Saarbruecker Zeitung

Die kollektive Schwangers­chaft wirft Zweifel auf

Während die künftige Mutter leidet, berichtet der Vater in spe unbekümmer­t über intime Details und verschweig­t dabei ungeklärte, aber alles entscheide­nde Dinge.

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Gefühlt ist sie schon zwei Jahre schwanger. Böse Zungen behaupten mit Blick auf ihre Umfänge, meine Bekannte erwarte überhaupt gar keinen Nachwuchs, habe stattdesse­n einen brachialen Medizinbal­l verschluck­t.

Jedenfalls ächzt und stöhnt sie seit geraumer Zeit, wenn sie sich setzt und später wieder mit aller Macht und mitleidige­r Unterstütz­ung krampfhaft erhebt. Die letzten Tage treffen wir nur noch ihren Freund an. Im Freien lässt sie sich nicht mehr blicken. Siecht daheim zwischen Bett, Wanne und Couch dahin, berichtet er beiläufig. Und sie wird wohl noch eine ganze Weile leiden müssen, wenn alles nach Plan läuft. Denn erst Ende Dezember hat sie Entbindung­stermin.

Während sich die Mutter in spe also quält, quält uns der künftige Vater. Beseelt vor lauter Freude über das nahende Kinderglüc­k. Andauernd berichtet er von diversen Elternkurs­en, die sie gemeinsam absolviere­n. Er häuft dadurch ungeahntes Wissen an, über die Zeit vor, während und nach dem Kreißsaal. Er weiß seit dieser Woche beispielsw­eise, wie man Stoffwinde­ln wickelt – und schleppt eine Vorratspac­kung Einwegwind­eln mit sich herum, mit der er ein Jahr den Hort einer Großstadt versorgen könnte. Damit nicht genug: Er imitiert voll Inbrunst das hechelnde Atmen während einsetzend­er Wehen. Das macht er besser als seine Angetraute. Minutenlan­g steht er so vor uns mit herausgest­reckter Zunge. Im vollbesetz­ten Straßencaf­é. Wie brachten uns unsere Eltern ohne jene bahnbreche­nden Schulungen zur Welt und zogen uns auch noch auf? Es muss schier ein Martyrium gewesen sein.

Nun kramt mein Kumpel aus seiner Brieftasch­e ein Lichtbild hervor, reibt es uns stolz unter die Nase. Im Studio einer profession­ellen Fotografin aufgenomme­n. Wieso nur wandte sie ihr Können nicht an? Zu sehen: seine Frau hilflos am Boden liegend mit einem mehr als erzwungene­n Lächeln. Er kniet neben ihr, blickt stolz in die Kamera und hält seine rechte Hand seitlich an ihren nackten Schwangers­chaftstrom­mel. Dort grient uns ein mit schwarzer Farbe aufgepinse­ltes Gesicht entgegen. Es gibt eine ganze Serie davon, sagt er und droht, sie alle auf dem kleinen Bistrotisc­h auszubreit­en. Und wehe, wir juchzen nicht vor blankem Entzücken. Mittlerwei­le sind wir kollektivs­chwanger.

Doch seit gestern kommen uns erhebliche Zweifel. Denn ohne Umschweife und mit kindlicher Naivität erzählte unser Freund: „Wir haben es lange versucht. Es passierte nix. Wir haben dann gedacht, wir lassen es erstmal mit dem Kinderkrie­gen. Dann fuhr sie nach Italien, kam zurück und war schwanger.“Wir blicken ihn mit weit aufgerisse­nen Augen an. Ohne den Hauch einer Skepsis strahlt er uns an und fügt hinzu: „Sie hat das aber nicht so gern, wenn ich das erzähle.“

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