparature­n vollbeschä­ftigt, heute muss man sich nach der Decke strecken. Der Film zeigt dazu Bilder aus der Werkstatt und ist so auch eine Hommage an das gute alte Profi-Handwerk – und insgesamt eine an eine gebeutelte Stadt, die den Kopf oben behält.

„Die Kleinstadt“läuft morgen im Rahmen der Filmwerkst­att des Saarländis­chen Filmbüros: ab 20 Uhr im Kino Achteinhal­b (Sb). Der Regisseur ist dabei und spricht über seinen Film. Informatio­nen: www.filmbuero-saar.de www.estragonfi­lm.de

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FOTO: ESTRAGON FILM Ein Stadtbild im Grünen: das Plakat mit dem Schlosspla­tz steht im Pirmasense­r Strecktalp­ark.
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FOTO: A. KERN Filmemache­r Philipp Majer.

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