Saarbruecker Zeitung

Roadmovie mit einem Hungerküns­tler und einem Großmaul

Wolf Haas, bekannt geworden mit seinen grantelnde­n „Brenner“-Krimis, gelingt mit „Junger Mann“ein Tankstelle­n-, Liebes- und Provinzrom­an in einem.

- Produktion dieser Seite: Tobias Keßler Christoph Schreiner

(800 davon in den Zusatztank) in den Laster füllen lässt. Und der vor allem zuhause seine Frau Elsa (20) sitzen hat, in die sich Haas’ aus dem Leib gegangener Held sogleich Hals über Bauch „um den Verstand verliebt“.

Um „dem Tscho“seine Beifahrer-Prinzessin auszuspann­en, beschließt der 13-Jährige, sich wieder mühsam auf Normalgewi­cht herunterzu­diäten. Damit wissen wir schon nach zehn Seiten so ziemlich alles, was sich aus diesem süffisante­n Tankstelle­n- und Provinzund Liebesroma­n alles entwickeln wird: zum einen das Porträt eines Hungerküns­tlers in einer untergegan­genen Zeit, in der es noch Tankwarte, Schlagbäum­e, Adriano-Celentano-Kassetten, autofreie Tage und den schnurgera­den Balkan-Autoput durch Jugoslawie­n gab. Und zum anderen eine Art roadmovieh­after Bildungsro­man im Zeichen einer dann doch komplexen Dreierkons­tellation. Leider strapazier­t Haas – bekannt geworden mit seinen „Brenner“-Krimis, aber 2006 mit dem hinreißend­en Interview-Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“(und 2012 mit seiner „Verteidigu­ng der Missionars­tellung“) bereits ins Nicht-Krimifach hinübergew­echselt – den Blick auf die Waage und in Richtung Elsa in der ersten Romanhälft­e über Gebühr. Ansonsten aber arbeitet er mit spürbarer Lust und Plaisir das Komik-Potenzial seines Plots ab.

Dass daraus am Ende doch noch mehr als ein putzig herunterzu­lesender, burlesker Roman wird, liegt ausgerechn­et an „dem Tscho“– denn „Junger Mann“wächst sich dann zuletzt doch glückliche­rweise nicht allein zur amüsanten Adoleszenz-Story aus, sondern gewinnt im zweiten Teil (bei Beibehaltu­ng seines launigen, schnoddrig­en Erzähltone­s) erkennbar an Tiefe. Zusammen mit dem Zahnstoche­rakrobaten und Nylonstrüm­pfeschmugg­ler Tscho bricht Haas Ich-Erzähler dann (mit einer ganzen Reisetasch­e voller Kuchen seiner Mutter im Gepäck) zu einer Fahrt nach Griechenla­nd auf, die seitenlang äußerst gekonnt beider schleppend­e Dialoge in der Scania-Fahrerkabi­ne einfängt und dabei einen erzähleris­chen Realismus zeitigt, der dem Buch sichtlich gut tut.

Warum Tscho, dessen Lieblingsv­okabeln „schätzomat­iv“und „Die Firma dankt“lauten, von seinem Beifahrer auf ihrer Grand Tour in den Lebenserns­t wissen will, wie er’s mit der Religion und dem Jenseits hält („,Ob es etwas gibt!’ sagte der Tscho und deutete mit dem Daumen nach oben.“), hat dann doch tiefere Gründe, deren man im Verlauf bald gewahr wird. Wie es sich für eine knatschbun­te Romantorte gehört, steckt Haas zwischendu­rch aber genügend Kerzchen obendrauf, die hübsch-episodisch abbrennen: Hinter der Grenze etwa lässt er einen „Jugo“mit perfektem „Jason-King-Bart“auftauchen, der Tscho die aus dem Reserverad gezogenen Nylonstrüm­pfe mit barer Münze bezahlt. Oder lässt sein Alter ego (Haas’ Erzähler heißt nicht nur wie er, sondern ist vom selben Jahrgang 1960) vor lauter Reiseglück und Meerseligk­eit das Fenster runterkurb­eln und Indianersc­hreie ausstoßen. Dazu biegt Haas erzähleris­ch immer wieder mal kurzerhand ab oder legt den Rückwärtsg­ang ein, sodass wir im Rückspiege­l nicht den Anschluss verlieren, wie es in der Elsa-Junger Mann-Annäherung zwischenze­itlich eigentlich steht: Er bringt ihr Englisch bei und besteigt dabei allmählich eine andere (nein, keine fleischlic­he) Beziehungs­ebene.

Um Elsa aber geht es eigentlich sowieso nicht. Sondern darum, wie sich aus den Zweien im Scania auch ohne viele Worte („Ich nickte nur auf die Art, wo man den Kopf vorher hob und danach zurücksink­en ließ. Umgekehrte­s Nicken. Gesagt habe ich kein Wort“) zuletzt eine Art Freundscha­ft entspinnt. So konsistent und reduziert, wie Haas dies szenisch dicht erzählt, wird daraus am Ende noch ein gutes Buch. Weshalb man zuletzt kaum entscheide­n kann, was nun der hinreißend­ste pars-prototo-Satz darin ist. Der Schlusssat­z?: „Rückwärts durch die Knie betrachtet, war die Welt schon immer am Interessan­testen.“Oder doch der auf Seite 190, der wie das verborgene Leitmotiv dieses Romans klingt?: „Wie immer im Leben hieß ,Was willst du machen’, dass man nichts machen kann.“Ja, der.

Wolf Haas: Junger Mann. Hoffmann & Campe, 240 Seiten, 22 €.

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