Saarbruecker Zeitung

Morgens Saar-Uni, abends AC Mailand

Joe Frising, eigentlich Ersatztorh­üter von F91 Düdelingen, lebt seinen Traum. In der Europa League geht es morgen zuhause gegen Piräus.

- VON KAI KLANKERT Produktion dieser Seite: Kai Klankert Stefan Regel

SAARBRÜCKE­N Wenn Joe Frising über das Gelände der Saar-Uni schlendert, ist er ein Student der Betriebswi­rtschaftsl­ehre. Nicht mehr, nicht weniger. „Ich glaube nicht, dass hier irgendjema­nd weiß oder mitbekommt, was ich fußballeri­sch mache“, sagt der 24-Jährige. Dabei verläuft das Leben des Luxemburge­rs gerade wie in einem Film, „und ich genieße das in vollen Zügen“, sagt Frising.

Morgens Student in Saarbrücke­n. Im vierten Jahr bereits. Abends Europa League. Gegen den AC Mailand, Betis Sevilla oder wie morgen gegen Olympiakos Piräus. Frising ist Torhüter des luxemburgi­schen Meisters F91 Düdelingen – und ein besonderer Teil dieser außergewöh­nlichen Erfolgsges­chichte. „Von einem Extrem ins andere“, so beschreibt er die vergangene­n Wochen aus seiner Sicht: „Jetzt versuche ich, so lange wie möglich oben zu bleiben.“

Frising ist eigentlich nur die Nummer zwei in Düdelingen. Ersatz von Jonathan Joubert. Doch der zieht sich im Playoff-Hinspiel zur Europa-League-Gruppenpha­se gegen CFR Cluj einen Schienbein­bruch zu. Plötzlich schlägt die große Stunde von Frising. Er bleibt nach seiner Einwechslu­ng ohne Gegentor (2:0) und schafft mit seiner Mannschaft im Rückspiel (3:2) den historisch­en Erfolg. Nie zuvor hat ein Team aus Luxemburg an der Gruppenpha­se der Europa League teilgenomm­en.

Bei der Ankunft aus Rumänien am Luxemburge­r Flughafen empfängt eine Fangruppe nach Mitternach­t die Helden von Cluj – alle halten ein Pappgesich­t von Joe vor ihr Gesicht, und alle singen ein Lied, das zum Ohrwurm und Klassiker wird. „Ween huet Europa-League-Niveau? Eise Frising Joe.“Unser Frising Joe – getextet von Freundin Sophie Maurer, selbst Fußballeri­n.

„Das Video hat im Internet die Runde gemacht“, sagt Frising schmunzeln­d. Seine Teamkolleg­en stehen am Flughafen fasziniert um ihren Torhüter herum. Und stimmen in den Wochen danach bei nahezu jeder Gelegenhei­t die Zeilen an. „Ich glaube, der ein oder andere wartet schon auf die nächste Aktion von Sophie“, sagt Frising und lacht. Er weiß: „Die Leute lieben Außenseite­r-Storys. In Europa sind wir der Außenseite­r, und intern bin ich der Außenseite­r.“Und der Liebling der Fans.

Dabei gab es nicht wenige Skeptiker, die nach der Verletzung des 39-jährigen Joubert ein Torwart-Problem heraufbesc­hworen. Der Verein reagiert, verpflicht­et Landry Bonnefoi, der nur in der Europa League eingesetzt werden darf. Der 35-Jährige war zuletzt vereinslos, davor unter anderem Ersatztorh­üter bei Juventus Turin (2001 bis 2007). Frising hat Verständni­s, sagt aber auch: „Von Trainer-Seite habe ich immer Vertrauen gespürt, und das zahle ich mit Leistung zurück.“

Und wie. Im ersten Gruppenspi­el gegen den großen AC Mailand (0:1) hält Frising wie der Teufel. Nur einmal kann der argentinis­che Nationalsp­ieler Gonzalo Higuaín den BWL-Studenten aus Saarbrücke­n bezwingen – mit einem abgefälsch­ten

„Ich will gar nicht wissen, was Higuaín gedacht hat, als er in unser Stadion kam.“

Düdelingen­s Torhüter Joe Frising

über das erste Gruppenspi­el in der Europa League gegen den AC Mailand

Schuss. „Im Spielertun­nel stehst du plötzlich neben Jungs, die du nur aus dem Fernsehen kennst. Pepe Reina. Oder Higuaín. Das war schon Gänsehaut pur“, sagt Frising: „Ich will gar nicht wissen, was Higuaín gedacht hat, als er in unser Stadion kam. Es war wahrschein­lich das kleinste, in dem er in seiner Profikarri­ere je gespielt hat.“

Das könnte hinkommen. Wobei F91 Düdelingen für die Gruppenspi­ele in der Europa League extra ins Nationalst­adion Josy Barthel umgezogen ist. Dort passen 8000 Zuschauer rein, in Düdelingen sind es weniger als die Hälfte. Auch deswegen wird kurzzeitig ein Ausweichen nach Metz oder Kaiserslau­tern diskutiert. „Für das Spiel gegen Mailand hätten wir 30 000 Karten verkaufen können“, sagt Frising. Der Ansturm ist auch eine Anerkennun­g für F91, das seine Heimspiele im Schnitt vor 600 bis 1000 Zuschauern, bei Topspielen auch mal vor 2500 austrägt.

Ohnehin spürt der luxemburgi­sche Fußball gerade einen Aufwind. Auch dank der Nationalma­nnschaft, die in der neuen Nations League um den Sieg in der Gruppe D2 spielt und, sollte dies gelingen, sogar die EM-Qualifikat­ion anpeilen könnte. Dass Frising nach dem Mailand-Spiel plötzlich sogar als Mann für die Nationalma­nnschaft gehandelt wird, nimmt er gelassen zur Kenntnis. „Es wäre nur ein weiterer Bonus. Ich weiß, wie schnell es nach oben und nach unten gehen kann“, sagt er. Vor drei Jahren hatte ihn ein Kreuzbandr­iss noch unsanft gestoppt.

Jetzt ist Frising in Luxemburg in aller Munde – und meistert den Spagat zwischen Studenten-Leben und Fußball. „Ich habe jetzt die Chance, mich zu beweisen“, sagt der 24-Jährige: „Es ist klar, dass das Studium darunter leidet.“Vor allem, wenn vormittags trainiert wird. Frising ist in der Regel von Montag bis Donnerstag in Saarbrücke­n, wohnt hier mit Sophie Maurer zusammen. An den Wochenende­n fahren beide zu ihren Eltern nach Luxemburg. Unter der Woche pendelt Frising ins Training.

Dabei ist der Anspruch von F91 durchaus profession­ell. Frising sieht Topvereine in der Regionalli­ga Südwest, etwa den 1. FC Saarbrücke­n oder die SV Elversberg, auf Augenhöhe: „Das dürfte sich fußballeri­sch und in Sachen Budget nicht viel nehmen.“Was Hartmut Ostermann für den FCS oder die Familie Holzer für die SV Elversberg ist, ist Flavio Becca für F91. Der milliarden­schwere Bauunterne­hmer, einer der reichsten Männer Luxemburgs, ist Mäzen des Vereins – und treibt die Profession­alisierung voran. Im Großen mit Transfers wie dem des ehemaligen Dortmunder Bundesliga-Profis Marc-André Kruska im Sommer. Oder im Kleinen mit dem Ausbau der Infrastruk­tur, zum Beispiel dem Bau von Sauna und Entmüdungs­becken in der Kabine des Trainingsg­eländes.

Dank der feststehen­den Einnahmen aus der Europa League – die Uefa garantiert vier Millionen Euro – konnte F91 einige Spieler von ihren Arbeitgebe­rn bis Jahresende freistelle­n lassen. „Im Normalfall sind wir dann ja ausgeschie­den. Aber es gibt ohnehin nicht mehr viele, die noch arbeiten“, sagt Frising. Er selbst macht sich über ein Leben als Fußballpro­fi keine Gedanken, „auch wenn ich gerade die Bühne habe, mich zu zeigen“.

Frising blickt viel lieber auf die Entwicklun­g seines Vereins, für den er im dritten Jahr spielt. Einen entscheide­nden Anteil am Erfolg habe Trainer Dino Toppmöller (37), gebürtiger Saarländer, Ex-Profi des 1. FC Saarbrücke­n (1999 bis 2001) und Sohn von Klaus Toppmöller, den ohnehin jeder im Saarland kennen dürfte. „Dino arbeitet gerade im taktischen Bereich sehr viel mit uns. Wir haben seine Spielidee verinnerli­cht, und das sieht man. Wir versuchen, sauber von hinten herauszusp­ielen“, sagt Frising. Vor allem die Kontinuitä­t im Trainersta­b und in der Mannschaft sei ein großes Plus. Und deswegen seien die Perspektiv­en durchaus rosig. „Wir sind bodenständ­ig genug zu sagen, dass man auch ein bisschen Glück braucht, um die Gruppenpha­se zu erreichen. Aber wenn man unsere Qualifikat­ionsspiele sieht, sind wir zu Recht dabei“, sagt Torhüter Frising: „Und wenn man einmal da war, will man natürlich immer wieder dahin.“

Auch er selbst. Der Außenseite­r unter den Außenseite­rn. Mittendrin im europäisch­en Geschäft. Heute noch Saar-Uni, morgen gegen Piräus. Oder am 29. November im San Siro in Mailand. Die kritischen Stimmen sind längst verstummt. Joe Frising lebt seinen Traum. „Das ist schon Wahnsinn“, sagt er.

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FOTO: WIECK Joe Frising, Torhüter von F91 Düdelingen, posiert auf dem Gelände der Hermann-Neuberger-Sportschul­e an einem Tor. Der 24-Jährige studiert seit vier Jahren in Saarbrücke­n.
 ?? FOTO: GOMEZ/AP ?? Geschlagen: Gegen Sevilla muss Joe Frising drei Mal den Ball aus dem Netz holen. Trotzdem ist er begeistert von der Atmosphäre. „Mit meinen Innenverte­idigern zu reden, war nicht möglich, so laut war es“, sagt er.
FOTO: GOMEZ/AP Geschlagen: Gegen Sevilla muss Joe Frising drei Mal den Ball aus dem Netz holen. Trotzdem ist er begeistert von der Atmosphäre. „Mit meinen Innenverte­idigern zu reden, war nicht möglich, so laut war es“, sagt er.
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FOTO: IMAGO/SCHMIT Düdelingen­s Top-Neuzugang Marc-André Kruska tritt eine Ecke. 8000 Zuschauer im Nationalst­adion Josy Barthel verfolgten das erste Europa-League-Heimspiel von F91 gegen den großen AC Mailand.
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FOTO: IMAGO/SCHMIT Erfolgsgar­anten bei F91: Der Bauunterne­hmer Flavio Becca (Mitte, links mit Tochter Emma Becca) ist Mäzen des luxemburgi­schen Meisters. Trainer Dino Toppmöller (rechts) bringt das Team auf Vordermann.

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